Legende der
Tagesübersichten:
# Tag der Tour
|
Wochentag und Datum
|
Start, Ziel und größere Durchfahrene Städte
|
XXX,X km =Tagesstrecke
|
X:XX h = Reine Fahrzeit
|
av. V =
Durchschnittsgeschwindigkeit
|
↗ XX hm = kumulierte Höhenmeter bei Anstiegen
|
↘XX hm = kumulierte Höhenmeter bergab
|
av. P = durchschnittliche Trittleistung (sehr theoretisch, z.B.
da Wind keine Rolle spielt)
|
Temperatur und Wetter
|
Summe des ausgegebenen Geldes
|
|
|
|
|
# 1
|
Freitag, 15.08.2008
|
Bannewitz – Dresden – Pirna – Königstein - Bad Schandau – Ostrau
|
60,5 km
|
3:23 h
|
av. V = 17,8 km/h
|
↗ 279 hm
|
↘307 hm
|
av. P = 80 W
|
12°C - 14°C, Regen
|
35,60 €
|
|
|
|
|
Unsere Radtour
von Dresden nach Istanbul ging am Freitagnachmittag los. Konrad musste noch
seine letzte Prüfung – welch Freude: es war Mathe - für das gerade vergangene
Semester hinter sich bringen und auch ich war erst seit zwei Tagen in der
Vorlesungs- und nun endlich auch prüfungsfreien Zeit des Sommers 2008
angekommen. Die letzten Tage des Lernens in der sächsischen Landes- und
Universitätsbibliothek hatte ich schon dieses aufgeregte Kribbeln im Bauch und
das Zucken in den Beinen und konnte mich kaum noch auf Entscheidungslehre und
Fertigungstechnik konzentrieren. Zu groß war die Vorfreude auf all das was da
kommen könnte. Fast stündlich riefen wir uns am Vorabend der großen Tour an,
damit wir auch wirklich nichts Wichtiges vergessen konnten. Wichtige Fragen wie
die, ob wir einen Ultraleicht-Klapp-Hocker unbedingt mitnehmen müssen oder eben
nicht, stellen sich uns ständig. Am Ende hatten wir dafür keinen Platz und die
Frage löste sich von alleine auf. Wir hatten nur am Gepäckträger Packtaschen
und übermäßig viel Kapazität boten diese einfach nicht. Da muss man dann eben abwägen,
ob man wirklich einen Hocker oder lieber doch Wechselunterwäsche mitnehmen
will. Auf der Strecke blieben so zum Beispiel auch die beiden Isomatten. Es ist
ja Sommer und da ist es ja eher warm als kalt. Das vielleicht einzige Luxusgut im
Gepäck für jeden war ein Buch. Nicht zwei, wie Konrad anfangs flehte, nur eins,
denn sehr oft sieht man auf den Radwegen dieser Welt Radreisende die unendlich und
übertrieben schwer beladen sind. wenn man zum Nordkapp fährt ist es vielleicht
noch gerechtfertigt, nicht aber wenn man in Mittel- und Südeuropa unterwegs
ist. Spätestens am ersten 10%-Berg, der mehr als nur eine kurze Rampe ist, wird
man mir recht geben. Der Unterschied zwischen 25 und 40 Kilogramm ist da dann
schon enorm und das Verlangen nach einem Hocker lässt spürbar nach. Zumal Berge
selten allein in der Landschaft rumstehen, sondern oft nach dem Ersten dann
noch weitere folgen und dann nervt jedes Kilo. Nicht umsonst ist im Radsport
der Trend zu immer leichteren Werkstoffen seit Jahrzehnten erkennbar. Gepackt
hatten wir so schon alles, die Reifen waren aufgepumpt, die Kette geölt, wir
waren bereit, nur Konrad musste eben noch Mathematik II absolvieren und zu Ende
schreiben.
Ich hole Konrad
direkt von der Prüfung ab, anschließend essen wir noch schnell in der Mensa –
natürlich Unmengen Nudeln – und hoffen dabei, dass der starke Regen endlich
nachlassen würde. Wochenlang war Hochsommer in Deutschland gewesen, aber zum
Tourstart schüttete es wie aus Eimern. Der Wetterbericht, den wir natürlich seit
Tagen gespannt verfolgten, sagte für das gesamte Wochenende nichts als Regen
voraus. Der Start würde sprichwörtlich ins Wasser fallen, musste aber dennoch
stattfinden. Wir hatten nun nicht mal mehr die Wahl: Um Geld zu sparen, wurden
schon vor Reisebeginn die Rückflugtickets des Billigfliegers nach Deutschland
mit unseren Fahrrädern gebucht. In nur
33 Tagen würde in Istanbul unsere Heimflugmaschine starten. In 33 Tagen müssen
wir dort am Flughafen stehen. Zwischen uns liegen bis dahin mehr als 3000
Kilometer, zehn Staaten und gewiss viele wunderbare Erlebnisse, schöne Tage,
aber auch ebenso Harte. Unter diesen zeitlichen Rahmenbedingungen wollen wir
nicht schon am ersten Tag einen vollen Tag verlieren, alldieweil das Wetter
auch morgen oder übermorgen nicht besser werden würde. So packen wir es an. So
geht es dann endlich los.
Wie ziehen
unsere Regenjacken an, verstauen alles wasserdicht und fahren zur Frauenkirche
am Neumarkt in Dresden, unserem ersten kleinen Etappenziel etwa fünf Kilometer
vom Startpunkt entfernt.
Es ist ein
anderes Radfahren, wenn man die schweren Satteltaschen (20 kg / Bike) auf dem
Gepäckträger hat und die Straßen schmierig-nass sind. Das Fahrrad ist viel träger
und der Bremsweg deutlich länger. Im Wiegetritt schwankt der Hobel und man
kommt sich vor als könne man gar nicht richtig Rad fahren. Es ist ungewöhnlich.
Doch das Gefühl lässt schnell nach, im Oktober nach der Tour war dagegen
Rennradfahren völlig befremdlich, es fehlte da dann das fette Gewicht im Heck als
Stabilisator.
In Dresden war
gerade wieder das alljährliche Stadtfest, also litten nicht nur wir unter dem
Regenwetter, sondern auch alle Besucher der Stadt und ihrer Feierlichkeiten. Um
ehrlich zu sein, sahen die noch betrübter aus und wunderten sich sicher über
unsere strahlenden Gesichter, denn trotz der Umstände freuten wir uns auf die
bevorstehende Reise. An der neuerbauten Frauenkirche
machten wir unser Startfoto und dann ging es los, den altbekannten und schon
zig-mal befahrenen Elberadweg Richtung tschechischer Grenze. Wir sind es
gemächlich angegangen, wollten locker in Tritt kommen und bitte nicht
hinfallen. Einige andere Radreisende kamen uns entgegen, man grüßt sich nett. Wir
fahren die Elbwiesen entlang, unter dem Blauen Wunder hindurch, am Dresdener
Fernsehturm vorbei, wir passieren Pillnitz, seine Elbinsel und sein Schloss,
radeln weiter vorbei an der Tetzelsäule, wo Luthers Gegenspieler einst seine
praktischen Ablassbriefe für jedermann feil bot. "Sobald das Geld im
Kasten klingt, die Seele in den Himmel
springt!" Mord soll dabei im Übrigen preiswerter gewesen sein, als zum
Beispiel der Diebstahl von Gegenständen aus einer Kirche. Wir brauchen im
Moment nichts zu bereuen und können ruhigen Gewissens weiterfahren.
Ab Pirna
beginnt dann die imposante Sächsische Schweiz, das größte Klettergebiet
Deutschlands. Vor vielen Millionen Jahren wurden aus den einst zusammenhängen
Sandsteinplatten durch Verwitterung und Ausspülungen diese eigentümliche
Landschaft geformt. Tafelberge wie der Lilienstein und spitze Felsnadeln wie
die Barbarine entstanden. Zum Teil wurde
in Steinbrüchen aber leider auch Raubbau betrieben. Heute findet man Gesteine
aus dem Elbsandsteingebirge zum Beispiel in der Bastei, im Dresdener Zwinger,
der Frauenkirche, aber auch im Brandenburger Tor in Berlin.
Da es den
ganzen Tag regnete und auch nicht aufhören wollte, war für uns an zelten nicht
zudenken. Ausgemalt hatten wir uns das zwar idyllisch an der Elbe, aber das
“idyllisch“ konnte heute Abend nicht eintreten. Ich wusste von einer Jugendherberge
etwas abseits der Route auf einem Berg. Am Fuße der Festung Königstein setzten
wir daher mit der Fähre über die Elbe und fuhren bis Bad Schandau, hier geht es
einen etwas zwei Kilometer langen Berg hinauf nach Ostrau und da steht dann die
ersehnte Jugendherberge. Der Herbergsvater meinte wir hätten großes Glück, es
wäre noch etwas frei in seinem Haus. Hätte der uns echt wieder raus in das
Mistwetter geschickt, wenn alle Zimmer belegt gewesen wären? Man könnte ja auch
auf dem Fußboden im Speisesaal den Schlafsack ausrollen. Gehört habe ich das
schon mal von anderen Radreisenden, die eben doch eiskalt abgewiesen worden
sind. Was – wie ich finde und die Bemerkung sei erlaubt – eine riesengroße
Sauerei ist, wenn ganze Rentnerreisegruppen die Jugendherbergen besetzten und
man dann als Student abgewiesen wird und zurück in den Regen muss. Jedenfalls
wir hatten heute im Naturpark Sächsische Schweiz ein Dach über dem Kopf und das
war auch gut so.
Auf der Fähre war
außer uns nur noch ein Ehepaar gewesen. Die Frau fragte wohin wir denn wollten,
was das Ziel unserer Reise sei. Gespannt schaute sie dabei unsere prallen
Gepäckträgertaschen an. Als wir dann Istanbul sagten, schaute sie nicht
schlecht, ich kam mir indes wie ein Hochstapler vor. Es ist unvorstellbar weit
weg. Vor allem wenn man gerade einmal 60 Kilometer absolviert hat und da schon fix
und fertig ist. Aber das lag bestimmt nur an dem tristen Novemberwetter.
In unserem
9m²-Zimmerchen in der Jugendherberge breiteten wir unsere Sachen aus, damit sie
am nächsten Tag trocken oder zumindest trockner als jetzt sind. Wir suchten
ewig in allen Taschen bis wir das komplette Kochequipment, die Nudeln, das
Waschzeug für den Abend und die Landkarte für morgen zusammen gefunden hatten. Eingeschliffen waren diese Handgriffe bei
weitem noch nicht.
Anschließend
kochten wir mit dem Gaskocher auf einem kleinen Hocker unser Abendbrot und
gingen zu Bett.
# 2
|
Samstag, 16.08.2008
|
Ostrau – Bad Schandau – Děčín – Ústí nad Labem – Velke Zernoseky bei Litomerice
|
73,6 km
|
4:19 h
|
av.V = 17,0 km/h
|
↗ 246 hm
|
↘318 hm
|
av. P
= 60 W
|
14°C - 16°C, starker Regen
|
4 € und 815 CZK (Kronen)
|
|
|
|
|
Die Nacht in
der Jugendherberge war angenehm, das Frühstück anschließend lecker. Zwischen
unserem Gebäude, in welchem wir geschlafen hatten und jenem wo wir uns zum
Frühstück einzufinden hatten, lag ein Hof. So konnten wir da schon mal im
vorbeigehen das Wetter abchecken, während die Fahrräder noch in einem kleinen
Verschlag hinter dem Nebengebäude selig schlummerten: Es war bewölkt, aber
trocken an diesem Morgen des zweiten Tages unserer Reise. Schnell missbrauchten
wir die Föhne im Bad als Wäschetrockner, aber so richtig zufrieden stellend
wurden die Sachen dennoch nicht trocken. Eigentlich war es auch egal: Denn als
wir dann eine Stunde später unsere vaude-Taschen
fertig gepackt und diese auf die Räder geschnallt hatten, begann es zu nieseln.
Wir fuhren natürlich dennoch guter Dinge los, weil so ein leichter Niesel nicht
weiter schlimm ist und wir ja Regenjacken dabei haben.
Den Berg von
Ostrau nach Bad Schandau konnten wir heute als Abfahrt nehmen. Mir erschien er
deutlich kürzer, als gestern der Anstieg in entgegengesetzte Richtung hinauf und
so waren wir schnell wieder im Elbtal, auf dem Elberadweg und damit auf unserer
Route. Nach wenigen Kilometern erreichen wir die deutsch-tschechische Grenze in
Schmilka/Hrensko. Wie an jeder weiteren Grenze knipsten wir ein Foto zur
Erinnerung. Der Nieselregen wurde jetzt stärker, aber im Gegensatz zu gestern
konnte er uns nichts anhaben, da wir uns bereits mental damit abgefunden und
unsere Erwartungen dementsprechend herabgesetzt hatten.
Auf einem so typischen
Markt, wie er wohl hinter vielen tschechischen Grenzen zu finden ist, suchen
wir für Konrad Tevas. Das sind praktische Kunststoff-Sandalen, damit er nicht
wieder den ganzen Tag in seinen feuchten Schuhen verbringen muss. Wir fanden
aber leider nichts Angemessenes, dafür wurden die Händler nervig aufdringlich
und wollten mir allerhand Plunder andrehen. Dabei haben wir doch alles was wir
brauchen. Und was wir nicht brauchen, schleppen wir auch ganz sicher nicht durch
halb Europa mit. Dazu gehören eben auch Lederhandtaschen genau so wie ausgefallene
Vogelhäuser.
Jetzt setzten
wir erneut mit der Fähre über die Elbe, so dass wir nun auf der westlichen Flussseite
bei Schöna und damit wieder zurück in Deutschland waren. Denn auf dieser Seite
geht der wirklich sehr schöne Elbradweg durch die Sächsische bzw. Böhmische
Schweiz entlang. So radeln wir ruhig dahin, kommen durch Děčín und viele kleine Dörfer. Es ist ein
bedrückendes Gefühl, da hier sehr viele verwahrloste Häuser und Grundstücke in
Verfall geraten. Es wirkt alles verlassen und zusätzlich vermüllt. Sicher liegt
die niedergedrückte Stimmung zum Teil auch an dem traurigen Herbstwetter, aber
auch Industrie und Fabriken geben ihren Teil kräftig dazu. Die Wände der Häuser
sind durch die Abgase farblos bis dunkelgrau und im Rinnsteig fließt eine gelbe
Flüssigkeit. Regenwasser sieht so eigentlich nicht aus. Tristes umgibt uns.
Hinter Děčín hängen wir uns für ein paar
Kilometer in den Windschatten von drei älteren Radreisenden, bei weitem sind
wir nicht die einzigen auf dieser Strecke. Doch schon bald nervt ihr gemächliches
Tempo. Langsam fahren kann manchmal anstrengender sein, als etwas schneller im
eigenen Rhythmus zufahren und so attackiert Konrad am erstbesten Hügel und wir
düsen nun Richtung Ústí nad Labem. Da es schon gegen Mittag ist halten wir
unter einem Pavillon und machen Mittagessen, natürlich gibt es Nudeln. Während
wir da sitzen, kommen die Drei zurückgelassenen an uns vorbei, die nun auch
nicht mehr geschlossen in einer Gruppe fahren. Wir hatten gut 15 Minuten auf
sie herausgeholt. Tour-de-France-Held und Ausreißerkönig Jens Voigt wäre in
diesem Moment sicher stolz auf uns.
Offensichtlich scheinen wir die ortsansässige Dorfjugend
von ihrem Drogendealplätzchen fernzuhalten. Mit schön prollig wirkenden Bässen
kommen ihre Karren angerollt, doch aussteigen will keiner. Nach einer Weile
trollen sie sich wieder. Sie wissen wohl, dass wir hier noch eine Weile bleiben
werden, denn es hat inzwischen angefangen wie aus Eimern zu schütten. Von
Minute zu Minute wird der Regen nun stärker, auf dem Radweg bildet sich gar ein
Bach. Selbst unter unserem Pavillon wird es ungemütlich, weil immer wieder Windböen
Regenschwaden hereinpusten. Das ganze
hat nur einen einzigen Vorteil: Wir müssen nicht abwaschen. Die Teller und
Töpfe stellen wir in den Regen, wo sie schnell voll laufen. Das Festgebrannte
sollte die gelbe Chemikalie doch lösen können. Wir verweilen noch etwas. Doch dann
wir müssen weiter, hier können wir nicht bleiben, denn bei so einem Regenguss baue
ich kein Zelt auf, es muss wieder eine Unterkunft her, die es in diesem kleinen
Ort aber nicht gibt.
