vonDresdennachIstanbul
3390 km
 
   

Der Reisebericht aus dem Abschnitt Österreich

# 6

Mittwoch, 20.08.2008

Budweis – Český Krumlov – Rozmberk – Vyšší Brod – Bad Leonfelden

84,3 km

5:05 h

av. V = 16,5 km/h

↗ 733 hm

↘404 hm

av. P = 100 W

17°C - 21°C, von Nieselregen bis sonnig

491 CZK (Kronen)

& 52,73€


Hallo Österreich !

Das erste an jeder Grenze: Ein obligatorisches Foto mit dem Wappen oder der Fahne des Landes in das wir einfahren. So geschah es auch an der Grenze nach Österreich. Zu diesem Foto haben wir uns  allerdings zwingen müssen, denn eigentlich waren wir in Sorge wegen des Schadens an meinem Fahrrad und waren nicht so in Happy-Posing-Laune. Konrad erzählte mir erst in Istanbul, dass er hier Angst hatte, dass das das Ende der Tour sein könnte.

Was uns sofort hinter der Grenze auffiel:  Auf dem Asphalt rollte man gleich viel leichter dahin und die Wiesen waren bis zur Waldgrenze gemäht. Es lag kein Müll mehr am Straßenrand und sogar die Sonne fing an auf uns zu scheinen. Es war richtig schön hier. Am höchsten Punkt der Straße bot sich uns ein grandioser letzter Ausblick auf Tschechien.

Nach zwei rasenden Abfahrten (man bedenke den tollen Asphalt) erreichen wir den ersten Ort hinter der Grenze: Bad Leonfelden.

Hier kamen wir uns wie im Paradies vor: Erstens sprach man unsere Sprache. So fanden wir schnell zu einem Fahrradladen mit Werkstatt. Der Fahrradmechaniker wechselt das Tretlager flink aus und nebenan konnten wir uns in der Zeit schöne Rennräder ansehen. Der Ring des Tretlagers war gleich zweimal gebrochen. Ich weiß nicht was passiert wäre, wenn uns das in der Walachei oder in Serbien passiert wäre, wo es einfach keine Fahrradläden gibt. Wir hatten sozusagen Glück im Unglück. Insgesamt kostete uns der Schaden nur 35 €.

 Zweitens scheinen in Bad Leonfelden nur offene und freundliche Menschen zu leben.  So zumindest war unser erster Eindruck, während wir auf dem Marktplatz auf das Fahrrad warteten. Ein gemütlicher Mann mit diesem herrlichen österreichischen Klang in der Stimme erklärt uns, dass man hier auf jeder Wiese sein Zelt aufstellen kann, da sich keiner daran stört. Eine Frau sucht ebenfalls das Gespräch, sie hatte auch gerade eine Fahrradtour hinter sich und wusste um diese schöne Art des Reisens. Und so verging die Zeit und wir mussten uns endlich aufmachen eine Schlafstelle zu finden. Völlig offen gingen wir an die Suche heran. Einen Zeltplatz gab es nicht in diesem idyllischen Ort, dafür war auf der Karte eine Jugendherberge eingezeichnet. Die Touristeninformation war am Abend nicht mehr besetzt, dafür konnte man jedoch an einem vollautomatisierten Terminal nach Unterkünften suchen. Sieh an, Bad Leonfelden hat eine Jugendherberge. Ein paar Klicks weiter, beschrieb uns die Maschine auch noch den Weg dahin.

