vonDresdennachIstanbul
3390 km
 
   

Der Reisebericht aus dem Abschnitt Griechenland

#26

Mittwoch, 10.09.2008

Haskovo - Svilengrad - Orestiada (GR)

139,8km

6:35 h

av. V = 21,2 km/h

↗ 501 hm

↘ 616 hm

av. P = 80 W

23°C - 36°C, heiter bis sonnig

20 BGN (Lew) & 15 €


Die Grenzstation liegt am Ende eines steilen Anstieges, total verschwitzt zeigen wir die Pässe vor und werden kontrolliert. Das Einführen von Kampfstoffen nach Griechenland ist verboten und da auch Pfefferspray ausdrücklich dazugehört und wir unseres noch nie einsetzten konnten, hat Konrad ein wenig Bammel, dass man uns für Mini-Terrorristen halten könnte. Wir werden nach dem Ziel unserer Reise gefragt und misstrauisch beäugt, doch anschließend nicht durchsucht. Da sind wir also im Land des Rehakles, des Fußball-Europameisters von vor vier Jahren.

Auf der Europastraße 85 die von der Ostsee in Litauen bis zum Ägäischen Meer in Alexandroupolis führt, fahren wir durch den touristisch wenig erschlossenen Teil von Griechenland. Obwohl es eine der ältesten Kulturlandschaften Europas und bekannt war für seine griechischen Philosophen ist, ist in Thrakien nicht viel los. Abgesehen von Melonen die am Straßenrand wachsen und auf die wir uns bei jeder Gelegenheit stürzen. Ich bin hin und weg, zum einen weil mir Melonen die liebsten Früchte sind und zum anderen weil sie hier einfach so vor sich hin wachsen, wie zu Hause Äpfel oder Birnen. Die Melonen sind zwar kleiner als die, die man im Handel findet, aber ich schwöre es: sie schmecken tausendmal besser. Schon alleine weil man sie einfach so vom Boden aufheben und schlachten kann. Wir beschließen nun jede Melone zu essen, die wir erspähen können.

Vorbei fahren wir an griechischen Dörfern wie Trigono, dessen Häuser allesamt weiße Wände und rote Dächer haben und die einen mediterranen Flair versprühen. Wir durchfahren Baumwollfelder und einige Kilometer weiter auch ein Melonenfeld. Gemäß unserer Vereinbarung von der leckeren, kleinen Wassermelone eben, halten wir und schlagen uns den Bauch voll. Wie die Wahnsinnigen fallen wir in das Melonenfeld ein, es ist schon abgeerntet und nur noch die kleinen und kümmerlichen Melonen blieben zurück. Die erste Melone die wir öffnen ist nicht gut, auch die nächste nicht, dann hat eine innen das saftige und knallrote Fleisch, wir verputzen sie umgehend. Die nächsten Melonen sind wieder schlecht. Auf eine gute Melone kommen fünf schlechte. Konrad zerschmettert die Melonen einfach nur noch, damit es schneller geht. Wie eine Wildschweinherde verlassen wir die Ecke des Feldes auf der wir gewütet haben, die Bäuche randvoll mit Melonensaft.

Konrad bezahlt seinerseits dieses Gelage mit wiederkehrenden Magenkrämpfen und Durchfall. Das hätte man sich eigentlich denken können, dass eine Gastroenteritis nicht von einem Tag auf den anderen verschwindet, zumal er die Empfehlung Diät zu halten in den Wind schlug. Blauschimmelkäse zum Frühstück, Eis und Hotdogs zum Mittag und zum Kaffeetrinken Wassermelonen ohne Ende. Die Zeche dafür bezahlt er nun ständig mit schwerem Durchfall, für den er sich immer tief in Maisfelder zurückzieht. Klopapier haben wir ja genug, da wir zur Sicherheit ein paar Rollen aus dem Spukmotel mitgenommen haben. Und während Konrad alles bereut, habe ich einen ruhigen Nachmittag. Schließlich ist er auch bereit Loperamid-Tabletten einzunehmen, die ich ihm aus unserer Reiseapotheke verschrieben hatte. Das tolle Gefühl, der Höhenrausch, in Griechenland zu sein, ist aber erst einmal vorbei. In Orestiada kaufen wir Abendessen ein, für mich Reis mit Tomatensoße und für den Patienten Konrad Salzcracker, als leicht verdaulichen Kohlenhydraten damit sein Darm wieder zu Kräften kommt. Seit Österreich können wir nun mal wieder mit unserer Heimatwährung, dem Euro bezahlen und heben am ec-Geldautomaten gleich ausreichend, nicht nur für Griechenland, sondern auch für unsere Ankunft in Deutschland ab.