Mit eingezogenen Köpfen rollen wir nach Ústí. Es ist eigentlich
genau das Wetter, bei dem man zuhause
bleibt, die Heizung aufdreht, einen warmen Pullover überzieht, ein paar Kerzen
anzündet, sich einen Kakao kocht und ein Buch ließt oder fernschaut. Vielleicht
genießt man das monotone Klopfen der Regentropfen an der Fensterscheibe und
isst dabei das erste Stück Stollen des Jahres, der eigentlich ja für die Adventszeit
gedacht war. Wir nicht. Wir wollen nach Istanbul. Und das allein muss zur
Motivation hier und jetzt ausreichen. Und es reicht. In Ústí kaufen wir
Proviant ein, doch so richtig können wir den Aufenthalt im trockenen und warmen
Supermarkt nicht genießen. Wir haben Angst um unsere beladenen Fahrräder,
Digital-Kamera, Geld und Pässe haben wir zwar bei uns, aber es gäbe noch vieles
andere was ein Langfinger an sich nehmen könnte und womit er unsere Tour
zerstören würde.
Wir irren noch eine Weile durch Ústí und finden dann wieder
zurückauf den Elberadweg, der aber kaum noch asphaltiert ist und immer
schlechter wird. Am östlichen Elbufer thront nun die Festung Schreckenstein auf
einem einhundert Meter hohen
Ziegelsteinfelsen über uns. Sie verschwindet fast vollständig in den dunklen
und tiefsitzenden Wolkenschwaden. Die nächsten Kilometer fahren wir nur noch
durch Schlamm und der Dreck spritz bis ins Gesicht. Wir sahen aus wie Schweine
die sich gerade gesuhlt haben. Wie sollen wir so nur eine Unterkunft finden? Wer
lässt uns denn so in sein Haus? Beim ersten Versuch wurden wir dann tatsächlich
mit einem Kopfschütteln weggeschickt, aber dafür kannten wir nun das
tschechische Wort für Unterkunft, welches an dem Haus stand: “Ubytování“. Also
zumindest können wir es lesen und wieder erkennen. Eine regenreiche Weile
später fanden wir erneut eine Ubytování
bei einer älteren Frau. Diese schien auch nicht allzu sehr begeistert zu sein
und ließ uns erst in ihr Biedermeierhaus, nachdem wir uns vor der Tür mit einer
Gießkanne den Schmutz des Tages abgeduscht hatten. Egal egal egal. Alles ist
mir egal. Hauptsache wir konnten ins trockene. So gewaschen war die Frau dann
zufrieden mit uns und wir bekamen sogar noch niedliche Stoffpantoffeln von ihr.
Anschließend erklärte sie uns, damit wir auch alles finden, das ganze Haus
ausführlich auf Tschechisch. Wir hatten unser Zimmer und nebenan war ein
Wohnzimmer, welches aber auch von zwei anderen Gästen mit genutzt wurde. Bad,
Toilette und die kleine Kochkammer teilten wir uns ebenfalls mit ihnen.
Auf den Holzdielen in unserem Zimmer breiteten wir unsere
nassen Sachen aus, schauten ein wenig Olympia im schwarz-weiß-Griesel-Fernseher
mit tschechischem Kommentar und warteten
auf den Wetterbericht, der uns dann ein schönes Zeichen sandte: Eine große
lachende Sonne über Prag.
Zum Abend kochten wir uns wieder Nudeln und aßen sie in dem
streng-katholisch eingerichteten Wohnzimmer. Von der Wand schaute uns dabei das
vielleicht 50 Jahre alte Hochzeitsfoto der Frau des Hauses zu.
# 3
|
Sonntag, 17.08.2008
|
Velke Zernoseky –
Litomerice – Theresienstadt
– Melnik – Kralupy - Prag
|
121,1 km
|
6:52 h
|
av.
V
= 17,5 km/h
|
↗ 501 hm
|
↘478 hm
|
av. P =
60 W
|
18°C - 30°C, Sommer-Sonnenschein
|
567 CZK (Kronen)
|
|
|
|
|
Es war kaum zu
glauben, aber als wir das Häuschen der guten alten Frau nach einem liebevoll
angerichteten Frühstück verlassen hatten, schien die Sonne und es war keine
Wolke am blauen Sommerhimmel zu erkennen. Nix mit „Regen ist Wetter heute“, was
uns die Frau am Morgen noch drohend prophezeit hatte. Der Wetterbericht von
Česká Televize hingegen hatte Recht und das gefiel uns sehr. Dagegen
stehen unsere Fahrräder im Glanz des lichten Tages unter einer dicken
Dreckkruste ganz traurig im Schuppen. Während wir uns am Abend geduscht hatten
um sauber zu Bett zu gehen, hat sich auf den Ketten der Fahrräder auch noch
eine feine Rostschicht gebildet. Naja eine kurze Katzenwäsche muss für sie
heute Morgen reichen, wir wollen den herrlichen Tag nutzen und schnell weiter
fahren.
Die erste
Stadt die wir nach ein paar Minuten erreichten war Litomerice.
Ein Mann der uns am gestrigen Abend einmal den Weg in diese Richtung wies,
sprach es „Light-matic“ (engl.) aus.
Litomerice passierten wir gerade, als die Kirchglocken zum Sonntags-Gottesdienst
riefen und die Sonne angenehm auf den Rücken schien. So lieben wir das Rad
fahren. Die Stadt wirkt friedlich und gemütlich. Tag Drei der Tour begann
äußerst angenehm. Wenig später wird es dann nachdenklich, wir kommen Terezin,
was auch als Theresienstadt weithin bekannt ist. Einst war es eine Garnison und
ein Gefängnis für politische Gegner der Habsburger Monarchie. Ab 1941 wurde es ein
Ghetto für die jüdische Bevölkerung. Bis zum Ende des Krieges wurden hierher
150.000 Menschen, hauptsächlich aus Böhmen und Mähren, von den Nazis deportiert.
Jetzt beschlossen wir den Elberadweg zu verlassen. Ein
Radweg nur für Radfahrer war es sowieso schon lange nicht mehr, eher ein Netz
von kleinen Straßen die kreuz und quer über Umwege zu jeder noch so belanglosen
Sehenswürdigkeit führen. Ein Schild lockte uns mit 58 Kilometer bis Prag von
diesem Gewusel weg auf eine normale Überlandstraße. Auf dem Radweg wäre es fast das Doppelte an
Wegstrecke gewesen. Irgendwie klappte das dann aber auch nicht so Recht, denn
50 Kilometer später waren wir erst in Melnik auf etwa der halben Strecke bis
Prag. Hier verabschiedeten wir die Elbe und begrüßten die hier mündende Moldau als unsere neue Gastgerberin.
Wir folgten nun dem sogenannten Moldau-“Radweg“ oder seinen
Schildern, was großer Mist war, da wir gleich zu Beginn für eine Stunde durch
verschlammte Waldwege gelotst wurden. An ein schnelles vorwärtskommen war nicht
mehr zu denken und so sank die Durchschnittsgeschwindigkeit auf 15 km/h.
„Plötzlich wurde aus Gleit- und Rollreibung Haftreibung, die du mit
deiner aus Muskelkraft umgewandelten Vortriebskraft nicht mehr überwinden
konntest. Da kam dann deine potentielle Energie, weil du dich über dem Erd- oder Schlammboden befandest, zum
Tragen und du wurdest schlagartig mit
geschätzten 9,81 m/s² Richtung Erdmittelpunkt beschleunigt und kamst erst
wieder in einer tiefen Pfütze zum Stillstand.“, so erklärte Konrad mit seinen
sechs Semester Physik Studium meinen Sturz in eine Pfütze. Klingt witzig, mich hat
es aber „übelst angekotzt“ (nochmal Zitat Konrad).
Zwischen Melnik und Kralupy erwies sich dann unser
bikeline-Radreiseführer für den Moldauradweg als vollkommen falsch
recherchiert. So fuhren wir komplett sinnlos auf einer stark befahrenen Straße
einen Berg hinauf, inhalierten dabei schön und tief die Skoda-Abgase, nur um
dann den Berg 20 Grad weiter links wieder runterzufahren. Was ist das für eine
Philosophie in den Radführer? Mal quält man sich langsam wie eine Schnecke
einen Schlammweg entlang, das andere Mal – nur wenige Kilometer später - ist man zwischen Lärmschutzwänden auf einer
Transitstraße gefangen. An einer Tankstelle tanken wir erstmal Pepsi und kaufen
zudem eine ordentliche Karte von dieser Gegend. Weiter ging es dann direkt an
der Moldau auf einem sehr guten Radweg, doch als dieser jäh endet, müssen wir
das Moldautal verlassen und im schattigen Wald bis hoch über die Moldau fahren.
Hinauf ging es ganz gut, die Steigung war moderat und der ruhige Wald eine
angenehme Abwechslung, auf der anderen Seite hinab war es dann eher etwas für
Downhill-Mountainbiker. Von hier bis Prag konnten wir nun wieder direkt an der
Moldau fahren.
Die ruhige Idylle am Fluss, die langsam untergehende Sonne,
die Nähe zu Prag, all das setzte in uns neue Energie frei und so vergaßen wir
die Strapazen der letzten drei Tage und flogen nach Prag hinein. Prag selber
hat erstaunlich gute Radwege in erschreckend runtergekommenen Gebieten. Für
Goethe war Prag „der schönste Stein in den Steinkronen der Welt“ und für das
Stadt- und Touristenzentrum gilt das freilich noch immer oder mehr den je, die
Karlsbrücke, die Prager Burg und der Markt - aber davor und danach kam wieder
das bedrückende Gefühl hoch, was ein immer wieder in Tschechien einholt.
Bestimmt würde es Dresden und der gesamten sächsischen Region nicht besser
gehen, hätte es den Niedergang des SED-Staates, die neue starke Währung und
später die Einführung des Soli-Beitrages nicht gegeben. Es brauchte die neuen
und nötigen Rahmenbedingungen der Politik damit Investitionen getätigt werden
konnten und so Geld in das Land floss. Jetzt kann man mit Fug und Recht Stolz
auf Dresden sein. Keinen Zweifel habe ich daran, dass die Europäische Union mit
ihrem gemeinsamen und wahrlich grenzenlosen Wirtschaftsraum auch in Tschechien
herrliche Früchte tragen wird. Nicht jeder für sich, sondern alle gemeinsam.
Auch in Krisenzeiten, sollte so die Devise lauten.
Nach einer kurzen Stadtrundfahrt schlagen wir südlich von
Prag zum ersten Mal auf der Tour und direkt an der Moldau unser Zelt auf, genießen
den Abend und die Nudeln. Nachdem diese alle waren, fühlte ich mich noch immer
hungrig beziehungsweise unterzuckert, so dass ich unseren kleinen Honigproviant
pur und ohne Brot zusätzlich aufessen musste. Ich war, im Gegensatz zu Konrad,
total platt. Laut Plan sollten wir Prag
nach 205 Kilometer erreichen, nun waren es 250 Kilometer von Dresden bis hierher. Wir
sind also 45 Kilometer zwischen Dresden und „Goethes Lieblingsstadt“ zu
umständlich gefahren. Zum einen wegen
Verfahrerei, zum anderen aber auch um die Unterkünfte zu erreichen oder
Einkaufsmöglichkeiten zu finden.
Am späten Abend gab es ein Feuerwerk über der Stadt.
# 4
|
Montag, 18.08.2008
|
Prag – Zvole –
Štěchovice – Kamyk – Orlik Stausee
|
95,5 km
|
6:00 h
|
av.
V
= 15,8 km/h
|
↗ 1217 hm
|
↘1028 hm
|
av. P =
80 W
|
19°C - 30°C, Sommer-Sonnenschein
|
798 CZK (Kronen)
|
|
|
|
|
Die Nacht war
kalt und wir beide haben in unseren Schlafsäcken jede Stunde davon bitterlich
gefroren. Es ist August und da der August bekanntlich zu den Sommermonaten
gehört, hatte ich den teuren Daunenschlafsack daheimgelassen und an seiner
Stelle das leichte Kunstfasermodell gewählt. Vor allem, weil es mich nicht
stören würde, wenn dieser nach der Reise nicht mehr zu gebrauchen wäre. Vor
drei Jahren – auf unserer Radtour an die französische Atlantikküste – haben
nach und nach Unmengen Sand, Cola, Rotwein und sogar Jim Bean ihren Weg in das
Futter gefunden. Am Ende wurde aus dem einstigen Schlafsack (französisch: Sack
du Schlaf) der sogenannter Sack du Dreck.
Dieses Schicksal wollte ich meinem Daunenschlafsack ersparen und deswegen
bibberte ich bis zu den ersten Sonnenstrahlen in meinem ehemaligen Sack du
Dreck, welcher aber inzwischen gereinigt wurde und daher seinen Namen nicht
länger tragen darf. Konrads Schlafsack sah schon zusammengepackt so winzig aus,
dass ihm jeglichen Dämmmaterial zu fehlen schien und er ebenfalls nicht wärmen
konnte. Zwei Fehler kamen in dieser Nacht an der Moldau zusammen: Die dünnen
Schlafsäcke und der Verzicht auf Isomatten, welche einfach keinen Platz mehr in
unserem Gepäck hatten. Zum Glück geht’s gen Süden.
Nach ungefähr
einer Stunde hatten wir unseren gesamten Hofstaat in die Taschen gepackt und
konnten losfahren. Kurz mussten wir noch warten, um die Zeche für die Nacht zu begleichen,
denn man hatte als Pfand dafür meinen Personalausweis einbehalten.
Nachdem wir die 400 tschechischen Kronen bezahlt hatten (15€!!!) drückte
man mir freundlich den Personalausweis unserer Zeltnachbarn in die Hand,
welcher mir aber erstaunlicher Weise nicht in einem einzigen Aussehensmerkmal
glich. Sehen für die Prager alle Deutschen gleich aus, so wie es zum Beispiel
für den Europäer die Chinesen tun? Rennt jetzt ein rothaariger Typ mit meinem
Ausweis durch Böhmen? Cool bleiben! Nach einer kurzen Suche in Ordnern und
Kisten findet man dann auch endlich den Ausweis, der mein Bild und meinen Namen
trägt. Ich bin froh. Ich habe sowieso immer ein schlechtes Gefühl, wenn ich
sowas aus der Hand geben muss. In Zukunft ist es vielleicht kein Fehler ein
oder zwei Ersatzexemplare bei sich zu führen. Den Reisepass würde ich sowieso
niemals aus den Augen lassen.
Die ganze
Nacht konnten wir den Verkehrslärm der stark befahrenen Straße auf der anderen,
der östlichen Moldauseite, hören und so entschließen wir uns weiterhin
diesseits zu bleiben und so gezwungener Maßen dem bikeline-Ding Folge zu
leisten.
Nach 13 Kilometer,
die wir ein gutes Stück im Windschatten anderer Radreisender fuhren (Hey, wir
hatten noch nichts im Magen!) fanden wir in dem kleinen Ort Vrané nad Vltavou
einen Supermarkt mit dem biblischen Namen Eden.
Wir kauften da die üblichen Energielieferanten: Cola, Rosinenzopf und Marmelade
für jetzt und Nudeln für später. In einem kleinen Park frühstückten wir auf dem
Gras und beobachten drei kleine Kinder die an einem Stamm in einen Nadelbaum hineinkletterten.
Ratz-fatz ging das und dann tobten sie da oben eine Weile. Wir sahen nichts,
hörten nur ihre fröhlichen Stimmen, die in etwas zeigten wie hoch sie waren.
Ein wenig erstaunt gucken wir schließlich, als dann vier statt drei Kinder den
Baum wieder runterkamen. Wo kam das eine her? Oder war das die ganze Zeit schon
da oben gewesen und hatte uns heimlich beobachtet?
Direkt nach dem
Frühstück wurde es knackig: Auf vier Kilometer Länge überwanden wir 200
Höhenmeter bis nach Zvole. Ich weiß nicht was den Autor des
bikeline-Radreiseführers geritten hat diesem Berg nur ein einziges Anstiegssymbol
in der Karte zu geben und dem Berg vor Prag gestern fünf Stück. Dieser
besagte Berg gestern war ein Kilometer kürzer und erreichte nur 100 Meter
Höhenunterschied. In allen Kriterien in welche man einen Berg einteilen kann
(Länge, Höhe und Anstiegswinkel) war der heutige Berg anspruchsvoller. Trotzdem
gab es nur ein Anstiegssymbol. Überhaupt: Ein Buch zu verkaufen, das den
Namen Moldauradweg trägt, ist eine fiese
Täuschung. Es gibt keinen Radweg an der Moldau. Es gibt nicht mal durchgängige
Straßen an ihr. Man sieht die Moldau kaum, nur dann wenn ein Städtchen an ihr
liegt, verlässt man kurz den Bergwald und kommt ins Flusstal hinab. Danach
geht’s sofort wieder weg vom Fluss irgendwelche x-beliebigen Straßen durchs
Hinterland entlang. Der Begriff “Moldau-Radweg“ suggeriert dem geneigten
Radtouristen etwas anderes, fast gegenteiliges. Aber was rege ich mich auf.