Die Jugendherberge war dann gleich eine Ecke weiter, jedoch hatte sie nicht geöffnet. Auf einem vergilbten Aushang war die Telefonnummer des Hüttenwirts vermerkt. Ich hatte echt nicht erwartet, dass wir nur einen Anruf von der absoluten Glückseligkeit entfernt waren, denn erstens ging jemand ans Telefon und zweitens öffnete man extra für uns die Jugendherberge. Geil. Eine ganze Jugendherberge nur für uns alleine und das günstiger als auf so manchem Zeltplatz. Wir sind begeistert. Nachdem die Hüttenwirtin uns alles gezeigt hatte und wieder gegangen war, breiteten wir uns in dem ganzen Gebäude aus. Die Fahrräder standen sicher im Flur, in einem Waschbecken wuschen wir nach 6 Tagen alle Sachen und trockneten sie in einem eigens dafür geschaffenem Raum mit starkem Heizlüfter. Das Zelt wurde in einem anderen Raum ausgebreitet, wo es uns nicht im Weg stand und trocknete ebenfalls. In der Küche hatten wir einen Herd, Kühlschrank und sogar eine Geschirrspülmaschine, die unsere beiden Teller und das Besteck säuberte.

Die Jugendherberge hatte das Flair einer Bergbaude durch die rustikalen Tische, Stühle, Wandholzverkleidungen und die vielen Gipfelfotos, welche uns beeindruckten. Der Erbauer der Hütte war wohl ein großer Bergsteiger in den Alpen gewesen.

Es war ein sehr entspannender Abend in unseren eigenen vier Wänden. Wir fanden im Ort sogar noch eine deutschsprachige Zeitung und konnten uns so über den emotionalen Olympiasieg von Matthias Steiner im Gewichtheben freuen, der zwar Deutscher ist, aber eigentlich aus Österreich kommt. Jetzt sind wir in Österreich, sind aber eigentlich Deutsche. Irgendwie passt das. Wir schliefen beruhigt ein. So unterschiedlich können Nächte sein: Gestern noch stürmte und regnete es auf unser Zelt und wir wurden bestohlen und heute Nacht gehört uns ein ganzes Haus.

 

# 7

Donnerstag, 21.08.2008

Bad Leonfelden - Linz – Mauthausen - Ybbs - Melk

146,3 km

6:55 h

av. V = 21,1 km/h

↗ 235 hm

↘727 hm

av. P = 60 W

16°C - 32°C, sonnig, leichter Gegenwind

26,06 €

 

Wir schlafen aus.

Gerade als wir unseren Hofstaat halbwegs eingepackt hatten und man nicht mehr das Gefühl haben musste eine Horde Hunnen hätte die Jugendherberge besetzt, kommt die Putzfrau durch die Haustür geschritten um nach dem Rechten zusehen. Sie wird keine Auffälligkeiten melden müssen, denn wir verlassen die Jugendherberge genauso wie wir sie am Abend vorher vorgefunden hatten. Nur den Strom- und Wasserzähler sollte sie nicht allzu genau inspizieren. Wir haben es uns gut gehen lassen. Ihr Erscheinen ist für uns  aber dann das endgültige Zeichen nun endlich den Arsch hoch zubekommen, weiterzufahren und Bad Leonfelden  zu verlassen. Noch einmal fahren wir über den kleinen Markt und am Fahrradgeschäft vorbei. Wir werden es für immer in bester Erinnerung behalten. Das ganze Städtchen war eine äußerst positive Entdeckung. Vielleicht komme ich eines Tages zu einem Erholungsurlaub wieder. Die örtliche Kureinrichtung soll hervorragend sein.

Bis Linz und der Donau sind es von Bad Leonfelden nur 25 km und da es 750 Meter über dem Meer, pardon 750 Meter über der Adria liegt, den so heißt es hier in Österreich und Linz 260 müA liegt, konnten wir bis auf einen Gegenberg immer bergab fahren. Dieser eine Berg war dann auch der einzige des Tages (260 Höhenmeter), mehr noch: durch ganz Österreich, die Slowakei, Ungarn und bis Kroatien hatten wir, da wir ja immer konsequent der Donau folgten, keine Berge mehr zu erklimmen. Fast könnte man meinen, dass es so ein wenig langweilig wird. Und tatsächlich fehlte uns bald schon die Abwechslung.