Um Ruhe zu haben verlassen wir die Straße hinter dem Ort und fahren ein paar hundert Meter einen Feldweg hinein und schlagen unser Nachtlager am Rand eines Kartoffelackers auf. Etwas weiter versprengt eine Bewässerungsanlage im hohen Bogen Wasser auf das Feld. Mensch, hier können wir nicht nur wildcampen sondern auch wildduschen. Durch den triefendnassen und tiefen Schlamm waten wir zur Openair-Dusche, es ist ja egal wie wir jetzt aussehen, wenn wir uns sowieso gleich ausgiebig waschen können, denken sich jeder. In diesem Moment kommt strahlend der Bauer auf seinem Traktor daher gefahren, grüßt und freundlich und stellt die Anlage aus. Da stehen wir nun: Verschlammt bis zu den Knien, verschwitzt vom Tage, die Hände und Arme klebend von Melonensaft und gucken uns fragend an. Scheiße.

Zum Glück konnten wir in Orestiada das Schnäppchen eines Sixpack Mineralwassers nicht ungenutzt vorbei ziehen lassen und kauften insgesamt neun Liter Wasser. Acht Liter verbrauchten wir davon nun zur abendlichen Katzenwäsche. Konrad wirft noch zwei Durchfall-Pillen ein und isst mit mir zusammen den Reis. Die Cracker dienen uns beiden als Dessert.

Unsere Räder schwächeln auch immer mehr. In Konrads Hinterrad haben die gebrochenen Speichen aus Belgrad und Bulgarien nun eine Acht verursacht, so dass wir die Bremse aushängen und außer Betrieb nehmen mussten. Meine Gangschaltung ist inzwischen soweit verbogen, dass ich nur noch relativ hochfrequent auf den beiden kleineren Kettenblättern fahren kann. Es wird knapp bis Istanbul, aber es ist ja auch nicht mehr weit. Drei Tage, nur drei Tage noch, so schätzen wir ist es bis zur Megastadt am Bosporus

 

#27

Donnerstag, 11.09.2008

Orestiada - Soufli - Keşan (TR)

114,1 km

5:19 h

av. V = 21,4 km/h

↗ 587 hm

↘ 511 hm

av. P = 100 W

16°C - 34°C, sonnig, trocken und Gegenwind

12 € &  24 YTL (neue Türk. Lira)

 

Trotz des harten Bodens war der Schlaf gut und die Laune ist ebenfalls auf einem hohem Niveau, denn heute gibt ist wieder ein Feiertag. Nicht in Griechenland und seit 9/11/2001 auch gewiss nicht in den USA, aber wir beide werden in wenigen Kilometern den dritten Megameter, den 3.000 Kilometer, der Radtour feiern können. Konrad geht es den Umständen seiner Krankheit entsprechend prächtig und so radeln wir mit knurrendem Magen los.