Oben
angekommen irrten wir eine Weile durchs Hochland, fuhren dann wieder runter ins
Tal, dann wieder hoch. Für fünf Kilometer Luftlinie brauchten wir anderthalb
Stunden. Von nun an misstrauten wir allen Empfehlungen des Radreiseführers.
Wir fuhren
noch einmal auf einer Dorfstraße hinab an den Fluss und folgen nun der großen
Straße von Štěchovice bis Kamyk, welche
wir die ganze letzte Nacht ihres Verkehres wegen gehört hatten, die aber nun kaum
noch befahren wurde. Man hat beim Tourenfahren sowieso
immer die Qual der Wahl: Schöne, ruhige,
landschaftlich reizvolle Strecken auf denen man aber leider nur selten direkt
zum Ziel kommt oder eben die größeren Überlandstraßen, welche direkt von Stadt
zu Stadt auf dem schnellstem Wege führen. Man fährt recht eintönig dahin und
manchmal ist der Verkehr belastend, zumal die Tschechen sehr rücksichtslos
fahren.
Direkt auf der
Überlandstraße 102 hinter Štěchovice steht
wieder ein fetter Berg an. Eine Stunde nur Berg an. Eine Stunde Qual. Kein
Anstiegssymbol im Radreiseführer… Oben angekommen kaufen wir entnervt in einer
Tankstelle einen “Atlas s Cyklotrasami“, eine Radatlas für das gesamte Land und
WD40-Öl um den Leichtlauf der Kette etwas nachzuhelfen. Hier treffen wir unsere
Zeltnachbarn von heute Morgen wieder, spätestens jetzt hätten wir die Ausweise
tauschen können. Nebenbei ist es auch eine letzte bezeichnende Kritik am
bikeline-Reiseführer, dass sie uns niemals eingeholt, dennoch aber irgendwo
überholt haben.
Geplant war das Zelten für die heutige Nacht in Kamyk. Dort
finden wir allerdings keinen Zeltplatz. Nach wie vor können wir nur ein Wort
auf Tschechisch und dieses eine Wort auch nur lesen und nicht aussprechen. An
Informationen von Einheimischen kann man so leider nur sehr spärlich gelangen
und so suchen wir ziel- und planlos vor uns hin. Es wurde langsam Abend. Der
ganze Tag war bisher eine Enttäuschung. Wir haben nur mit der Wegsuche verbracht,
dazu kamen wir kaum vorwärts, weil das Höhenprofil gemein und kräftezehrend war
und die Straßen oft nur über gewaltige Umwege ihr Ziel fanden. Für den heutigen
Tag wäre ein Navigationsgerät nicht schlecht gewesen, aber darauf zu
verzichten, empfinden wir beide nicht als Fehler, sondern als prinzipiell
richtig. Denn schließlich versuchen wir unser Ziel aus eigener Kraft zu
erreichen und dazu gehört eben auch das Navigieren nur mit Karte. Auch wenn das
heute ziemlich in die Hose ging und dadurch sehr frustrierend war.
Ich wollte den Tag am liebsten sofort beenden und direkt an
der Moldau wild campen, eine Lichtung direkt am Wasser versprach zwar keine
Dusche, dafür aber einen ruhigen und idyllischen Abend an der Moldau. Doch
Konrad zog es weiter zum Orlik-Stausee und als uns dann im Wald der erste Mensch
begegnete der Englisch und zu allem Überfluss auch noch Deutsch sprach, wussten
wir, dass wir dort auch hin müssen, denn dort gab es einen richtigen Zeltplatz
mit allem drum und dran und hier eben nur Wald und Moldau und Campingverbot.
Eine nützliche Information gab man uns noch mit auf den Weg: In Kamyk wurde Mission Impossible 2 mit Tom Cruise
gedreht. Gut zu wissen.
Ein Berg noch und wir kamen am größten Stausee Tschechiens an. Der letzte Ritt hatte sich wirklich
gelohnt. Wir fanden eine traumhaft schöne Landschaft vor und der Zeltplatz
kostete weniger als die Hälfte von dem in Prag. Die Sonne geht hinter den
bewaldeten Hügeln unter. Manchmal dachte man heute, vom Profil und von der
Landschaft her, dass man im Schwarzwald wäre. Hier am See könnte man wunderbar
ein paar Tage Badeurlaub machen oder mit dem Rennrad von hier aus Touren
unternehmen.
Über 1200 Höhenmeter in Summe heute können sich echt sehen
lassen, oft möchte ich solche Tagesetappen aber nicht mehr haben, schließlich
schleppen wir noch die ganzen Sachen wie Klamotten, Kochzeug, Essen,
Gaskartuschen, Zelt, Schlafsäcke, Karten, Reiseführer, ausreichend Wasser und
so weiter mit uns rum, was ganz schön schlaucht. Bevor das letzte Tageslicht
verschwindet werden die Fahrräder wieder auf Vordermann gebracht, damit wir
morgen besser vorwärts kommen als heute. Ich habe leise Zweifel, dass wir es
mit der bisherigen Effektivität nicht in der vorgegebenen Zeit bis in Türkei
schaffen. 350 Kilometer in vier Tagen sind enttäuschend und demotivierend
obendrein.
Vor dem Schlafen gönnen wir uns in der Gaststätte des
Zeltplatzes ein Bier und erfahren, dass man mit dem Auto von Dresden ungefähr vier
Stunden bis zum Orlik-Stausee braucht.
# 5
|
Dienstag, 19.08.2008
|
Orlik Stausee –
Milevesko - Týn nad Vltavou - Budweis
|
97,1 km
|
5:36 h
|
av.
V
= 17,3 km/h
|
↗ 798 hm
|
↘745 hm
|
av. P =
60 W
|
16°C - 32°C, Sommer-Sonnenschein
|
522 CZK (Kronen)
|
|
|
|
|
Der Tag hatte
eigentlich nur ein Ziel: Vorwärtskommen, in den letzten Tagen hatten wir ja viel
Zeit verloren.
Vom nördlichen
Rand des Orlik-Stausees fahren wir nun erstmal ein ganzes Stück weg von der
Moldau. Die Straßen sind ruhig und kaum befahren und so kann man Südböhmen
genießen, wenn man die Luft dafür hat. Es ist angenehm, so von Dorf zu Dorf zu
fahren, ohne nennenswerten Straßenverkehr. In einem kleinen Tante-Emma-Laden
ohne Selbstbedienung kaufen wir Cola, um
Energie für den Tag zu haben. Gestern hatten wir keine Mittagessenspause
gemacht, da wir beide nie ein richtiges Hungergefühl bekamen, CocaCola und
Pepsi sei dank und das obwohl der Tag anstrengender als alles davor gewesene
war. Heute machten wir es wieder so. Die Verkäuferin in dem Tante-Emma-Laden
schimpft mir etwas auf Tschechisch zu, weil ich die Kulisse (Frau hinter großer
Waage bedient die Kunden und holt jedes Produkt einzeln aus dem einen Regal)
photographiert hatte.
So richtig kommen
wir nicht vorwärts heute. Wir standen
spät auf und brauchten ewig zum einpacken. Konrad hatte dann auch noch ein komisches Geräusch
am hinteren Ritzelblock… Dann suchten
wir Frühstück, fanden den Tante-Emma-Laden -aber nichts zu essen. Wir verfuhren
uns, fanden dadurch einen kleinen Supermarkt, genossen das Frühstück und die
Sonne: 12 Uhr hatten wir erst 20 km weg.
Zum Glück
hatte Konrad heute einen echt guten Tag und so fuhren wir dann doch recht
zielstrebig über Milevsko. Hier machten wir noch kurz einen Stop, um Sonnencreme und Gas zukaufen. Letzteres
fanden wir zwar nicht, aber wir hatten auch noch genug mit. Weiter ging es via Bernartice bis nach Týn
n Vlt die Straße 105 entlang. Zwischendurch machten wir Pause (ja schon wieder,
aber es wurde immer heißer.) an einer funktionierenden Wasserpumpe und
erfrischten uns.
In Týn, an dem Zusammenfluss von Moldau und Lausnitz, hatten
wir die ersten 24 Stunden auf dem Fahrradcomputer weg, also 24 Fahrradstunden
waren wir von Dresden entfernt. Früher war Týn mal ein Zentrum des Handels mit
Salz gewesen, welches aus dem Alpen hier her kam und dann auf Flößen bis nach
Prag gebracht wurde. Mit der Erfindung der Eisenbahn starb diese Tradition aber
aus.
Nun wollten wir wieder direkt an der Moldau weiterradeln,
doch leider war nach ein paar Kilometern Schluss. Die Brücke die uns über den Fluss helfen
sollte, wurde dank EU-Mitteln gerade neu gebaut. Selbst wenn wir die
Verbotsschilder missachtet hätten und auf die Brücke gefahren wären, wären wir
doch dort dann im frischem Estrich hängen geblieben. Wir hatten uns
vergräppelt! Vergräpellt ? Ja!
Vergräppelt! Eine Wortneuschöpfung
unsererseits, die nun schon seit 3
Jahren Bestand hat! Damals radelten wir
von Hamburg nach San Sebastian und schon kurz hinter der Hansestadt fuhren wir
in den kleinen Ort Gräppel, in welchen nur eine Straße hineinführte, ein
Sackgassenort sozusagen. Also mussten wir wieder umkehren und haargenau denselben
Weg zurückfahren. Seither heißt dieses Ärgernis „vergräppeln“. Ich hoffe, dass dieses Wort irgendwann mal den Weg in den
Duden schaffen wird, mein Microsoft Word kennt es schon.
Eine Stunde später waren wir wieder in Týn und wieder auf
der Straße 105, die nun aber wieder stärker befahren war. Ein langen zähen Berg
fuhren wir in der knalligen Sonne hoch, die Fahrradreifen machten auf dem
Asphalt Schmatz-Geräusche. Hier ungefähr verbrannten wir uns die Haut trotz
Sonnencreme, die durch den Schweiß vermutlich immer wieder abgespült wird.
8km hinter Týn war der Berg endlich zu Ende und wir bekamen
direkt neben uns das bedrohlich wirkende Kernkraftwerk Temelin zusehen. Zwar
sind nur 2 der 4 Reaktorblöcke in Betrieb, aber dennoch ist es mit über 2000 MW
das leistungsstärkste Kernkraftwerk Tschechiens. Auch wenn es hier noch nie
einen Störfall gab, ist es kein schönes Gefühl direkt daneben langzufahren.
Dessen ungeachtet ist es wichtig, denn
durch seine Platzierung im Süden des Landes können Regionen mit der Elektrizität versorgen
werden, die von anderen Energiequellen, wie den Kohlekraftwerken im Norden des
Landes, weit entfernt sind.
Die Straße
führt uns direkt nach Budweis, wo wir auf wunderbare Radwege ausweichen, die
durch Wälder und Parks, an Fußball-, Baseball- und einem Golfplatz
vorbeiführen. Wenig später sehen wir Zelte auf einer Kanutrainingsanlage, die
es in Tschechien wirklich häufig gibt. An vielen Stellen hat man der Moldau ein
Wehr gebaut und direkt daneben durch das Gefälle eine künstliche Wildwasserbahn
erschaffen. 2000 und 2004 holten die Tschechen mit ihrer 2008er Fahnenträgerin
Štěpánka Hilgertová bestimmt auch genau deswegen Gold bei den Olympischen
Sommerspielen in Sydney bzw. Athen.
Wir durften
unser Lager auch bei den anderen Zelten aufschlagen, auf einer Insel zwischen
Moldau und Wildwasserbahn sozusagen. Wichtig an einem Zeltplatz sind allein die
Duschen und die waren auch hier wieder vorhanden. Der Preis für die
Übernachtung lag heute bei 110 CZK (4€). Gestern: 190 CZK, vorgestern in Prag:
400 CZK. Eine äußerst positive Entwicklung.
# 6
|
Mittwoch, 20.08.2008
|
Budweis –
Český Krumlov – Rozmberk – Vyšší Brod – Bad
Leonfelden
|
84,3 km
|
5:05 h
|
av.
V
= 16,5 km/h
|
↗ 733 hm
|
↘404 hm
|
av. P =
100 W
|
17°C - 21°C, von Nieselregen bis sonnig
|
491 CZK (Kronen)
& 52,73€
|
|
|
|
|
Die Nacht auf
dem Zeltplatz war von Regen und Sturm geprägt, so dass ich zwischenzeitlich
schon Angst hatte, die Moldau könnte über ihre Ufer steigen und uns
wegspülen. Am Morgen aber stand, das Zelt wie eine Eins und die Moldau war kleiner
als am Vorabend, fast mickrig plätscherte sie vor sich hin. Vermutlich wurde
sie an irgendeinem Wehr zurückgehalten.
Wie an jedem
Morgen ging es nun an das zeitraubende Abbauen unseres Lagers. Heute fand es
seinen negativen Höhepunkt, weil Konrads Radfahrunterhose und seine liebste
kurze Hose nicht mehr über unserer provisorischen Wäscheleine hingen. Wir
suchten das gesamte Gelände ab, schauten in den Duschräumlichkeiten, fragten
die Kanuten um uns herum. Keiner hatte Konrads Sachen gesehen, so dass sich
langsam in uns der Verdacht festigt, Opfer eines Diebstahls geworden zu sein.
Dafür spricht auch, dass nur Konrads Sachen verschwanden, eben von der Leine an
der auch meine Sachen hingen. Meine Klamotten waren aber nur No-Name-Artikel,
während Konrad mit einer 80€-Unterhose von Craft und einer Adidas-Hose
ausgestattet war. Auch die TU Dresden Shirts hingen noch da, wohl weil die TU vergeblich versucht hat, den Status einer Eliteuniversität zu bekommen.
Wir warteten noch bis 11 Uhr, um
dem Besitzer der Anlage den Verlust anzuzeigen und unsere Handynummer zu
hinterlassen, damit falls… naja es hat sich nie jemand gemeldet.
Die Laune war
auf dem Tiefpunkt. Es wurden ja richtige Werte vernichtet und Konrad musste nun
mit einer viel zu großen Hose weiterfahren, die ständig rutschte und die er
eigentlich nur für den Besuch einer Moschee in Istanbul mitgenommen hatte, um
sie danach gar nicht mehr wieder mit nach Deutschland zu bringen.
Wir
durchfuhren die Bierstadt Budweis und aßen in einem geschlossenen Biergarten
unser Lidl-Frühstück, welches aus
Semmeln (anderswo in Deutschland auch Brötchen genannt), Frikadellen (anderswo
in Deutschland auch Buletten genannt)
und Pfannkuchen (anderswo in Deutschland auch Berliner genannt) bestand.
Es regnete leicht - unserer Stimmung angemessen. Budweis würdigten wir daher keines ernsthaften
Blickes. Auf dem Weg nach Český Krumlov gurkten wir wieder fernab der
Moldau durch das hügelige Südböhmen kleine Straßen entlang. Konrad musste
ständig eine Hand am Hosenbund lassen um dafür Sorge zutragen, dass die
katholischen Tschechen nicht seinen Allerwertesten präsentieren bekommen. Auf
Wiegetritt bei Anstiegen musste er gänzlich verzichten.
In Český
Krumlov, auch Krummau genannt, begannen wir, nach einer neuen radfahrtauglichen Hose zu
suchen. Krummau (ich nenne die Stadt ab jetzt mal bei ihrem alten Namen um
nicht ständig dieses Č und dieses ý umständlich schreiben zu müssen)
selber wurde scheinbar mitten in die Moldau gebaut. Zumindest schlängelt sie sich wie eine
Schlange dicht an den Häusern durch die Stadt. Eigentlich wie die Seine in
Paris. Viele jahrhundertealte Gebäude, gebaut von den Witigonen im 13.
Jahrhundert oder später von den Rosenbergern, findet man hier. Die UNESCO müht
sich um deren Erhalt.
Hinter Krummau
weichen wir wieder von dem sogenannten Moldau-Radweg ab und radeln eine wenig
befahrene Straße direkt an der Moldau entlang. In einem, mir jedoch namentlich entfallenem, Städtchen
finden wir, für umgerechnet 4 €, eine Hose
für Konrad. Ihr knalliges Rot und das Hawaii-Hemd-Muster sind ebenso hässlich
wie die - von runtergekommener Industrie und dem Bergbau geprägten – Stadt in
der wir das gute Stück erwerben.