Noch eine Randbemerkung zur Höhenmessung über der Adria: In Deutschland geben wir die Höhe über dem Meeresspiegel von Amsterdam, also der Nordsee an, während die Länder des ehemaligen Kaiserreichs Österreich-Ungarn den Meeresspiegel der Adria und zwar von Triest im Jahre 1875 als Bezugsgröße wählen. Der Unterschied liegt bei zirka 30 Zentimetern. Bei Gelegenheit, wenn die EU-Abgeordneten mal nicht so viel mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages beschäftigt sind oder über den Status der Türkei verhandeln, wird man das gewiss vereinheitlichen.  

So,  wir rasten also mit einem Affenzahn nach Linz hinunter. Das hatten wir uns redlich verdient, da wir der Elbe und der Moldau immer flussaufwärts gefolgt waren und so auf die Höhe der Gipfel des Böhmerwaldes gekommen sind. Nun geht es auf der anderen Seite hinab, zum Tal der Donau.

In Österreich schien gerade Wahlkampf zu sein, denn am Straßenrand huschten viele Wahlplakate an uns vorbei. Die ÖVP verspricht „einfach mal alles“ und stellt ihre Plakatwände taktisch so klug auf, dass man die Plakate der anderen nicht richtig sehen kann. Der Grünenkandidat will sich einfach mal gegen alles stellen: „Nicht mit mir“.  Faymann von der SPÖ versucht es dagegen mit Personenkult, mehr verraten seine Plakate nämlich nicht.

In Linz kaufen wir in einem Supermarkt Frühstück: Baguette mit Schmelzkäse. Wir setzen uns hinter den Supermarkt auf den Bordstein. Das Frühstücken zelebrieren wir immer und lassen uns durch nichts  hetzen. Wir besprechen grob wie weit die Reise heute gehen wird und wo man eventuell die Nacht verbringen kann. Ich muss immer wissen was mich erwartet, außerdem müssen wir unsere Erwartungen an den Tag noch abgleichen. Im Inneren sind wir beruhigt, da wir nun an der Donau sind. Hier wissen wir von dem vorzüglichen Donauradweg, der uns problemlos bis Wien und weiter geleiten wird. Die Zeiten des Verfahrens und Umherirrens sind nun erst einmal vorbei.

Frisch gestärkt und super ausgeschildert folgen wir nun auf dem Radweg direkt dem Fluss. Die Donau ist schon hier ein mächtiger und breiter Fluss und an den  Ufern sind Dämme und Deiche auf denen wir gleichmäßig entlang langfahren. Nachdem wir Linz hinter uns gelassen haben, sind außer Wasser, Deich und Auen erst einmal nichts zusehen. Wir langweilen uns. Ziemlich undankbar sind wir, aber dennoch ist man nicht mehr gefordert. Da wir wegen des Gegenwindes im Windschatten fahren, können wir nicht einmal miteinander reden.

Das nächste Highlight ist ein großes Wasserkraftwerk, das die gesamte Donau überspannt. Hier wechseln wir auf die Südseite der Donau, vielleicht ist es da ja interessanter und tatsächlich fahren wir nun nicht mehr direkt am Wasser, sondern kurven auf immer noch perfekten Radwegen mit perfekter Beschilderung die „Moststraße“ entlang. Der Name suggeriert, dass die Leute hier in ihren vielen Vierkanthöfen gerne Früchte ausquetschen und daraus Saft fabrizieren.