Etwa zwanzig Kilometer später finden wir in Didymoticho einen Lidl-Supermarkt und frühstücken am Rand des Parkplatzes gleich das so eben erworbene. Wir können dabei ein Ehepaar beobachten, dass seine Einkäufe in einem Auto mit deutschem Kennzeichen verstaut. Mit dem Auto nach Griechenland fahren, kann ja jeder. Wir werden ein wenig arrogant - aber ich denke, dass hat man sich nach vier Wochen auch verdient – bevor wir aufschrecken, weil wir an einem Ameisenhaufen dinieren. In Didymoticho war einst auch Kaiser Barbarossa auf seiner letzten Reise vorbeigekommen, ähnlich unserer Tour führte er sein Heer 1189 die Donau entlang und über den Balkan, doch im Gegensatz zu uns zerstörte er Didymoticho auf seinem Kreuzzug gegen die Muslime.

Als wir das kleine Städtchen verlassen, hält Konrad mit seiner einen Bremse plötzlich an. Sein Hinterreifen verliert Luft, denn er hat den ersten Platten unserer Tour. Ersatzschläuche hatten wir in genügendem Ausmaß mitgenommen, so dass wir uns das flicken gänzlich sparen und den kaputten Schlauch an die Leitplanke binden. Wer ihn mal sieht, könnte mir ein Foto davon schicken. Uns kostet es eine kleine Ewigkeit, den um den Schlauch zu wechseln, müssen wir das Fahrrad komplett entladen und alles auf die Straße legen. Bei der Tour de France würde uns nun der Materialwagen des Teams einfach ein komplettes neues Fahrrad hinstellen. Doch das hier ist eben nicht Frankreich und wir sind nicht Jan Ullrich und Andreas Klöden. Der Übertäter für den Plattfuß war im Übrigen ein scharfkantiges Metallstück was auf dem Seitenstreifen der Straße lag und den Reifen aufschlitzte. Wie ärgerlich. Ansonsten haben die schwalbe-Marathon-plus-Reifen nämlich alles gehalten, was sie versprochen haben: Egal wie schlecht die Wege und Straßen waren, egal ob kantige Steine oder spitze Dornen, sie hielten immer dicht. Doch was zu viel ist zu viel, das Ding hätte auch einen PKW-Reifen gefährlich werden können.

Wenig später erreichen wir im Dorf Amori den dritten Megameter, gefeiert wird an der örtlichen Tankstelle in einem kleinen Pavillon, der für Ruhezeiten der LKW-Fahrer gedacht ist. Mit einer Dose Apfel-Fanta stoßen wir auf den Erfolg an und machen ein paar Erinnerungsfotos von uns und vom Kilometerstand auf dem Fahrradcomputer. Ich nutze die kleine Pause und rufe mit dem Handy bei einem Dresdner Fahrradladen an um per Ferndiagnose ein paar Tipps für meine Gangschaltung zu bekommen, die immer öfter von alleine die Gänge wechselt. Man kann mir auch tatsächlich wertvolle Ratschläge geben und nun geht es wieder etwas besser.

Unser Bild von Griechenland beschränkt sich auf diese eine Überlandstraße auf der wir fahren und auf das, was man von ihr aus sehen kann. Links können wir immer wieder über den kümmerlichen Grenzfluss Evros in die Türkei schauen. Zur rechten Seite bilden sich oft bizarre Kalkfelsformationen und Canyons, die von dichten Pinien-, Lorbeer-, und Korkeichengestrüpp bewuchert sind. An dieser Hartlaubvegetation, mit ihren kleinen, dicken und festen Blättern merkt man, dass man inzwischen in der Mittelmeerregion mit ihrer typischen Vegetation angekommen ist. Photographieren kann man diese Landschaft leider nicht, immer wieder weißen Verbotsschilde daraufhin und da zudem ständig militärische Fahrzeugkolonen an uns vorbei brausen, akzeptieren wir sie. Sicherlich hat all das mit der Nähe zur Türkei und dem latent vor sich hin schwelenden Konflikt beider Statten zutun, denn die Herrschaftsverhältnisse der Ägäis-Inseln und von Zypern sind weiterhin nicht geklärt.  Wirtschaftliche und militärische Interessen stehen auf dem Spiel. Hoffentlich entspannt sich die Situation weiterhin und man geht aufeinander zu und nicht los. Inzwischen ist Griechenland einer der größten Befürworter eines türkischen EU-Beitritts.