Von nun an wurde
die Landschaft immer schöner, immer ruhiger und verträumter. Ringsherum ist ein
tiefer und dunkler Wald. Die Moldau ist hier noch kein richtiger Fluss, eher
ein großer murmelnder Bach, der unberührt seinen Weg dahin fliest. Am ehesten
hier würde Bedřich Smetana seine Moldau wieder erkennen. An so vielen
anderen Stellen hat sie sich gewiss durch Bebauung, durch riesige Staumauern
und viele Wehre komplett verändert. Aber hier macht das wohl keinen Sinn und so
kann man sich an der unberührten Natur erfreuen.
Leider wird
der Frieden jäh gestört, mein Fahrrad fährt sich plötzlich unheimlich schwer.
Erst dachte ich noch es liegt an mir, aber dann merkte ich, dass mit meinem
Tretlager irgendetwas nicht in Ordnung ist. Die Kettenblätter vorne schwanken
hin und her. Bald kann ich nur noch auf dem kleinsten Blatt fahren, auf dem Zweiten
und Dritten wird die Kette immer
runtergezogen. Im bildschönen Rozmberk merken wir bei
einer Eis-Pause, dass wir dieses Problem mit unseren Mitteln nicht lösen
können. Also weiter durch den
hochwachsenden Wald im niedrigsten Gang Richtung Vyšší Brod. Es passt ganz gut,
da es konstant flussaufwärts berghoch geht.
Mit immer größer werdender Angst vor einem plötzlichen
Komplettausfall meines Tretlagers erreichen wir den Ort. War Rozmberk noch ein
malerischer Ort, den man so auch in bayerischen Touristenregionen wiederfinden
könnte, ist Vyšší Brod das genaue Gegenteil. Wir sind in Grenznähe: Also finden
sich überall Ramschstände, an denen man
Markenprodukte zu verdächtig günstigen Preisen und niedrigen Qualitätsmerkmalen
findet. Da man als Radfahrer Nichtraucher ist, interessieren wir uns auch nicht
für preiswerte Zigaretten aus wer-weis-was. In einer Touristeninformation im
Zentrum der Stadt erfahren wir, dass der nächste Ort mit Fahrradladen Krummau
ist oder eben war. Nochmal 20km zurück? Nö – bitte nicht. Also fragen wir einen
Automechaniker, der uns zwar nicht direkt helfen kann, aber einen
„Service“ kennt, der das machen soll.
Von diesem „Service“ weiß sonst niemand in dem Ort, also finden wir ihn nicht. Nur
einen Rasenmäher-Reparateur-Servis finden wir schließlich am Ortsausgang von
Vyšší Brod. Aber auch der kann uns nicht helfen, obwohl er gerne würde, da das
Tretlager nicht locker sondern gebrochen ist. Ersatzteile finden wir hier
nicht, versichert er uns. Er meint wir müssen über die Grenze nach Österreich:
„Da findet ihr zu 90% Hilfe, schließlich ist es Österreich“, waren seine Worte.
Gut, dass es genau auf unserem Weg
liegt. 12 km sind es noch.
Mit gebrochenem Tretlager fahren wir den Berg zum
Grenzübergang hoch. Vor der Grenze geben wir noch schnell in einem Supermarkt
all unsere Restkronen für das Lebensnotwenige aus: Nudeln und Süßigkeiten, bis
die Taschen rammel voll sind. Dann, am fast höchsten Punkt, kommt das langersehnte
Schild, welches uns zeigt, dass wir in Österreich sind. Österreich: Unsere
Brüder in Geist und Sprache, in Währung und in Fahrradlädendichte.
Hallo Österreich !
Das erste an jeder Grenze: Ein obligatorisches Foto mit dem
Wappen oder der Fahne des Landes in das wir einfahren. So geschah es auch an
der Grenze nach Österreich. Zu diesem Foto haben wir uns allerdings zwingen müssen, denn eigentlich
waren wir in Sorge wegen des Schadens an meinem Fahrrad und waren nicht so in
Happy-Posing-Laune. Konrad erzählte mir erst in Istanbul, dass er hier Angst
hatte, dass das das Ende der Tour sein könnte.
Was uns sofort hinter der Grenze auffiel: Auf dem Asphalt rollte man gleich viel
leichter dahin und die Wiesen waren bis zur Waldgrenze gemäht. Es lag kein Müll
mehr am Straßenrand und sogar die Sonne fing an auf uns zu scheinen. Es war
richtig schön hier. Am höchsten Punkt der Straße bot sich uns ein grandioser
letzter Ausblick auf Tschechien.
Nach zwei rasenden Abfahrten (man bedenke den tollen
Asphalt) erreichen wir den ersten Ort hinter der Grenze: Bad Leonfelden.
Hier kamen wir uns wie im Paradies vor: Erstens sprach man
unsere Sprache. So fanden wir schnell zu einem Fahrradladen mit Werkstatt. Der
Fahrradmechaniker wechselt das Tretlager flink aus und nebenan konnten wir uns
in der Zeit schöne Rennräder ansehen. Der Ring des Tretlagers war gleich
zweimal gebrochen. Ich weiß nicht was passiert wäre, wenn uns das in der
Walachei oder in Serbien passiert wäre, wo es einfach keine Fahrradläden gibt.
Wir hatten sozusagen Glück im Unglück. Insgesamt kostete uns der Schaden nur 35
€.
Zweitens scheinen in
Bad Leonfelden nur offene und freundliche Menschen zu leben. So zumindest war unser erster Eindruck,
während wir auf dem Marktplatz auf das Fahrrad warteten. Ein gemütlicher Mann
mit diesem herrlichen österreichischen Klang in der Stimme erklärt uns, dass
man hier auf jeder Wiese sein Zelt aufstellen kann, da sich keiner daran stört.
Eine Frau sucht ebenfalls das Gespräch, sie hatte auch gerade eine Fahrradtour
hinter sich und wusste um diese schöne Art des Reisens. Und so verging die Zeit
und wir mussten uns endlich aufmachen eine Schlafstelle zu finden. Völlig offen
gingen wir an die Suche heran. Einen Zeltplatz gab es nicht in diesem
idyllischen Ort, dafür war auf der Karte eine Jugendherberge eingezeichnet. Die
Touristeninformation war am Abend nicht mehr besetzt, dafür konnte man jedoch an
einem vollautomatisierten Terminal nach Unterkünften suchen. Sieh an, Bad
Leonfelden hat eine Jugendherberge. Ein paar Klicks weiter, beschrieb uns die
Maschine auch noch den Weg dahin.
Die Jugendherberge war dann gleich eine Ecke weiter, jedoch
hatte sie nicht geöffnet. Auf einem vergilbten Aushang war die Telefonnummer
des Hüttenwirts vermerkt. Ich hatte echt nicht erwartet, dass wir nur einen
Anruf von der absoluten Glückseligkeit entfernt waren, denn erstens ging jemand
ans Telefon und zweitens öffnete man extra für uns die Jugendherberge. Geil.
Eine ganze Jugendherberge nur für uns alleine und das günstiger als auf so
manchem Zeltplatz. Wir sind begeistert. Nachdem die Hüttenwirtin uns alles
gezeigt hatte und wieder gegangen war, breiteten wir uns in dem ganzen Gebäude
aus. Die Fahrräder standen sicher im Flur, in einem Waschbecken wuschen wir
nach 6 Tagen alle Sachen und trockneten sie in einem eigens dafür geschaffenem
Raum mit starkem Heizlüfter. Das Zelt wurde in einem anderen Raum ausgebreitet,
wo es uns nicht im Weg stand und trocknete ebenfalls. In der Küche hatten wir
einen Herd, Kühlschrank und sogar eine Geschirrspülmaschine, die unsere beiden
Teller und das Besteck säuberte.
Die Jugendherberge hatte das Flair einer Bergbaude durch
die rustikalen Tische, Stühle, Wandholzverkleidungen und die vielen
Gipfelfotos, welche uns beeindruckten. Der Erbauer der Hütte war wohl ein
großer Bergsteiger in den Alpen gewesen.
Es war ein sehr entspannender Abend in unseren eigenen vier
Wänden. Wir fanden im Ort sogar noch eine deutschsprachige Zeitung und konnten
uns so über den emotionalen Olympiasieg von Matthias Steiner im Gewichtheben
freuen, der zwar Deutscher ist, aber eigentlich aus Österreich kommt. Jetzt
sind wir in Österreich, sind aber eigentlich Deutsche. Irgendwie passt das. Wir
schliefen beruhigt ein. So unterschiedlich können Nächte sein: Gestern noch
stürmte und regnete es auf unser Zelt und wir wurden bestohlen und heute Nacht
gehört uns ein ganzes Haus.
# 7
|
Donnerstag, 21.08.2008
|
Bad Leonfelden - Linz –
Mauthausen - Ybbs - Melk
|
146,3 km
|
6:55 h
|
av.
V
= 21,1 km/h
|
↗ 235 hm
|
↘727 hm
|
av. P =
60 W
|
16°C - 32°C, sonnig, leichter Gegenwind
|
26,06 €
|
|
|
|
|
Wir schlafen aus.
Gerade als wir unseren Hofstaat halbwegs eingepackt hatten
und man nicht mehr das Gefühl haben musste eine Horde Hunnen hätte die
Jugendherberge besetzt, kommt die Putzfrau durch die Haustür geschritten um
nach dem Rechten zusehen. Sie wird keine Auffälligkeiten melden müssen, denn
wir verlassen die Jugendherberge genauso wie wir sie am Abend vorher
vorgefunden hatten. Nur den Strom- und Wasserzähler sollte sie nicht allzu
genau inspizieren. Wir haben es uns gut gehen lassen. Ihr Erscheinen ist für
uns aber dann das endgültige Zeichen nun
endlich den Arsch hoch zubekommen, weiterzufahren und Bad Leonfelden zu verlassen. Noch einmal fahren wir über den
kleinen Markt und am Fahrradgeschäft vorbei. Wir werden es für immer in bester
Erinnerung behalten. Das ganze Städtchen war eine äußerst positive Entdeckung.
Vielleicht komme ich eines Tages zu einem Erholungsurlaub wieder. Die örtliche
Kureinrichtung soll hervorragend sein.
Bis Linz und der Donau sind es von Bad Leonfelden nur 25 km
und da es 750 Meter über dem Meer, pardon 750 Meter über der Adria liegt, den
so heißt es hier in Österreich und Linz 260 müA liegt, konnten wir bis auf
einen Gegenberg immer bergab fahren. Dieser eine Berg war dann auch der einzige
des Tages (260 Höhenmeter), mehr noch: durch ganz Österreich, die Slowakei,
Ungarn und bis Kroatien hatten wir, da wir ja immer konsequent der Donau folgten,
keine Berge mehr zu erklimmen. Fast könnte man meinen, dass es so ein wenig
langweilig wird. Und tatsächlich fehlte uns bald schon die Abwechslung.
Noch eine Randbemerkung zur Höhenmessung über der Adria: In
Deutschland geben wir die Höhe über dem Meeresspiegel von Amsterdam, also der
Nordsee an, während die Länder des ehemaligen Kaiserreichs Österreich-Ungarn
den Meeresspiegel der Adria und zwar von Triest im Jahre 1875 als Bezugsgröße wählen.
Der Unterschied liegt bei zirka 30 Zentimetern. Bei Gelegenheit, wenn die
EU-Abgeordneten mal nicht so viel mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages
beschäftigt sind oder über den Status der Türkei verhandeln, wird man das
gewiss vereinheitlichen.
So, wir rasten also
mit einem Affenzahn nach Linz hinunter. Das hatten wir uns redlich verdient, da
wir der Elbe und der Moldau immer flussaufwärts gefolgt waren und so auf die
Höhe der Gipfel des Böhmerwaldes gekommen sind. Nun geht es auf der anderen
Seite hinab, zum Tal der Donau.
In Österreich schien gerade Wahlkampf zu sein, denn am
Straßenrand huschten viele Wahlplakate an uns vorbei. Die ÖVP verspricht
„einfach mal alles“ und stellt ihre Plakatwände taktisch so klug auf, dass man
die Plakate der anderen nicht richtig sehen kann. Der Grünenkandidat will sich
einfach mal gegen alles stellen: „Nicht mit mir“. Faymann von der SPÖ versucht es dagegen mit
Personenkult, mehr verraten seine Plakate nämlich nicht.
In Linz kaufen wir in einem Supermarkt Frühstück: Baguette
mit Schmelzkäse. Wir setzen uns hinter den Supermarkt auf den Bordstein. Das
Frühstücken zelebrieren wir immer und lassen uns durch nichts hetzen. Wir besprechen grob wie weit die Reise
heute gehen wird und wo man eventuell die Nacht verbringen kann. Ich muss immer
wissen was mich erwartet, außerdem müssen wir unsere Erwartungen an den Tag
noch abgleichen. Im Inneren sind wir beruhigt, da wir nun an der Donau sind.
Hier wissen wir von dem vorzüglichen Donauradweg, der uns problemlos bis Wien
und weiter geleiten wird. Die Zeiten des Verfahrens und Umherirrens sind nun
erst einmal vorbei.
Frisch gestärkt und super ausgeschildert folgen wir nun auf
dem Radweg direkt dem Fluss. Die Donau ist schon hier ein mächtiger und breiter
Fluss und an den Ufern sind Dämme und
Deiche auf denen wir gleichmäßig entlang langfahren. Nachdem wir Linz hinter
uns gelassen haben, sind außer Wasser, Deich und Auen erst einmal nichts
zusehen. Wir langweilen uns. Ziemlich undankbar sind wir, aber dennoch ist man nicht
mehr gefordert. Da wir wegen des Gegenwindes im Windschatten fahren, können wir
nicht einmal miteinander reden.
Das nächste Highlight ist ein großes Wasserkraftwerk, das die
gesamte Donau überspannt. Hier wechseln wir auf die Südseite der Donau,
vielleicht ist es da ja interessanter und tatsächlich fahren wir nun nicht mehr
direkt am Wasser, sondern kurven auf immer noch perfekten Radwegen mit
perfekter Beschilderung die „Moststraße“ entlang. Der Name suggeriert, dass die
Leute hier in ihren vielen Vierkanthöfen gerne Früchte ausquetschen und daraus Saft
fabrizieren.
Als nächstes freuen wir uns auf die älteste Stadt
Österreichs: Enns. Eines der ausgemachten Ziele vom Frühstück. Gedanklich sehe
ich mich schon den Stadtturm nach dem Wappen und dem Datum der Gründung
absuchen. Doch irgendwie schaffen wir es, einmal falsch abzubiegen und so an Enns vorbei
zufahren. Ohne es zu merken. Ohne die Stadt auch nur einmal von weitem zu
sehen. Ärgerlich. Der Radweg endet plötzlich an der Donau und eine Fähre nur
für Radfahrer setzt über. Wir wissen noch nicht genau ob über die Donau oder
den Zufluss Enns. Schließlich fahren wir erneut auf die Nordseite der Donau
nach Mauthausen. Enns verpasst. Da es uns aber auf der Südseite so gut gefiel
und hier auf der Nordseite der Radweg an einer großen Straße entlang geht,
fahren wir über die nächstbeste Brücke wieder zurück ins zauberhafte
Mostviertel.
An einer Bank machen wir Pause und entdecken einen
Gedenkstein. Die Inschrift ist schon fast eine Stilblüte. Hier wurde Franz
Petersei bei der Überfahrt von Russen erschossen. Warum, verrät der Stein
nicht. Nicht zu glauben, dass auch in dieser schönen Landschaft Krieg geführt
wurde und Kriegsverbrechen begangen wurden. Aber Mauthausen und sein KZ hatten
wir ja gerade hinter uns gelassen…
Der Radweg geht mal kurvig durch verträumte Dörfer auf
Wirtschaftswegen und ruhigen Nebenstraßen im Hinterland, mal geht er auch
direkt an der Donau entlang. Mal fährt man durch Felder und Apfelbaumwiesen,
mal sieht man Burgen an den Hängen der Donau wie in Wallsee oder auf der
anderen Donauseite die Greinburg und auch die Burg Werfenstein, wo sich das
Donautal verengt und die Granitfelsen bis ans Ufer reichen. Man kann sich gut
vorstellen, wie da der Burgherr ein glückliches Leben führte und früh nach dem
Aufstehen erst einmal einen entspannten Blick über seine Donau und die
angrenzenden Gebiete wirft. Er kontrolliert ob seine Vasallen auch alle schon
fleißig vor sich hin werkeln und begibt sich dann zum Frühstücken auf die
sonnige Terrasse. Dort hat dann der Mundschenk, neben Saft aus dem Mostviertel,
schon alles aufgetafelt, was die Felder und Ställe hergeben. Burgherr müsste
man sein.