Als nächstes freuen wir uns auf die älteste Stadt Österreichs: Enns. Eines der ausgemachten Ziele vom Frühstück. Gedanklich sehe ich mich schon den Stadtturm nach dem Wappen und dem Datum der Gründung absuchen. Doch irgendwie schaffen wir es,  einmal falsch abzubiegen und so an Enns vorbei zufahren. Ohne es zu merken. Ohne die Stadt auch nur einmal von weitem zu sehen. Ärgerlich. Der Radweg endet plötzlich an der Donau und eine Fähre nur für Radfahrer setzt über. Wir wissen noch nicht genau ob über die Donau oder den Zufluss Enns. Schließlich fahren wir erneut auf die Nordseite der Donau nach Mauthausen. Enns verpasst. Da es uns aber auf der Südseite so gut gefiel und hier auf der Nordseite der Radweg an einer großen Straße entlang geht, fahren wir über die nächstbeste Brücke wieder zurück ins zauberhafte Mostviertel.

An einer Bank machen wir Pause und entdecken einen Gedenkstein. Die Inschrift ist schon fast eine Stilblüte. Hier wurde Franz Petersei bei der Überfahrt von Russen erschossen. Warum, verrät der Stein nicht. Nicht zu glauben, dass auch in dieser schönen Landschaft Krieg geführt wurde und Kriegsverbrechen begangen wurden. Aber Mauthausen und sein KZ hatten wir ja gerade hinter uns gelassen…

Der Radweg geht mal kurvig durch verträumte Dörfer auf Wirtschaftswegen und ruhigen Nebenstraßen im Hinterland, mal geht er auch direkt an der Donau entlang. Mal fährt man durch Felder und Apfelbaumwiesen, mal sieht man Burgen an den Hängen der Donau wie in Wallsee oder auf der anderen Donauseite die Greinburg und auch die Burg Werfenstein, wo sich das Donautal verengt und die Granitfelsen bis ans Ufer reichen. Man kann sich gut vorstellen, wie da der Burgherr ein glückliches Leben führte und früh nach dem Aufstehen erst einmal einen entspannten Blick über seine Donau und die angrenzenden Gebiete wirft. Er kontrolliert ob seine Vasallen auch alle schon fleißig vor sich hin werkeln und begibt sich dann zum Frühstücken auf die sonnige Terrasse. Dort hat dann der Mundschenk, neben Saft aus dem Mostviertel, schon alles aufgetafelt, was die Felder und Ställe hergeben. Burgherr müsste man sein.

Auf einem bewaldeten Hügel etwas später, thront eine weitere Burgruine über der Ortschaft Freyenstein. Frauen sollten diese Gegend in Vollmondnächten meiden, da dann der legendäre Donaufürst „Nöck“ vom Grund des Stromes kommt und sie mit seiner Harfe in sein Unterwasserreich lockt.

Als es schon Abend wurde – ja, außer Burgenphantasie passiert nicht viel - kommen wir nach Melk und schlagen unser Lager direkt an der Donau auf einem Zeltplatz auf. Die Sonne ging bald farbenfroh unter. Das passte zur Stimmung.

Die fast 150 Kilometer bei - zum ersten mal - über 20 km/h im Schnitt heute merke ich kaum in den Beinen, Konrad vermutet dahinter wohl eher im Scherze Doping, da ich am Abend vorher meine Mückenstiche mit Fenistil-Gel behandelt hatte und diese Salbe Hydrocortison enthält, was ein Dopingmittel sein kann. Daher weigert er sich dann auch, es selbst auszutragen und kratzt lieber auf seinen Mückenstichen rum.

Ich gehe am Abend noch eine Runde in Melk spazieren. Das Benediktinerstift ist in der Nacht herrlich von Scheinwerfern angestrahlt und dominiert das Bild dieses Städtchen.

Nieder- und Oberösterreich sind sehr schön, gemütlich und gepflegt. Auch ohne Berge an der Donau.