Die Stadt Soufli, durch die wir nun fahren, ist ein weiteres Beispiel für das griechisch-türkische Miteinander des vergangen Jahrhunderts. Einst zum Osmanischen Reich gehörend erlebte die Region ihre Blüte als die gesamte Bevölkerung mit der Seidenproduktion beschäftigt war. Nach der Niederlage der Osmanen im ersten Weltkrieg fiel Soufli und die gesamte europäische Region bis zum Bosporus den Griechen zu. Das konnten die Türken nicht auf sich sitzen lassen und so kam es sofort nach dem Ende des ersten Weltkrieges im Jahre 1919 zum griechisch-türkisch Krieg, welcher bis 1922 andauerte. Für die Griechen kam es zur “Kleinasiatische Katastrophe“, während die Türken ihren Sieg als Sieg im “Türkischen Befreiungskrieg“ feierten. Die Grenzen wurden neu entlang des Evros gezogen und Thrakien geteilt. Für Soufli bedeutet das, dass man viel Anbaufläche des für die Seidenproduktion benötigten Maulbeerbaumes verlor und keinen schiffbaren Fluss mehr hatte, da dieser nun Grenzfluss war. Das führte zum wirtschaftlichen Niedergang der gesamten Region. Bemerkenswert an diesem Friedensvertrag von Lausanne, der all das regelte war auch, dass die Muslime aus der griechischen Region in die Türkei auswandern mussten und die Türken griechisch-orthodoxen Glaubens nach Griechenland ausgewiesen worden. Fast zwei Millionen Menschen betraf dieser Bevölkerungstausch um religiöse Spannungen von vorne herein zu vermeiden.

Genug Geschichte. Wir fahren immer weiter in Richtung Süden und wundern uns dabei über die vielen kleinen modellgroßen Kirchen am Straßenrand. Manchmal steht so eine Minikirche als exakte Kopie vor ihrem eigentlichen Original. Was in Deutschland die Gartenzwerge sind, sind hier auf jedem Kilometer diese Miniaturkirchen. So  fahren wir von Dorf zu Dorf bis wir etwa 25 Kilometer hinter Soufli unsere Europastraße verlassen, denn hier nun bald wollen wir den letzten Grenzübergang in die Türkei nehmen. Aber nicht ohne uns vorher noch mit Getränken zu versorgen, denn hinter der Grenze gibt es zig Kilometer einfach nur Nichts und schon erst recht keine Geldautomaten, wo man an türkisches Geld kommen könnte. Doch es ist Mittagszeit und so haben alle Geschäfte während der Siesta zu. Auf die Inhaber wollen wir aber auch nicht bis sonst wann warten und so fahren wir weiter. Konrad hat dazu die Idee, dass es in der Türkei und in Griechenland sicherlich unterschiedliche Benzinpreise gibt. Alles andere wäre ein großer Zufall. Wenn es da nun eine Differenz gibt, führt die automatisch - wie zwischen Deutschland und Tschechien - zu einem Tanktourismus in eines der beiden Länder. Es wäre also schlau von einem Geschäftsmann auf einer Seite der Grenze eine Tankstelle zubauen, die dann gewiss keine Siesta hat. Und so gab es dann auch in Griechenland, direkt vor der Grenze einige Tankstellen, wo wir Getränke und ein Eis einkaufen konnten. Während wir den Grenzverkehr gespannt beobachten, kommt ein Hund groß wie ein Pony zu uns und macht uns Angst, doch alles bleibt friedlich.

An der Grenze müssen wir erst einmal warten und uns anstellen, dabei treffen wir einen Niederländer, der mit dem Taxi bis an die Grenze gefahren wurde und nun zu Fuß in die Türkei möchte. Doch das wird im verwehrt. Man braucht ein Auto oder eben ein Fahrrad und so wartet er bis ihn ein Brummi-Fahrer mitnimmt.

weiter ging's in Türkei





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