Auf einem bewaldeten Hügel etwas später, thront eine
weitere Burgruine über der Ortschaft Freyenstein. Frauen sollten diese Gegend
in Vollmondnächten meiden, da dann der legendäre Donaufürst „Nöck“ vom Grund
des Stromes kommt und sie mit seiner Harfe in sein Unterwasserreich lockt.
Als es schon Abend wurde – ja, außer Burgenphantasie
passiert nicht viel - kommen wir nach Melk und schlagen unser Lager direkt an
der Donau auf einem Zeltplatz auf. Die Sonne ging bald farbenfroh unter. Das
passte zur Stimmung.
Die fast 150 Kilometer bei - zum ersten mal - über 20 km/h
im Schnitt heute merke ich kaum in den Beinen, Konrad vermutet dahinter wohl
eher im Scherze Doping, da ich am Abend vorher meine Mückenstiche mit
Fenistil-Gel behandelt hatte und diese Salbe Hydrocortison enthält, was ein Dopingmittel
sein kann. Daher weigert er sich dann auch, es selbst auszutragen und kratzt
lieber auf seinen Mückenstichen rum.
Ich gehe am Abend noch eine Runde in Melk spazieren. Das
Benediktinerstift ist in der Nacht herrlich von Scheinwerfern angestrahlt und
dominiert das Bild dieses Städtchen.
Nieder- und Oberösterreich sind sehr schön, gemütlich und
gepflegt. Auch ohne Berge an der Donau.
# 8
|
Freitag, 22.08.2008
|
Melk - Krems - Tulln -
Wien
|
141,6 km
|
7:17 h
|
av.
V
= 19,4 km/h
|
↗ 139 hm
|
↘127 hm
|
av. P =
60 W
|
17°C - 34°C, sonnig, leichter Gegenwind
|
20,30 €
|
|
|
|
|
Die Aufzeichnungen des heutigen Tages entstammen so
wortwörtlich Konrads Aufzeichnungen es sei denn die kursiven Anmerkungen ergänzen seinen Text:
„Melk – Wien 22.
August 2008 Tag 8
Es ist ja jeden Morgen das Gleiche: Schweinehund überwinden, aufräumen, auf den
verfluchten Drahtesel. Heute schaffen wir all das recht schnell und sind so
etwas eher unterwegs als erwartet. Heute wollen wir eine weitere Hauptstadt
aufsuchen. Auf dem langweiligen Radweg ja kein Problem. Und so radeln wir
dahin. Zwischendurch Frühstück (Baguette…) und
eine Limo mit dem Namen Schartner Bombe, die wir kauften, weil sie einen so ungewöhnlich aggressiven
Namen trägt.
Hier erfahren wir, dass ein Kilometer perfekter Radweg in Österreich eine Million Euro kostet. Eigentlich
sollten wir nämlich laut Radführer-Karte ein Stück Offroad fahren, doch
Österreich hat auf der Strecke dieses Jahr gebaut. Das Infoschild über den Bau
stand noch.
Anschließend fahren wir durch schönste Weinberge. Der
Moritz (der Weingourmet) hätte seine Freude. Auch hier wieder ein Gedenkstein,
für einen Elitesoldaten. Seine Todesursache steht nicht da, trotzdem fasziniert
so etwas.
Zur Mittagszeit, die Sonne steht kurz hinterm Zenit, machen
wir Pause. Vorher vertreiben wir noch zwei Mädels oder sie gingen von sich aus, dann machen wir uns auf der
Raststätte breit. Das Zelt wird
ausgepackt und in die Sonne gelegt, während ich mich im Schatten zur Ruhe bette.
Kurz schlafe ich sogar. Die Siesta hat den Beinen gut getan, doch sie wird wie
vor 3 Jahren -auf der Radtour von Hamburg
nach San Sebastian- mit Gegenwind bestraft. Und so kämpfen wir uns,
abwechselnd im Wind, bis Tulln. Hier kaufen wir Trinken und umfahren ein
Festgelände (so wie vorher ein großes Fest der Feuerwehren in dem
man uns aus Sicherheitsgründen (?) zwingt, die Fahrräder zuschieben). Aufgrund des
beim Soundcheck immer wieder gerufenen
„He-yah!“, vermuten wir ein Countryfest,
doch Beweise finden wir nicht.
Wir lassen die Countryklänge hinter uns und fahren auf dem
gut asphaltierten Radweg gen Wien. Ein oberkörperfrei er und bierbäuchiger Herr hängt sich in unseren Windschatten. Es hatte
ja, wie gesagt, gegen uns gewindet. Das betrachten wir gerade als Ansporn und
hacken richtig. (Hacken = volle Bulle
treten ohne rechts und links einen Blick liegen zulassen) . Doch der Mann
hält mit… Selbst eine zweite Tempoverschärfung vom Stefan bringt nichts. An
einer Weggabelung machen wir kurz halt und ich sage zu dem Windschattenfahrer:
„Sie sind gut mitgefahren!“ -Halb lobend, halb anklagend (Aber mal wirklich: er
hätte ja auch mal Führungsarbeit leisten können). Er lächelt zurück und sagt
ebenfalls lobend: „Ihr seid gut gegen den Wind gefahren. Danke.“ Das Lob nehmen
wir dann gerne an. An der besagten Weggabelung trennen sich unsere Wege und so
kommen wir zu einer Fähre. Wir lieben Fähren! Man kann entspannen, ein Foto
schießen und den Fluss genießen. Um die Fähre zu rufen, müssen wir eine
Metallfahne hissen und wenige
Augenblicke später tuckert auf der anderen Seite ein Boot los. Die Fahrt kostet
uns 5 Euro, der Fährmann ist ein uriger Typ, redet uns mit „Burschen“ an. Auf
der anderen Seite geht der Radweg gut weiter und wir stehen bald vor Wiens
Vororten. Hier wird nochmal Nahrung gekauft. Auch fragen wir uns, wo wir heute
schlafen werden, denn so richtig können wir auf keiner Karte einen Zeltplatz
finden. Mit dieser Ungewissheit fahren wir in Wien ein. Die Stadt wirkt ruhig,
etwas gemächlich. Mehrere Stadtstrände sind an der Donau aufgebaut. Kurz nach
der Urania fahren wir in die Stadt hinein, Richtung Prater. Der ist echt groß.
Viele Jogger, Skater, Radfahrer und Spaziergänger sind unterwegs.
Beim Ernst-Happel-Stadion, wo zwei Monte vorher das Finale der Fußball-Europameisterschaft
ausgetragen worden ist: Deutschland
verlor ja leider gegen Spanien. Alte Wunden öffnen sich wieder. Jedenfalls vor dem Stadion schieße ich
ein Foto von Stefan, langsam wird es dämmrig
und uns fehlt ein Platz zum Schlafen. Ich werde passiv aggressiv, will, dass Stefan mal „hinmacht“ und überhaupt: Wie
kann man Wien als Tagesziel ausgeben und dann nicht wissen wo wir schlafen
sollen?! In solchen Momenten werde ich immer sehr schweigsam.
Relativ schnell verlassen wir dann den Prater und kehren
zurück zur Donau. Nach einem gescheiterten Überquerungsversuch (nur
Eisenbahnbrücke) finden wir einen Weg auf die Donauinsel, der wir einen recht
langen Besuch abstatten. Die Sonne geht jetzt sehr schnell unter und wir haben
noch immer keinen Platz zum Schlafen. Es sollte wohl aufs Wildcampen
hinauslaufen…
O.k., wir fahren
noch ein paar Kilometer aus Wien heraus, dann checkt Stefan hinterm Deich die
Lage. Er findet einen Super-Schlafplatz. Doch kaum laden wir unsere Sachen ab,
da fallen die Mücken über uns her. Stefan wird sogar am Po gestochen. Wo zum
Teufel war das Autan?! Nachdem wir uns „autanisiert“ haben, kochen wir Essen,
während die Mücken einen Weg finden „unautanisierte“ Körperstellen zu erreichen
und gnadenlos zu zustechen. Ich fühle mich wie Mückenfraß! Man muss sich das so vorstellen: Eine ruhige unberührte Auenlandschaft,
direkt an der Donau, feuchte Wiesen und
ein milder Sonnenabend und vermutlich sahen diese 10 Millionen Mücken zum
ersten Mal zwei Säugetiere, welches sie nun aussaugen mussten. Also den
Pullover anziehen.
Nach dem Essen gehen wir nochmal an die Donau und Stefan
springt nackt ins Wasser… sowas ist nix für mich, ich stehe Schmiere. An diesem
Abschnitt der Donau wurden viele Ferienhäuser gebaut, doch heute Abend sind die
wenigsten erhellt. Als wir zurück zum Zelt gehen, merken wir, dass wir mitten
in der Einflugschneise des Wiener Flughafens campieren. Öfter dreschen über uns
Flugzeuge zur Landung.
Stefan hat ein bisschen Angst, erschlagen zu werden, weil
die Fahrräder recht instabil, sich gegenseitig abstützend, neben dem Zelt
stehen. Ich mache mir Sorgen wegen eines Försters oder Privatgrundbesitzers…, doch bis zum
Einschlafen (was recht schnell geht, sobald es dunkel wird) geschieht nichts
weiter.
Hoffentlich haben wir durch unseren generalstabsmäßig
geplanten Sturm ins Zelt den Mücken keine Zeit gelassen, uns zu folgen.“
Noch bevor Konrad
an diesem Abend einschlief, behandelte
er seine vielen Mückenstiche mit dem Dopingpräparat Fenistilgel. ;-)
Der oben genannte
Moritz ist ein Studien-, Wein- und FC Kaiserslautern-Freund von Konrad. Mit ihm
studierte er 6 Semester Physik.
In der Nacht
stürzten weder die Fahrräder um, noch wurden wir aus diesem Nationalpark
Donau-Auen vertrieben.
# 9
|
Samstag, 23.08.2008
|
Wien
– Hainburg - Bratislava (SK) - Rajka (HUN)
|
81,5 km
|
3:30 h
|
av.
V = 23,2 km/h
|
↗ 72 hm
|
↘130 hm
|
av. P = 80 W
|
19°C - 29°C, Rückenwind! heiter bis Regen
|
16,21 €
& 1700 HUF (Forint)
|
|
|
|
|
Konrad wachte schon sehr zeitig auf, es ist gerade Mal halb
7 als er sich aus dem Schlafsack schält und das Zelt öffnet. Daher geht heute
alles viel eher als sonst los. Nach zwei langen Etappen wollen wir nur eine
kurze fahren und ab Mittag schon wieder einen Zeltplatz suchen, um mal einen
freien Nachmittag ohne Fahrradfahren zuhaben. Wir visieren schon am Morgen den
Ersten hinter der ungarischen Grenze als unser Tagesziel an.
Wir fahren – wie gestern Abend – auf der Krone des
Marschfelddamms gen Osten. Da er fast immer sehr gut asphaltiert ist und wir
einen starken Rückenwind haben, legen wir die 30 Kilometer bis Hainburg
spielend einfach zurück. Das ist auch gut so, denn Frühstück hatten wir noch
keines und bis Hainburg gibt’s auch, außer stiller und unberührter Natur am
frühen Morgen, nichts.
Hainburg ist der letzte richtige Ort vor der Grenze, hier
geben wir unsere letzten Euro – die wir ja nun nicht mehr brauchen – für
Nahrungsmittelvorräte und Frühstück aus. An Samstagen ist immer höchste
Vorsicht geboten: Wer weiß schon, ob er
an einem Sonntag irgendwo im Niemandsland etwas Essbares oder Getränke kaufen
kann? Also wird im Pennymarkt der Stadt auf munitioniert.
In Hainburg fangen wir auch an, uns für die römische Vergangenheit an der
Donau zu interessieren, denn hier war einst ein wichtiger Kreuzungspunkt zweier
Handelswege. Zum einem nutze man die Donau schon damals um Güter von Westen
nach Osten zubringen, zum anderen kam hier die Bernsteinstraße an, die von der
Ostsee bis zum Mittelmeer reichte. Hainburg hieß damals Carnuntum, die Stadt am
Stein, wohl wegen des markanten Braunsberges am Ostrand. Auf Grund seiner
wichtigen strategischen Bedeutung, direkt am Limes des römischen Reiches,
wurde Carnuntum oft angegriffen,
besetzt, zerstört und wieder aufgebaut. Neben einigen Germanenstämmen hausten in
der Zeit der Völkerwanderungen auch die Hunnen hier. Im Nibelungenlied wird von
der alten Ruine der Burganlage oben auf dem Schlossberg gesungen. Die noch
heute erhaltenen 3 Stadttore, 15 Stadttürme und die Stadtmauer aus dem 13.
Jahrhundert zeugen davon, dass dieses Städtchen einst der wichtigste östliche
Vorposten des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation war. Die Ungarn - und
später die Türken - kämpften auch noch
um diese Stadt.
Genug von der Geschichte, denn für uns wäre hier in
Hainburg die Radtour fast zu Ende gewesen. Wir hatten uns nämlich, während wir auf
einer Bank frühstückten, mächtig gestritten. So sehr, dass wir ernsthaft in
Erwägung zogen, die gemeinsame Tour so bald und so günstig wie möglich zu
beenden. Diese Gedanken hatte aber jeder für sich, denn bis Bratislava fuhren wir
getrennt von einander. Wir redeten kein Wort und würdigten uns keines Blickes.
Es waren zwar nur 15 Kilometer, aber deswegen gibt es kein obligatorisches
Grenzübergangsfoto! Wenn die Spannungen auch nur die eine Stunde oder so
anhielten, war es doch bitter ernst: So
einen Streit hatten wir in über 10 Jahren treuer Freundschaft noch nie erlebt.
In Bratislava trennten wir dann unsere Güter, da sich unsere Wege trennen
sollten. Konrad hatte schon die schnellste Exit-Strategie über den Bahnhof von
Bratislava geplant. Ich wäre wohl erst mal alleine weitergefahren.
In dem Augenblick,
wo unser beider Traum, mit dem Fahrrad Istanbul zu erreichen, platzen sollte
und dass nicht wegen Krankheit oder Fahrradschäden, sondern weil ich meinen
Stolz nicht überwinden konnte, kehrte die Besinnung zurück. Unter der Brücke
beendeten wir den Streit, so schnell wie
er begann, wieder. Wir dachten beide
noch eine Weile über das eben passierte nach und dann fuhren wir weiter.
Bratislava und die ganze Slowakei interessierte uns nach
diesem Vorfall kein bisschen. Wir düsten einen weiteren Damm, auf einer Insel zwischen der
Donau und der Kleinen Donau, entlang.
Immer noch mit dem Wind im Rücken. Die Donau wurde links von uns immer breiter
bis es mehrere Kilometer bis zum anderen Ufer waren. Eine Strömung konnte man
nicht mehr ausmachen, denn viel Treibholz schien bewegungslos auf dem Wasser zu
stehen. Es sah aus wie eine Überflutung, aber es war keine, sondern eine
künstliche Aufstauung. Unser Aufenthalt in der Slowakei dauerte nicht lang: 20
Kilometer hinter Bratislava fuhren wir schon nach Ungarn ein.
Die Grenzregion war ein trostloser Fleck. Die Grenzanlage
wurde seit Jahren nicht mehr genutzt, weil man irgendwo eine andere gebaut
hatte und so verfiel alles. Die großen Fenster der Zollanlage waren
eingeschlagen. Schranken und Verkehrszeichen rosteten vor sich hin und so
langsam erobert sich die Natur beziehungsweise das Unkraut die Anlage zurück, die aber eben
für Radfahrer noch offen war. Zwei Autos mit Vogtländer Kennzeichen müssen aus
Ungarn kommend umkehren: Für Autos gibt’s hier kein durchkommen mehr. Der
Fahrer ruft dem anderen Auto diese Feststellung in perfektem sächsisch zu. Wenn
die wüssten…
Jetzt waren wir schon in Ungarn und mussten noch immer
keinen Ausweis oder gar den Reisepass vorzeigen, ja noch nicht mal einen
Grenzbeamten haben wir irgendwo gesehen. Die EU und das Schengen-Abkommen
machen Europa grenzenlos, im wahrsten Sinne des Wortes.
Für mich begann nun ein Abschnitt in Europa, den ich noch
nie zuvor gesehen oder besucht hatte. Konrad erging es genauso. Umso gespannter
waren wir. Doch Ungarn zeigte sich in den Grenzgebieten von seiner betrüblichsten
Seite. Als hätte man die Region vergessen, als seien die Bewohner ausgestorben
oder über die Grenze mit ihren Fahrrädern davongefahren. Breite Straßen aber
keine Autos, verfallene Bahnhofsanlagen, leere Häuser am Straßenrand. Im ersten
Ort hinter der Grenze, wo wir ja unser Lager aufschlagen wollten, war es nicht
anders. Keine Menschenseele konnte man finden. Eine Geisterstadt. Werden so die
infrastrukturärmsten Städte in den neuen Bundesländern irgendwann auch
aussehen? Vor einer Kneipe saß dann endlich ein menschliches Wesen, was uns beobachtete.