 

# 8

Freitag, 22.08.2008

Melk - Krems - Tulln - Wien

141,6 km

7:17 h

av. V = 19,4 km/h

↗ 139 hm

↘127 hm

av. P = 60 W

17°C - 34°C, sonnig, leichter Gegenwind

20,30 €

 

Die Aufzeichnungen des heutigen Tages entstammen so wortwörtlich Konrads Aufzeichnungen es sei denn die kursiven Anmerkungen ergänzen seinen Text:

„Melk – Wien  22. August 2008   Tag 8

Es ist ja jeden Morgen das Gleiche:  Schweinehund überwinden, aufräumen, auf den verfluchten Drahtesel. Heute schaffen wir all das recht schnell und sind so etwas eher unterwegs als erwartet. Heute wollen wir eine weitere Hauptstadt aufsuchen. Auf dem langweiligen Radweg ja kein Problem. Und so radeln wir dahin. Zwischendurch Frühstück (Baguette…) und eine Limo mit dem Namen Schartner Bombe, die wir kauften,  weil sie einen so ungewöhnlich aggressiven Namen trägt.

Hier erfahren wir, dass ein Kilometer perfekter Radweg in Österreich eine Million Euro kostet. Eigentlich sollten wir nämlich laut Radführer-Karte ein Stück Offroad fahren, doch Österreich hat auf der Strecke dieses Jahr gebaut. Das Infoschild über den Bau stand noch.

Anschließend fahren wir durch schönste Weinberge. Der Moritz (der Weingourmet) hätte seine Freude. Auch hier wieder ein Gedenkstein, für einen Elitesoldaten. Seine Todesursache steht nicht da, trotzdem fasziniert so etwas.

Zur Mittagszeit, die Sonne steht kurz hinterm Zenit, machen wir Pause. Vorher vertreiben wir noch zwei Mädels oder sie gingen von sich aus, dann machen wir uns auf der Raststätte breit. Das Zelt wird ausgepackt und in die Sonne gelegt, während ich mich im Schatten zur Ruhe bette. Kurz schlafe ich sogar. Die Siesta hat den Beinen gut getan, doch sie wird wie vor 3 Jahren -auf der Radtour von Hamburg nach San Sebastian- mit Gegenwind bestraft. Und so kämpfen wir uns, abwechselnd im Wind, bis Tulln. Hier kaufen wir Trinken und umfahren ein Festgelände (so wie vorher ein großes Fest der Feuerwehren  in dem man uns aus Sicherheitsgründen (?) zwingt,  die Fahrräder zuschieben). Aufgrund des beim Soundcheck  immer wieder gerufenen „He-yah!“,  vermuten wir ein Countryfest, doch Beweise finden wir nicht.

Wir lassen die Countryklänge hinter uns und fahren auf dem gut asphaltierten Radweg gen Wien. Ein oberkörperfrei er und bierbäuchiger Herr hängt sich in unseren Windschatten. Es hatte ja, wie gesagt, gegen uns gewindet. Das betrachten wir gerade als Ansporn und hacken richtig. (Hacken = volle Bulle treten ohne rechts und links einen Blick liegen zulassen) . Doch der Mann hält mit… Selbst eine zweite Tempoverschärfung vom Stefan bringt nichts. An einer Weggabelung machen wir kurz halt und ich sage zu dem Windschattenfahrer: „Sie sind gut mitgefahren!“ -Halb lobend, halb anklagend (Aber mal wirklich: er hätte ja auch mal Führungsarbeit leisten können). Er lächelt zurück und sagt ebenfalls lobend: „Ihr seid gut gegen den Wind gefahren. Danke.“ Das Lob nehmen wir dann gerne an. An der besagten Weggabelung trennen sich unsere Wege und so kommen wir zu einer Fähre. Wir lieben Fähren! Man kann entspannen, ein Foto schießen und den Fluss genießen. Um die Fähre zu rufen, müssen wir eine Metallfahne hissen  und wenige Augenblicke später tuckert auf der anderen Seite ein Boot los. Die Fahrt kostet uns 5 Euro, der Fährmann ist ein uriger Typ, redet uns mit „Burschen“ an. Auf der anderen Seite geht der Radweg gut weiter und wir stehen bald vor Wiens Vororten. Hier wird nochmal Nahrung gekauft. Auch fragen wir uns, wo wir heute schlafen werden, denn so richtig können wir auf keiner Karte einen Zeltplatz finden. Mit dieser Ungewissheit fahren wir in Wien ein. Die Stadt wirkt ruhig, etwas gemächlich. Mehrere Stadtstrände sind an der Donau aufgebaut. Kurz nach der Urania fahren wir in die Stadt hinein, Richtung Prater. Der ist echt groß. Viele Jogger, Skater, Radfahrer und Spaziergänger sind unterwegs.

Beim Ernst-Happel-Stadion, wo zwei Monte vorher das Finale der Fußball-Europameisterschaft ausgetragen worden ist:  Deutschland verlor ja leider gegen Spanien. Alte Wunden öffnen sich wieder. Jedenfalls vor dem Stadion schieße ich ein Foto von Stefan, langsam wird es dämmrig  und uns fehlt ein Platz zum Schlafen. Ich werde passiv aggressiv, will,  dass Stefan mal „hinmacht“ und überhaupt: Wie kann man Wien als Tagesziel ausgeben und dann nicht wissen wo wir schlafen sollen?! In solchen Momenten werde ich immer sehr schweigsam.

Relativ schnell verlassen wir dann den Prater und kehren zurück zur Donau. Nach einem gescheiterten Überquerungsversuch (nur Eisenbahnbrücke) finden wir einen Weg auf die Donauinsel, der wir einen recht langen Besuch abstatten. Die Sonne geht jetzt sehr schnell unter und wir haben noch immer keinen Platz zum Schlafen. Es sollte wohl aufs Wildcampen hinauslaufen…

O.k.,  wir fahren noch ein paar Kilometer aus Wien heraus, dann checkt Stefan hinterm Deich die Lage. Er findet einen Super-Schlafplatz. Doch kaum laden wir unsere Sachen ab, da fallen die Mücken über uns her. Stefan wird sogar am Po gestochen. Wo zum Teufel war das Autan?! Nachdem wir uns „autanisiert“ haben, kochen wir Essen, während die Mücken einen Weg finden „unautanisierte“ Körperstellen zu erreichen und gnadenlos zu zustechen. Ich fühle mich wie Mückenfraß! Man muss sich das so vorstellen: Eine ruhige unberührte Auenlandschaft, direkt an der Donau, feuchte Wiesen  und ein milder Sonnenabend und vermutlich sahen diese 10 Millionen Mücken zum ersten Mal zwei Säugetiere, welches sie nun aussaugen mussten. Also den Pullover anziehen.

Nach dem Essen gehen wir nochmal an die Donau und Stefan springt nackt ins Wasser… sowas ist nix für mich, ich stehe Schmiere. An diesem Abschnitt der Donau wurden viele Ferienhäuser gebaut, doch heute Abend sind die wenigsten erhellt. Als wir zurück zum Zelt gehen, merken wir, dass wir mitten in der Einflugschneise des Wiener Flughafens campieren. Öfter dreschen über uns Flugzeuge zur Landung.

Stefan hat ein bisschen Angst, erschlagen zu werden, weil die Fahrräder recht instabil, sich gegenseitig abstützend, neben dem Zelt stehen. Ich mache mir Sorgen wegen eines Försters  oder Privatgrundbesitzers…, doch bis zum Einschlafen (was recht schnell geht, sobald es dunkel wird) geschieht nichts weiter.

Hoffentlich haben wir durch unseren generalstabsmäßig geplanten Sturm ins Zelt den Mücken keine Zeit gelassen,  uns zu folgen.“

Noch bevor Konrad an diesem Abend einschlief,  behandelte er seine vielen Mückenstiche mit dem Dopingpräparat Fenistilgel. ;-)

Der oben genannte Moritz ist ein Studien-, Wein- und FC Kaiserslautern-Freund von Konrad. Mit ihm studierte er 6 Semester Physik.