Wir hatten ein echt mulmiges Gefühl. Doch der Mann war sehr freundlich und er
versuchte sogar, ein paar Worte in Deutsch zusagen, nachdem wir ihn nach dem
Weg zum Zeltplatz fragten. Der Zeltplatz war ein Stück außerhalb: Inmitten der
Natur, zwischen Nebenflüssen der Donau und Kanälen, Wäldchen und Wiesen war ein
Haus an dem „Camping“ stand. Aber wir konnten keine Zelte entdecken. Außer uns
war erstmal niemand da, nur ein junges Mädchen, das hier scheinbar die
Geschäfte leitet.
Da erst Mittag war bauten wir das Zelt nicht auf, sondern
setzten uns unter eine Art riesigen
Pavillon und machten erstmal nichts. Der Himmel hatte sich zugezogen und es
fing leicht an zu regnen. Den ganzen Nachmittag bis zum Abend nutzen wir zur
Regeneration. Wir lasen, wir aßen Kekse, wir wuschen Sachen und versuchten sie
wieder zu trocknen, was aber wegen des leichten Regens nicht funktionieren
konnte. Ich spazierte ein wenig durch
ein Birkenwäldchen. Zum Glück hatte der Zeltplatz diese große überdachte
Terrasse, auf der es trocken war. Später kamen ein paar Kids von irgendwoher an
und spielten am Kicker. Den ganzen Tag
dudelte aus den Lautsprechern ein und dasselbe Alphaville-Album leise vor sich
hin: „It's easy, when you're big in
Japan. Aah, when you're big in Japan tonight -
Big in Japan be tight. Big in Japan - ooh the eastern sea's so blue..“
Und so weiter. Uns gefiel es.
Gegen Abend wurde es unter dem Dach langsam voller.
Anscheinend war das hier so eine Art Dorfdisko, wir verzogen uns in die hinterste
Ecke des Zeltplatzes, nutzen die Regenpause, bauten unser Zelt auf und kochten
Abendbrot. Wie IMMER: Nudeln.
Am Ende des Tages ist, wie am Morgen auch, eine klare Routine zu
erkennen: der Schlafsack, der Kopfkissen-Pullover und Wertsachen kommen ins Zelt;
Kochzeug, Lebensmittel und alles was Gerüche entwickeln
könnte (Schuhe) liegen unterm kleinem Vorzelt, den Rest wandert zurück in die
Gepäckträgertaschen, welche wir wieder ans Fahrrad klicken und dann kommt zum
Abschluss eine Fahrradplane als Regenschutz drüber. Es gibt einem doch ein
gutes Gefühl, wenn es regnet und man weiß, dass es dem Fahrrad gut geht und es heute
Nacht nicht rosten kann.
Zeitig gehen wir dann irgendwann vor lauter Langerweile
schlafen. Es wird ja aber auch Ende August schon schnell dunkel. Ein paar Meter
weiter haben slowakische Kanuten ihr Lager aufgeschlagen und machen ein Feuer,
welches ein schönes, leichtes Flimmern
auf die Zeltwand wirft. Tatsächlich fing
es wieder leicht an zu regnen. Wir bemerkten ein kleines Leck im Zelt und so
tropfte ein wenig Wasser herein. Das störte aber echt nicht weiter, an diesem
Abend nicht und überhaupt, denn: Es
sollte nie wieder auf uns regnen bis zum Ziel in Istanbul!
Eine kurze und leichte Etappe war das heute. Die Landschaft
wird immer flacher. Der Rückenwind half uns heute auch kräftig mit und
verschaffte uns eine recht hohe Durchschnittsgeschwindigkeit für
Radreiseverhältnisse. Aber das zählte alles nichts: Wichtig war, dass wir uns
wieder vertragen und verziehen hatten und gemeinsam und glücklich weiterfahren
konnten.
# 10
|
Sonntag, 24.08.2008
|
Rajka
- Györ - Komárom
|
102,0 km
|
4:36 h
|
av.
V = 22,1 km/h
|
↗ 81 hm
|
↘121 hm
|
av. P = 60 W
|
18°C - 31°C, Rückenwind! bedeckt bis sonnig
|
10164 HUF (Forint)
|
|
|
|
|
Heute überlasse ich wieder Konrads Tagebuch das Wort oder
besser die Schrift:
„Raika – Komárom
24. August 2008 10.Tag
Es ist relativ trocken im Zelt, sehr viel trockner als vor
3 Jahren an regenfreien Tagen. Zwar sind viele unserer Klamotten nass bis
feucht, doch mit: „Dein Körper ist eine 37°C heiße Heizung, da trocknet das
schnell.“ Überzeugt mich Stefan, die
Sachen trotzdem anzuziehen. Tatsächlich sind sie dann schnell trocken, auch
weil kaum eine Wolke am Himmel steht.
Vorbei an urigen ungarischen Dörfern, mit halbverfallenen
Häusern, aber auch edlen Villen aller Baustile, fahren wir zurück auf die Route
der Radkarte. Es ist Sonntag und wirklich voll ist der Backpacker auch nicht
mehr. (eine weitere Wortneuschöpfung:
Backpacker ist die Gepäckträgertasche die oben auf den seitlichen Taschen
aufliegt und so leicht zu öffnen ist. Da ist unser Essen drin. Ein „nicht
wirklich voller“ Backpacker ist ein Vorzeichen für einen Nahungsmittelengpass).
Erste Pflicht ist in es in solchen Situationen daher, Essbares zu finden. Nach rund 15 km (ich habe
mittlerweile mehrere Energieriegel gefrühstückt) halten wir an einer Art Bäcker. Mm, kein Bäcker, eher eine verrauchte Eckkneipe,
wo auch Törtchen und Kuchen verkauft werden. Ein kleiner Fernseher läuft und
zeigt etwas Olympisches. Ach ja Olympia. Ungarn hat im Wasserball gewonnen.
Gold? Bronze? Irgendwas? Quasi zum ersten Mal stört mich der mangelnde Zufluss
an Informationen. Zwei kleine Tortenstücke werden bestellt, aufgrund des
unerträglichen Zigarettenrauchs setzen wir uns draußen hin. Also mir schmeckt
die Torte, wie viele Kalorien sie wohl hatte? Viel = Gut.
In Györ, unserer ersten ungarischen Großstadt, heben wir
Geld ab. Also eigentlich macht das Stefan, ich halte draußen die Fahrräder.
Prompt werde ich angebettelt. Verdammt - wie hartnäckig direkt vor einer Bank.
Erstens habe ich nix, zweitens gebe ich nix und drittens verstehe ich nix.
Endlich kommt Stefan wieder und wird ebenfalls angebettelt. Hoffentlich werden
wir nicht gerade beklaut, ich bin besonders aufmerksam. Auch Stefan wimmelt den
Bettler ab und wir radeln weiter. Nach einem Kreisverkehr, wo wir leicht die
Orientierung verlieren, finden wir ein Einkaufszentrum. Und welch Glück?! Es hat zum Sonntage geöffnet! TESCO. Ein
kleiner Drogeriemarkt darin liefert uns neues Autan und eine Nagelschere. Wie auf der letzten Tour hatten wir sie
vergessen. Der Tesco liefert lecker Essen… also Nudeln und Cola.
Wie bereits erwähnt, wir wussten nicht mehr, wo es
weiterging. Ein zweiter Kreisverkehr folgt ungenügend ausgeschildert. Stefan
fragt in einer Tankstelle. Ja, die Richtung stimme. Aber die beiden
Tankstellenangestellten schienen sich auch über uns in irgendeiner Weise lustig
zu machen, sie zeigten zwar in die Richtung, lachten sich dabei aber kaputt.
Wie Dick und Doof. Nun endete die Straße dann an einer für Radfahrer verbotenen
Brücke. Haha, wie witzig. Ratlos stehen wir davor und wuchten die Fahrräder
gerade auf den 20 cm höheren Gehweg um so die Brücke zu überqueren, da kommt
ein kleiner Ungar auf einem Motorroller und fragt, in leicht brüchigem deutsch,
wo wir den hin wollen. Ach, diese freundlichen Menschen, man trifft sie überall
und vergisst so schnell die Trottel. Ohne
ihre Hilfe wäre so eine Tour sehr viel schwerer. Wir zeigen ihm die Karte, er
überlegt kurz, sucht nach Worten und gibt dann auf. „Hinterher fahren!“
Hinterher fahren? Das kommt mir bekannt vor, mussten wir doch vor 3 Jahren in
Holland hinter einem motorisierten Mädel her rasen. Doch der Ungar fährt nicht 50km/h,
er fährt nur 30km/h. Keuchen müssen wir trotzdem. Rund ein bis zwei Kilometer
geht die wilde Fahrt. Oder auch mehr, wir waren ja flott unterwegs. Schnell
noch wird uns eine bessere Route, als die des bikeline-Reiseführers, erklärt
und wir bedanken uns.
Dreißig Minuten später gibt es Mittagessen. Brot mit
Marmelade oder halt Käse. Es kommt dabei heute zu keinem Zwischenfall.
Dafür kommt leichter Wind auf. Stefan geht wieder vor in
den Wind. Schon nach kurzer Zeit verlassen wir die Route des
bikeline-Reiseführers. Die Straße wird leerer, aber auch schlechter. Leichten
Anstiegen, folgen leichte Abfahrten. Nach einer Autobahnüberquerung übernehme
ich die Führung und vorbei geht es an einer großen Gänse/Puten/Truthahn-Zuchtanlage
nach Komárom. Die Anlage war kilometerlang und stank bestialisch. Das ortsansässige
Thermalbad ist gut ausgeschildert, ohne gegräpel* wird es gefunden. Am ersten “ZELTplatz“ weist man uns
ab, Zelte seien unerwünscht. Am nächsten Zeltplatz nimmt man uns für den
fürstlichen Preis von 5700 Forint (25 €) auf. Inbegriffen ist jedoch auch der
Eintritt ins Thermalbad. Gut, da wollten wir sowieso hin. In der äußersten Ecke
des Zeltplatzes bauen wir das Zelt auf. Nachdem wir unsere Sachen aufgeräumt
haben, gehen wir ins Thermalbad.
Rote Armbänder mit
integriertem Chip öffnen uns die meisten Tore. Das erste Tor jedoch hat
einen Magnetstreifenkartenkontrollkasten und ein Schild weist an: „Tor immer
schließen!“ Die Tür bekommen wir wohl nicht auf. Eine Magnetkarte fehlt uns. Da
Stefan sich vor der dominanten, blonden Rezeptionsdame leicht fürchtet,
begleite ich ihn. Siehe da, man braucht gar keine Magnetkarte, das Tor ist
immer offen!!! Die Schilder und die Anlage sind nur Attrappe, Show. Aber uns
hat sie ja auch abgehalten, also scheint es zu funktionieren.
Im Bad wird jeder unserer Schritte durch die Armbandchips
verfolgt. Stolz präsentieren wir unsere Radfahrerbräune und die kantigen Waden.
Lustig hingegen machen wir uns über solariumsgebräunte Schönlinge.
Das Bad ist recht schön. Warmes, stark ionisiertes Wasser
umspült uns. Es hat einen so starken Auftrieb, dass ich mich schon leicht
anstrengen muss, um die Füße unter Wasser zuhalten. Auch mein Sonnenbrand
schmerzt im salzigen Wasser, doch das warme Wasser tut ansonsten sehr gut. Nach
einer Stunde Entspannen im Wasser legen wir uns an die frische Luft in
futuristisch anmutenden Hängematten und lesen unsere Bücher.
Als es dann kühler wir und die Sonne kurz vor dem
Untergehen ist, koche ich Essen und Stefan macht sich nochmal auf den Weg, auf
der Suche nach Gas. Er bleibt lange genug weg, dass ich mir Sorgen mache. Mit
Leckereien, aber ohne eine Gaskartusche, kommt er nach einer dreiviertel Stunde
wieder. Der Grund für sein langes Fernbleiben, lässt sich wohl am besten mit „I
hoabb niggs“ beschreiben: Dies waren nämlich die Worte eines Deutschen, der
beim Verlassen des örtlichen Tesco-Supermarktes die Diebstahl-Alarmanlage
auslöste. Die Security habe sofort reagiert, berichtete Stefan, und habe den
dicken Mann festgehalten. Woraufhin dieser ungehalten wurde und immer wieder „I
HOABB NIGGS!“ schmetterte. Ende offen.
Campinggas ist in Ungarn offenbar unbekannt. Stefan wird zu
Tankstellen und Supermärkten geschickt, doch Brennstoff bekommt er nirgends.
Am Abend gedenken wir des 1. Mm (=Megameter = 1.000.000 Meter = 1.000 Kilometer) unserer Tour.
Schnell noch weiße Schokolade gefuttert, dann wird geschlafen.“
*das Wort sollte
man inzwischen kennen.
# 11
|
Montag, 25.08.2008
|
Komárom – Komarno (SK) – Esztergom (HUN) -
Budapest
|
128,6 km
|
6:25 h
|
av.
V = 20,0 km/h
|
↗ 116 hm
|
↘138 hm
|
av. P = 60 W
|
17°C - 30°C, sonnig
|
10583 HUF (Forint)
|
|
|
|
|
Nach wenigen Metern verlassen wir heute nochmal kurz
Ungarn, als wir die Donau über die „Brücke der Freundschaft“ queren und nochmal
in die Slowakei einfahren. Auf der anderen Flussseite wartet Komarno. Dass die
beiden Städte so ähnlich klingen kommt nicht von ungefähr: Bis zum Ende des
ersten Weltkrieges war das eine Stadt, doch dann wurden die Grenzen neu gezogen
und die Stadt geteilt. Da wir Komarno nur an der Donau und am Hafen
kennenlernen, sehen wir außer vergammelten Industrieanlagen nicht viel. Wir verlassen
die Stadt über eine Buckelpiste und kommen wieder auf einen Deich heraus,
welcher allerdings nicht wie im Teil hinter Bratislava asphaltiert ist.
Auf dem Deich vor uns laufen einige Störche umher, sie
halten vermutlich Ausschau nach frischen Fröschen. Wir fragen uns warum sie
hier und nicht im ruhigen Ungarn auf der anderen Seite der Donau ihr Glück
versuchen. Als wir näher kommen fliegen sie davon. Uns hat es hierher
verschlagen, weil in Ungarn einige Berge auf uns gewartet hätten, die wir so gekonnt
und ohne einen nennenswerten Umweg umfahren. Die slowakische Seite ist platt
wie eine Flunder.
Unser Frühstück hatten wir noch vor der Grenze in dem
Tesco-Supermarkt gekauft, wo gestern der Bayer beim Klauen erwischt worden war.
Doch uns verschlägt es aus anderen Gründen dahin. Erstens lag es auf dem Weg
zur Brücke, zweitens ist das Angebot hier schier unersättlich, wir überlegen so
zum Beispiel , ob wir uns weiche Isomatten kaufen, weil es hin und wieder „ohne“
ziemlich hart und kalt auf dem Boden ist, aber wir richtigen Männer verwerfen
diesen Gedanken schnell wieder. Gaskartuschen finden wir keine, auch wenn es
hier sogar die passenden Kocher und sogar Lampen dafür gäbe. Drittens wollen
wir hier Lebensmittel kaufen um sie nicht in der Slowakei kaufen zu müssen, wo
wir extra slowakisches Geld abheben müssten.
Die Frühstückspause nahmen wir dann in den Überresten des
römischen Militärlagers Kelemantia ein. Viele Schilder erklären uns, wie sich hier das Leben vom 2. bis zum 4.
Jahrhundert nach Christi abgespielt haben soll. Immerhin war es gefährlich auf
dieser Seite der Donau, da man ja quasi im Feindesland war. Aber genau das war
gewollt, denn auch für die Römer war eine Überquerung der Donau schwierig und
es dauerte sicherlich lange, ein ganzes Heer hinüberzuführen. So hatte man dann
alle Mann gleich beisammen und konnte jederzeit aufbrechen und Germanen
aufschrecken.