In der Nacht stürzten weder die Fahrräder um, noch wurden wir aus diesem Nationalpark Donau-Auen vertrieben.

 

# 9

Samstag, 23.08.2008

Wien – Hainburg - Bratislava (SK) - Rajka (HUN)

81,5 km

3:30 h

av. V = 23,2 km/h

↗ 72 hm

↘130 hm

av. P = 80 W

19°C - 29°C, Rückenwind! heiter bis Regen

16,21 €

& 1700 HUF (Forint)

 

Konrad wachte schon sehr zeitig auf, es ist gerade Mal halb 7 als er sich aus dem Schlafsack schält und das Zelt öffnet. Daher geht heute alles viel eher als sonst los. Nach zwei langen Etappen wollen wir nur eine kurze fahren und ab Mittag schon wieder einen Zeltplatz suchen, um mal einen freien Nachmittag ohne Fahrradfahren zuhaben. Wir visieren schon am Morgen den Ersten hinter der ungarischen Grenze als unser Tagesziel an.

Wir fahren – wie gestern Abend – auf der Krone des Marschfelddamms gen Osten. Da er fast immer sehr gut asphaltiert ist und wir einen starken Rückenwind haben, legen wir die 30 Kilometer bis Hainburg spielend einfach zurück. Das ist auch gut so, denn Frühstück hatten wir noch keines und bis Hainburg gibt’s auch, außer stiller und unberührter Natur am frühen Morgen, nichts.

Hainburg ist der letzte richtige Ort vor der Grenze, hier geben wir unsere letzten Euro – die wir ja nun nicht mehr brauchen – für Nahrungsmittelvorräte und Frühstück aus. An Samstagen ist immer höchste Vorsicht geboten: Wer weiß schon,  ob er an einem Sonntag irgendwo im Niemandsland etwas Essbares oder Getränke kaufen kann? Also wird im Pennymarkt der Stadt auf munitioniert.

In Hainburg fangen wir auch an,  uns für die römische Vergangenheit an der Donau zu interessieren, denn hier war einst ein wichtiger Kreuzungspunkt zweier Handelswege. Zum einem nutze man die Donau schon damals um Güter von Westen nach Osten zubringen, zum anderen kam hier die Bernsteinstraße an, die von der Ostsee bis zum Mittelmeer reichte. Hainburg hieß damals Carnuntum, die Stadt am Stein, wohl wegen des  markanten  Braunsberges am Ostrand. Auf Grund seiner wichtigen strategischen Bedeutung, direkt am Limes des römischen Reiches, wurde  Carnuntum oft angegriffen, besetzt, zerstört und wieder aufgebaut. Neben einigen Germanenstämmen hausten in der Zeit der Völkerwanderungen auch die Hunnen hier. Im Nibelungenlied wird von der alten Ruine der Burganlage oben auf dem Schlossberg gesungen. Die noch heute erhaltenen 3 Stadttore, 15 Stadttürme und die Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert zeugen davon, dass dieses Städtchen einst der wichtigste östliche Vorposten des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation war. Die Ungarn - und später die Türken -  kämpften auch noch um diese Stadt.

Genug von der Geschichte, denn für uns wäre hier in Hainburg die Radtour fast zu Ende gewesen. Wir hatten uns nämlich, während wir auf einer Bank frühstückten, mächtig gestritten. So sehr, dass wir ernsthaft in Erwägung zogen, die gemeinsame Tour so bald und so günstig wie möglich zu beenden. Diese  Gedanken hatte  aber jeder  für sich, denn bis Bratislava fuhren wir getrennt von einander. Wir redeten kein Wort und würdigten uns keines Blickes. Es waren zwar  nur 15 Kilometer,  aber deswegen gibt es kein obligatorisches Grenzübergangsfoto!

weiter ging's in der Slowakei





www.dresden-istanbul.de
Infos unter stefan@dresden-istanbul.de