Kurz hinter der archäologischen Fundstätte endet unser
Deich und wir müssen auf einer Landstraße weiterfahren. Viel Verkehr war zwar nicht, dafür fuhren die Wenigen
recht rücksichtslos und dicht an uns vorbei. An der Mentalität des Autofahrens kann man
deutlich die unterschiedlichen Nationalitäten der Fahrer erkennen: In Ungarn
fährt man sehr friedfertig, hingegen in Tschechien und der Slowakei viel
aggressiver. In den folgenden Staaten festigt sich diese Theorie weiter. Ich werde
sicher später noch darauf zurückkommen. Autofahrer stellen die größte Gefahr
für uns dar – vermutlich ohne dass sie es merken oder uns absichtlich plagen
- und sind von Zeit zu Zeit ein
Ärgernis, was einen das Blut kochen lässt.
So fahren wir von Dorf zu Dorf recht langweilig dahin. In
Tankstellen versuchen wir nochmal Gaskartuschen zu finden. Doch auch in der
Slowakei finden wir keine. Auf der anderen Donauseite, die wir immer im Auge
behalten, sehen wir nun ein paar Hügel mit saftigen Anstiegen. Wir müssen dafür
immer mehr Autos hinnehmen. Kurz vor Štúrovo wird aus der Landstraße eine Art
Bundesstraße mit viel Verkehr. In Štúrovo sind wir schon fast wieder in Ungarn,
die Mehrheit der Bevölkerung ist hier schon ungarisch. Aber die Stadt verdankt ihren Namen einem
Slowaken, welcher zu seinen Lebzeiten die slowakische Schriftsprache
begründete.
Endgültig verlassen wir die Slowakei wieder gen Ungarn auf
einer Brücke, die erst seit wenigen Jahren wieder steht. Davor war sie seit der
Sprengung, durch die auf dem Rückzug
befindliche Wehrmacht, nicht mehr
vorhanden. Die schlechten ungarisch-tschechoslowakischen Beziehungen
verhinderten lange Zeit den Wiederaufbau. Seit 2001 steht sie nun aber wieder
und so kommen wir problemlos zurück nach Ungarn.
Vorher genießen wir aber erst einmal den tollen Blick über
die Donau auf Esztergom, welches eine der ältesten Städte Ungarns ist und sogar
mal Hauptstadt des Magyarenreichs war. Im Fokus steht dabei die eindrucksvolle
und weithin sichtbare Basilika mit ihren markanten türkisenen Kuppeln. Es ist
die größte Kirche Ungarns. Ihr zu Ehren wurde die Graner Messe von Franz Liszt
komponiert, Gran ist der deutsche Name von Esztergom. In der Basilika hat seit
1000 Jahren der Erzbischof von Esztergom, der Primas der ungarischen Kirche,
seinen Sitz. Beim Erinnerungsfoto fällt Konrad die DigiCam runter. Im ersten
Augenblick stellt sie sich Tod, aber dann tut sie wieder ihren Dienst. Vorerst…
Esztergom lassen wir schnell hinter uns und fahren an
Weinbergen aus der Stadt hinaus. Nach einem kurzen Pseudo-Radweg am Rande des
Flusses, müssen wir wieder auf eine große Straße. Die Donau fließt hier nicht
mehr so breit dahin, sondern wird von Bergen in ein Tal gezwängt. Auf der
anderen Seite, die inzwischen nicht mehr slowakisch ist, entdecken wir bei
einer kleinen Pause auch mal ganz ohne Reiseführer einige Höhlen in den
Felswänden. Die Pause war nötig, weil
ein Knie von mir plötzlich und ohne ersichtlichen Grund schmerzt. Ich habe
keine Ahnung was das soll, aber ich kann kaum noch treten. Ich beiße die Zähne
zusammen und hoffe einfach, dass es wieder aufhört, will aber die Tagesetappe
so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Eine Flussbiegung weiter gibt es wieder etwas zusehen:
Visegrad. Der Name klingt eher nach einem russischen Industriestandort, aber
dahinter verbirgt sich wieder eine Stadt römischen Ursprungs. Hoch oben auf
einem steilen Berg steht eine alte Burg. Erst dachten wir, unsere Augen trügen, doch tatsächlich hat man ihre verfallenen
Mauern einfach mit Beton aufgefüllt. Wie kann man nur ein solches Kulturgut
(hier lagerte zum Schutze, Jahrhunderte lang, die ungarische Krone) so
verstümmeln?
Hinter Visegrad macht die Donau einen mächtigen Bogen in
den Süden: Das sogenannte Donauknie erwartet uns. Seit Linz waren wir der Donau
immer in Richtung Osten gefolgt, nun geht es direkt in den Süden. Schon seit Urzeiten hat sich der Flusslauf
hier diese Schlucht durch ein Gebirge gegraben. Die dunklen, dicht bewaldeten
Berghänge und seltsam geformten Kalksteinfelsen bieten ein romantisches Bild.
Davor hat sich die Donau in zwei Arme aufgeteilt, die zum Felsen kontrastreich,
eine ganz flache Insel bilden, welche den unaussprechlichen Namen Szentendrei
Sziget trägt.
Auf die Insel bringt uns eine kleine Fähre. Der Fährmann
steht seinen freundlichen Landsleuten in nichts nach und besteht darauf, die schwer beladenen Fahrräder aufs Boot zu
schleppen. Außer ein paar kleinen Dörfern hat die flache Insel nur Felder. Die
höchste Erhebung sind die goldgelben, aufgetürmten Strohhaufen. Autos gibt es
fast keine und so fahren wir ungestört die 20 km lange Insel ab. Wir genießen
noch einmal die Ruhe und die weite Landschaft, denn kurz vor uns liegt
Budapest. Großstädte sind immer eine starke Belastung für uns. Zu Hektisch. Zu
stressig. Zu schmutzig. Zu voll. Zu laut und zu viel Verkehr. Also noch einmal
die Kräfte bei einem Eis sammeln.
Wieder bringt uns eine Fähre aufs Festland zurück. Und
sofort beginnen die Ausläufer der Großstadt uns zu erschlagen. Wir folgen immer
dem Radwegsymbol des „Euro 6“. Diesem schenken wir unser gesamtes Vertrauen auf
dem Weg in die Stadt (und hoffentlich wieder hinaus, aber erst Morgen). Stur
folgen wir der Beschilderung, nichts in Frage stellend, auch nicht als der Weg nur
noch ein Trampelpfad ist, durchs Unkraut
führt. Dann wieder plötzlich durch eine Siedlung oder unter einer
Autobahnbrücke hindurch. Im Gegensatz zu Wien haben wir heute aber ein Ziel: Auf
der Karte ist nicht weit vom Flussufer entfernt ein Campingplatz eingezeichnet.
Als der Radweg ein Schotterweg wird, fordert mich ein
Drei-Käse-Hoch zum Sprintduell heraus. Zwar habe ich so meine Mühe, die
Tourenrad-Masse und meinen Körper zu beschleunigen, aber als ich meine
Renngeschwindigkeit dann endlich erreicht hatte, musste er sich geschlagen
geben. Yes! Einen Zehnjährigen besiegt!
Ein Kanal gibt uns das Zeichen: Hier muss der Zeltplatz
irgendwo sein. Komischer weise sehen wir aber außer einer Plattensiedlung und
einer 6-spurigen Straße nichts. Hier soll ein Zeltplatz sein? Aber nach einigem
hin- und herfahren und dank der netten Ungarn finden wir den Platz schließlich.
Direkt an der lauten Straße. Schwer eingezäunt und bewacht. Der Zeltplatz
kostet wieder soviel wie letzte Nacht (umgerechnet 25 €), nur dass es dieses
Mal kein Thermalbad zum Entspannen gibt. Aus Sicherheitsgründen bekommt man
eine Karte. Nur mit der darf man den Platz betreten. Den Zaun krönt
Stacheldraht. Wo sind wir hier?
Wir bauen unser Zelt auf. Direkt neben uns hat sich eine
Horde amerikanischer Teenager aus einem Reisebus niedergelassen. Sie fahren
über den gesamten Kontinent, von Metropole zu Metropole und von Land zu Land.
Lernt man so Europa kennen? Zumindest kann man es nachher behaupten. Aber ganz
cool stöckeln die Mädels mit ihren Absatzschuhen über die Wiese. Auch die Jungs
stehen ihnen in Punkto Eitelkeit in
nichts nach. Die Boxershorts werden nur einmal getragen und dann in den Duschen
zurück gelassen. Überhaupt verwüsten sie die Sanitäranlagen tüchtig. Als sie
später das Nachtleben von Budapest
unsicher machen – auch da bringt der Bus sie hin – wird es ruhig und wie kochen
unser Abendbrot. Also wie immer Nudeln. Den Kohlenhydratspeicher auffüllen.
Doch heute werden die Ravioli nur lauwarm, denn dann ist unser Gas endgültig
alle.
Ich mache mich nochmal auf den Weg und suche die
Supermärkte und Tankstellen der Umgebung nach Gaskartuschen ab. Obwohl wir
flexibel sind, was die Gaskartuschensysteme (Steck- und Schraubverschluss)
angeht, ist nichts zu finden. Ach warum gibt’s denn hier nirgends einen
GLOBETROTTER? Dort würde man alles finden was man braucht und noch so vieles
mehr, was man erst braucht, nachdem man erfahren hat das es das überhaupt gibt.
Ein Spielzeugladen für Erwachsene. Das nächste Mal kaufen wir vor so einer Tour
einen Benzinkocher um noch flexibler zu sein, aber dann gibt es vielleicht nur
noch Wasserstoff, Autogas oder Strom an den Tankstellen.
Um dem Frust Einhalt zu gebieten kaufe ich Gummibärchen und
leckere weiße Schokolade.
# 12
|
Dienstag, 26.08.2008
|
Budapest – Ráckeve - Dunaföldvar
|
117,5 km
|
5:55 h
|
av.
V = 19,7 km/h
|
↗ 30 hm
|
↘60 hm
|
av. P = 80 W
|
19°C - 31°C, sonnig
|
6787 HUF (Forint)
|
|
|
|
|
Was für eine unruhige Nacht: Auf der Straße hinter dem
Stacheldrahtzaun fuhren die ganze Zeit
Rettungswagen mit einem nervenden und unberechenbar atonalem Sound hin und her und her und hin und wieder
zurück, dazu noch der normale Lärmpegel der stark befahrenen Straße und die
Ungewissheit, ob die amerikanischen
Teenies von nebenan im Vollrausch, für den man in Europa nicht 21 Jahre alt
sein muss, die ein oder andere witzige
Idee haben, was man mit unseren Fahrrädern oder dem Zelt anstellen könnte.
Früh brechen wir auf, gerade in der Rushhour von Ungarns
Hauptstadt, welche aus den Teilen „Buda“ westlich der Donau und „Pest“ östlich
der Donau besteht. Wir durchfahren die Stadt im Buda-Teil, erst weit im Süden
müssen wir in den Pest-Teil wechseln.
Ich zitiere hier mal den bikeline-Reiseführer: „Budapest!
Eine Weltstadt, eine Künstler- und Operettenstadt, oft besungen und ebenso oft
mit den verschiedensten prosaischen Bezeichnungen bedacht. Eine Stadt, die
jeden Besucher unweigerlich ins Schwärmen geraten lässt; man kann sie lieben
oder hassen...“. So und da wären wir schon beim entscheidenden Punkt: Man kann
sie hassen. Es ist also vollkommen legitim, was wir beim Durchkämpfen der
Straßen fühlten: Hass. Ungarn war bis dato eine so tolle und landschaftlich wunderschöne
Erfahrung, aber diese Metropole ist der Horror.
Eine Baustelle löste auf zig Kilometern die nächste ab, der Radweg
existiert nur lückenhaft, oft muss man
sich in den stockenden Verkehr der Autos einreihen und dabei aufpassen, nicht unter die Räder dieser zu geraten.
Ständig unter Anspannung, der Blick nach links oder rechts ist kaum möglich, da
immer Baustellen-Wände aus Holz die Sicht versperren. Es gibt kaum Orte an
denen man die Möglichkeit des Verweilens hat, alles ist immer und überall in Hektik
und Bewegung. Die Luft ist erfüllt vom Gestank der Busse und LKWs, die im Stau stecken und vor sich hin knattern.
Oft muss man Umwege hinnehmen um irgendwie in Richtung Süden zu kommen, um die
Stadt endlich zu verlassen.
Im Zentrum haben wir dann doch auf ein paar hundert Metern
eine Fußweg, wo wir stoppen können. Wir versuchen Gebäude wie Fischerbastei, Burgpalast,
Parlament und die Kettenbrücke zu entdecken. Und gerade das Parlament auf der
anderen Donauseite in „Pest“ ist wirklich prachtvoll anzusehen. Hier machen wir
unser Etappenfoto, was in jeder Hauptstadt die wir erreichen, fällig ist. Die
Fischerbastei können wir leider nicht hundertprozentig identifizieren, da zu
viele Kirchen im vermuteten Gebiet von
„Buda“ liegen.
Vielleicht wäre Budapest eine Reise wert, wenn man einen
Hubschrauber hat oder auf einem Donaudampfer ganz in Ruhe die Stadt durch
dampfert. Aber so? Niemals wieder. Budapest ist für Radfahrer keine Reise wert! Und Nerven
für Sightseeing haben wir sowieso keine mehr.
Von nun an wurde der Tag aber immer schöner, da es
zwangsläufig ruhiger wurde. Am Rande des
Chaos stießen wir auf einen Baumaxx-Baumarkt, der sich schon über viele
Kilometer in Form von überdimensionalen Werbetafeln an Hochhäusern angekündigt
hatte. Die Werbung zog, denn wir versuchten und fanden hier unser Glück mit
vollen Gaskartuschen. Mann, was für ein
Erfolg. Seit Tagen sucht man diese Kartuschen im ganzen Land und hier findet
man sie. Wir kaufen gleich genug, um bis
Istanbul keine Sorgen diesbezüglich mehr zuhaben.
Vor dem Baumarkt besteigt neben uns ein Mann mit einer
schrill-neon-gelben Warnweste gerade
sein Fahrrad, als er sieht, dass
wir uns mit der Landkarte in der Hand fragend umsehen. Er bietet uns freundlich
seine Hilfe an und spricht dabei in einem perfekten und akzentfreien Deutsch. Eigentlich merkt man nur anhand des
fehlenden Dialektes, dass er nicht aus Deutschland kommen kann. Und das tut er
auch nicht. Er ist Ungar und hat sich die Sprache autodidaktisch beigebracht
und nun ist er stolz wie Oskar, dass uns das so sehr beeindruckt und wir immer
noch staunen. Ohne Probleme zeigt er uns den für Radfahrer schönsten Weg in
Richtung Süden. Er führt uns entlang der bestimmt 60 Kilometer langen Flussinsel
Csepel-Sziget, die von Norden nach Süden immer natürlicher wird. Am Anfang sind
da noch Budapest und andere verkehrsreiche Städte, die man aber schon hin und
wieder durch Dammwege gut meiden kann, später sind die Straßen schon so klein,
dass man nebeneinander herfahren kann und ganz im Süden gibt es gemütliche
Feldwege und gar keine Autos mehr, da das Ende der Insel für diese eine
Sackgasse wäre. Auf einer Kreuzung machten wir Pause und hätten hier getrost
unser Zelt aufschlagen können. Es gab
keine Fahrzeuge mehr, die uns gestört hätten und selbst wenn, man konnte jede
Straße bis zum Horizont einsehen.
Radfahrer können die Insel an der Südspitze über eine kleine Schleuse
verlassen.
Highlight der Insel war ein Militärflughafen, der uns
allerdings wegen des Sperrgebietes wieder einen Umweg einbrachte, und ein
scharf bewachtes Gefängnis. Ach wie schön man es doch hat, diesseits der Mauer
in Freiheit und ungehindert in den Abend
radelnd. Jeder hat es selbst in der
Hand, was er aus seinem Leben macht.
Die Stadt Ráckeve
haben wir im Übrigen auch ungesehen umfahren, obwohl da das Schloss von Prinz
Eugen von Savoyen zu finden ist. Wenn wir die Wahl hatten, fuhren wir nun immer
durchs Grüne. Hin und wieder mussten wir stoppen und eine Schafherde samt
Schäfer den Damm überqueren lassen. Da wir in Budapest viel Zeit verloren
hatten, mussten wir uns ein wenig sputen, um am Abend den geplanten Zeltplatz in
Dunaföldvár zu erreichen.
Hier fahren wir nun immer auf einem Donaudamm an Wiesen und
Feldern vorbei in Richtung Süden. Man wäre vermutlich auf der parallelen Straße
um einiges schneller, schon weil die befestigt ist, aber dafür haben wir hier
keinen Verkehr. Außerdem ist auch der Damm gut zu befahren, es holpert halt ein
wenig mehr. Aber man kommt gut damit klar.
Um nach Dunaföldvár zu gelangen, mussten wir uns noch
einmal in den direkten Straßenverkehr einmischen. Anders wären wir nicht auf
die Donaubrücke gekommen. Die Donau sieht man übrigens außer in den Städten
eher selten. Die Ufer sind bewachsen und oft ist zwischen Damm oder Deich noch
ein kleiner Wald. Die Brücke war alles in allem fast zwei Kilometer lang, da
sie auch eine kleine unbewohnte Insel überspannte und so kamen wir beim drüber
sprinten nochmal ganz schön außer Atem.
Dunaföldvár machte auf den ersten Blick nicht viel her,
aber es hatte einen Campingplatz. Doch bevor wir den aufsuchten, mussten wir
Essen kaufen. Zum ersten Mal auf der Tour wollten wir etwas Richtiges kochen,
das über Nudeln hinausging: ein Paprika-Chilli. So kauften wir in einem kleinen
SPAR Hackfleisch, Bohnen, Reis, Mais, Paprika (Paprika musste in Ungarn sein,
obwohl wir außerhalb der Supermärkte noch keine gesehen hatten)und Öl. Die
ganze Zeit wurden wir dabei auffällig von einem Warenhaus-Detektiv verfolgt und
beobachtet. Sahen wir aus, wie Leute die Klauen müssen? An der Kasse bezahlte
ich mit der größten verfügbaren Banknote um das Gegenteil zu beweisen.
Der Zeltplatz liegt direkt an der Donau ein wenig versteckt
und war recht klein. Wir suchten ihn eine Weile. Die Rezeption war nicht mehr
besetzt, aber ein mitteilungsbedürftiger, deutscher Wohnmobiler erklärte uns, die würden morgen um 8 Uhr wieder besetzt
sein. Da wollten wir eigentlich schon wieder weiter fahren, sagen wir ihm. Er
antwortet trocken: „Pech für euch … oder sie“. Er schien also indirekt einverstanden
damit zu sein, dass wir hier mal nicht bezahlen. Und selbst wenn, so teuer wie
die Nächte zuvor würde es hier im Niemandsland sicher nicht werden.
Wir stellten
unser Zelt direkt an einer Steckdose auf, um so unsere Handys und die DigiCam
aufzuladen, nebenan konnten wir uns und unsere Klamotten waschen. Anschließend
kochten wir das vorzügliche Mahl mit unserem neuen Gas. Der Wohnmobiler
erzählte uns haarklein jedes Detail seines komplett langweiligen Urlaubs, aber
wir wollten nicht unfreundlich sein und ihn unterbrechen. Später redete er aber
immer mehr Unsinn, so zum Beispiel, dass es überall in Ungarn an den
Tankstellen Camping-GAZ (ein Markenname) gebe oder das unser Mückenmittel „Autan“ im Ausland nicht wirken würde, weil es
in jedem Land andere Mücken gibt, die man mit einem anderen Mittel vertreiben
müsse. Bei uns jedenfalls funktionierte das heimische Autan super und
Gaskartuschen gibt es nicht überall an den Tankstellen, sondern wenn dann nur
in Baumärkten. Punkt.
Am Abend als eigentlich der Tag zu Ende war, verspürte ich
noch Kräfte und die ruhige Nacht lud mich zu einem Spaziergang ein. Ich ging die Donau entlang nach Dunaföldvar
hinein. Das Städtchen hatten wir heute unterschätzt. Schmucke gepflasterte
Gässchen führen auf einen kleinen Berg, wo eine Burg thront. Vor der Burg ist
ein großes, hölzernes Burgtor welches offen dasteht. Von der Burg aus kann man
auf die nächtliche Donau blicken. Alles
ist hier so unendlich friedlich und ruhig. Es ist eine wunderbarere und
milde Sommernacht. Kein Vergleich zu Budapest. Auf dem Rückweg entdecke ich
noch kleine mittelalterliche Kirchen und die Stadtmauer, sowie einen weniger
hohen als viel mehr breiten Turm, den „türkischen Turm“.
Als ich wieder auf den Zeltplatz komme ist das Zeltplatztor
verschlossen. So will man uns wohl
zwingen, auf die Rezeptionsbesetzung zu warten. Niedlich, denn die Tür daneben, wo man locker ein
Fahrrad durchschieben könnte, steht weiterhin offen.
Neben unserem Zelt haben andere Radfernreisende ihr
Nachtlager aufgebaut. Es sind Belgier, die viel besser ausgerüstet sind als
wir. Der Besserwisser hält ihnen gerade einen Vortrag über die EU-Politik und
Deutschland und dass die EU wie Deutschland sein solle… Hoffentlich nehmen sie ihn nicht als typisches
Beispiel für einen Deutschen wahr.
Den Wecker stellen wir auf 6:30 Uhr – am nächsten Tag
wollten wir viel schaffen.
Die Etappe heute war flach wie Holland, überhaupt die
flachste Etappe der gesamten Tour. Die 30 Höhenmeter resultieren allein aus
Deichauffahrten.
#13
|
Mittwoch, 27.08.2008
|
Dunaföldvar – Pacs - Kalocsa – Baja - Dunafalva
|
117,9 km
|
6:02 h
|
av.
V = 19,5 km/h
|
↗ 162 hm
|
↘144 hm
|
av. P = 60 W
|
16°C - 32°C, Sonnig, heiß
|
16585 HUF (Forint)
|
|
|
|
|
Um die Zeltplatzgebühr zu sparen, sind wir schon vor Tau
und Tag wieder auf den Beinen oder besser auf dem Rad. Außerdem wollten wir
heute bis an die kroatische Grenze kommen, vielleicht sogar dahinter zelten und
deswegen mussten wir früh raus.
Direkt neben dem kleinen Zeltplatz, wo wir die Nacht
verbrachten, ist eine parkähnliche Anlage mit einem Denkmal, welches die
Sowjetzeit-Symbole Hammer und Sichel auf rotem Stein zeigt. Dieses Relikt
längst vergangener Tage ist mir natürlich sofort ein Foto wert. Doch aus dieser
Erinnerung wird leider nichts: Die Digitalkamera scheint kaputt zu sein, sie
verweigert mit dem Hinweis auf eine “Objektivstörung“ den Dienst und summt nur
noch. Wir sind beide nicht abergläubisch, aber die Kombination aus
Zeltplatzgebühr unterschlagen und 100 Meter später einer wie von Geisterhand
defekter Digitalkamera ist schon ominös. Gut, Konrad ist sie in Esztergom beim
fotografieren der Basilika runtergefallen, aber danach hat sie noch zwei Tage
lang makellose Fotos geschossen und keine Andeutung auf einen Schaden gegeben.
Meine Laune ist sofort beim Nullpunkt angekommen und ich weigere mich, die Stadt zu verlassen, ohne das Problem zu
lösen. Wir befinden uns hier Mitten auf einer Radtour von Dresden nach
Istanbul, für uns ist es ein einmaliges Erlebnis, das nie wieder kommen wird.
Wir fahren täglich durch einen Teil von Europa, den wir nicht kennen. Fast
stündlich entdecken wir Unbekanntes und Neues. Der Gedanke daran, dass es davon
später keine Erinnerungsfotos geben könnte, blockiert mich. Konrad reagiert
besonnener: Wir sollten erstmal frühstücken und dann nochmal probieren ob sie
wieder geht. Vielleicht, so seine Hoffnung, hat sich nur Kondenswasser
angesammelt. Früh genug wäre es ja und sie geht dann wieder.
Sie ging nicht wieder. Nach dem Frühstück, was zwar unser ehrgeiziges
Tagesziel schon am Morgen undenkbar werden ließ, aber dafür angenehm ausgiebig
war, gab die Kamera noch immer kein Lebenszeichen von sich. Ich machte mich
daher auf ins Stadtzentrum von Dunaföldvar auf die Suche nach einem Fotofachgeschäft, was ich
auch sofort fand. Der Verkäufer machte sich alle Mühe und untersuchte die
Kamera gewissenhaft. Er machte mir verständlich, dass er die Kamera einschicken
müsse, da er sie hier nicht reparieren kann.
Das Objektiv sei gebrochen. Er bietet mir sogar an, sie nach
erfolgreicher Reparatur nach Deutschland zurückzuschicken, aber das ist mir zu
umständlich und außerdem kann ich dann auch keine Fotos der Radtour machen. Zu
seinem ersten Geschäft am Morgen kommt er dennoch: Ich kaufe nämlich die
preiswerteste Kamera, die er im Angebot
hat. Für 30€ sind wir nun stolze Besitzer eines Fotoapparates, in den man zwar
noch Filme einlegen muss, der aber angeblich super Fotos macht. 3 Filme habe ich noch kostenlos dazubekommen. Gut – die Reise kann meinetwegen weiter gehen.
Unsere Laune hellt sich heute dennoch nur langsam auf. Wir
fragen uns zum Beispiel ob die Röntgenstrahlen am Flughafen die Filme zerstören
können und ob wir überhaupt einen solchen Film in den Apparat einlegen können.
Gemacht haben wir beide so etwas noch nie.
Unser gemütliches dahin rollen, endet 20 Kilometer später
kurz vor Paks. Wir sind westlich der Donau geblieben und hier auf ruhigen
Straßen durch kleine Dörfer gefahren. Jetzt endet dieser Weg auf einer stark befahrenen
Straße, die zudem noch ein Schild aufweist, das einem das Befahren mit Traktor,
Kutsche und Fahrrad verbietet. Bis zur Fähre, die uns wieder auf die andere Flussseite
bringen soll, sind es zwar nur 5 Kilometer, aber dennoch entscheiden wir uns lieber
einen Umweg in Kauf zunehmen. Deshalb fahren wir eine kleine Dorfstraße auf einen
Bergrücken hinauf, der ungefähr in der angestrebten Richtung liegt. Die Straße
wird zum Wiesenweg und oben angekommen, scheinen wir in einer anderen Welt zu
sein. Ein verfallener Bauernhof, auf dem
alle Haus- und Hoftiere die man so kennt, frei umherlaufen: Hunde und Katzen,
Hühner, Esel und auch Schweine scheinen hier ungestört zu wohnen. Diese Bild
wird das erste Motiv mit unserer neuen
“FujiFilm ClearShot 70AF mit vollautomatischer Blitzlichtfunktion“ Es scheint
funktioniert zuhaben. So klang es zumindest früher immer, wenn eine Ahne ein
Foto schoss.
So steil wie es auf den Berg hochging, so steil ging es
auch wieder auf der anderen Seite hinunter und wir landeten genau an der
Fähranlegestelle. Hier müssen wir ungewollt länger pausieren, denn die Fähre fährt nur stündlich über die Donau
und für uns wird leider keine Ausnahme gemacht. So sitzen wir fast eine Stunde
in der Sonne und harren der Dinge, die
da kommen. Unser Etappenziel ist längst schon unmöglich geworden, trotz des
zeitigen Aufstehens am Morgen sind wir mittags gerade einmal 25 Kilometer weit
gekommen.
Die Fährfahrt ist wie immer sehr schön, wir lieben es beide
sehr, wenn man an der Reling steht und dem Wasser zusieht, wie es am Boot
kleine Wellen bildet und der Wind sanft die Haut streichelt. Außerdem sind die
Fährleute sehr nett zu uns und die Überfahrt kostet wenig.
Unser nächstes Ziel ist Kalocsa. Kalocsa ist eine der
ältesten Städte Ungarns und wird heute als DIE Paprikametropole bezeichnet.
Alles dreht sich um das rote Gold, wie Paprika angeblich hier genannt wird.
Endlich wird unser Bild von Ungarn bestätigt:
Überall sind kleine Felder auf denen die roten Dinger wachsen. Sie sind viel
kleiner als im Supermarkt. Es handelt sich hier um „spanischen Pfeffer“ eine
besondere Edelpaprikasorte, welche als Gewürz verwendet wird. Wir pflücken zwei
Paprika, trauen uns aber nicht, hineinzubeißen, da sie genau wie Chili
aussehen. Dass die Leute hier in der Gegend hundertprozentige Paprika-Fans
sind, sieht man jetzt überall: Fast vor jeden Haus trocknen die zu Girlanden
aufgefädelten Schoten in der Sonne. Wir
haben scheinbar genau die richtige Jahreszeit erwischt um in dieser Gegend zu
sein.
Da die Sonne mal wieder kräftig von oben knallt, quetschen
wir uns im Schatten der Häuser auf dem Fußweg aus der Stadt hinaus. Wobei man bei
Kalocsa eher von einem großen Dorf reden muss. Wie eine Stadt wirkt es
jedenfalls nicht.
Kurze Zeit später, irgendwo südlich von Kalocsa, wird die
Karte wiedermal etwas undeutlich und wir finden die geplante Route nicht.
Stattdessen fahren wir durch Paprika-, Mais- und Tomatenfelder. Durch die Sonne sind die
Tomaten sogar angenehm warm beim Essen. Die Wegqualität wird nun immer schlechter
und irgendwann endet der Weg gänzlich. Querfeldein, erst zwischen
Paprikareihen, später durch stachliges Unkraut schieben wir das Rad. Ein Bauer
gießt gerade seine Felder und scheint nicht sonderlich verwundert zu sein, dass
wir hier so an ihm vorbeikommen. Ein paar Kilometer weiter, wir sind wieder auf
einen Donaudeich gekommen, rasten wir unter einer schattenspendenden Brücke.
Allerlei Grußworte in vielen verschiedenen Sprachen – auch in Deutsch – zeugen
hier von einigen Radreisenden, die vermutlich auch alle an dem Bauern
vorbeigekommen sind. Der Gedanke liegt nahe, dass sie alle mit demselben
Kartenmaterial ausgestattet waren und deshalb wie wir, eher unfreiwillig, hier
gelandet sind.
Ab der Brücke ist der Weg auf dem Deich nun sogar
asphaltiert und so kommen wir zügig voran. Kurz vor Baja wird der Weg breiter,
Wochenendhäuser säumen den Weg und die Silhouette der beginnenden Stadt. Auf
der westlichen Seite der Donau, also hinter der Donau von uns ausgesehen, sieht
man den Donau-Drau-Nationalpark, ein unberührtes Naturreservat, das am ehesten
an den Amazonas mit seinen vielen Flussarmen erinnert. Vermutlich gibt es dort drüben aber auch
unendlich viele Mücken und deswegen sind wir hier ganz gut aufgehoben.
In Baja eintreffend, suchen wir als ersten den hiesigen
TESCO-Super-Super-Supermarkt auf. Es ist schön, dass es die hier in jeder
größeren Stadt gibt und so tanken wir erst einmal Lebensmittel und Getränke
auf. Wir geben dabei fast alle Forint aus, aber das ist nicht weiter schlimm,
da wir am nächsten Tag ja Ungern verlassen werden.
Im 18. Jahrhundert wurden in Baja deutsche Handwerker,
sogenannte Donauschwaben, angesiedelt. Spuren davon bekamen wir davon aber
leider nicht zu Gesicht.
Von nun an ging es nur noch schleppend voran, trotz des
guten Deichweges. Der Tag neigte sich dem Ende und er war trotz seines flachen
Charakters, aber eben wegen seiner Hitze, der langen Schiebepassage durchs Paprikafeld
und nicht zuletzt den Verlust der Digitalkamera, die ja viel Geld gekostet
hatte, sehr anstrengend gewesen. Etwa 20 Kilometer hinter Baja in dem kleinen
Dorf Dunafalva ist Schluss. Wir haben einen kleinen Zeltplatz gefunden, der
recht preiswert ist und zwischen Deich und Donau in einem kleinen Wäldchen
ungestört liegt. Das Abendessen
beschränkt sich heute spartanisch auf Nudeln. Die Sanitäranlagen sind – und wir
haben wirklich gar keine Ansprüche – grausig. Die Dusche scheint auch Klo zu
sein und das Wasser tröpfelt eiskalt aus einem Rohr. Da ist Wildcampen
hygienischer.
Abends, es ist schon dunkel, machen Jugendliche Party an
einem kleinen Donausandstrand, so haben wir leise Musik zum einschlafen. Morgen
geht’s nach Kroatien!
#14
|
Donnerstag, 28.08.2008
|
Dunafalva - Mohács - Osijek (HR) - Vukovar
|
142,5 km
|
6:48 h
|
av.
V = 21,0 km/h
|
↗ 189 hm
|
↘173 hm
|
av. P = 80 W
|
15°C - 29°C, warm, diesig
|
1924 HUF (Forint)
& 541HRK (Kuna)
|
|
|
|
|
Wieder brechen wir heute Morgen früh auf. Auch das
Frühstück wird, wie immer, weit nach hinten geschoben.
Es ist ein wunderbarer Morgen: Vom Deich, der höchste Erhebung
bis zum Horizont, kann man weit ins Land blicken, doch direkt am Fuß des
Deiches schmiegt sich ein sanfter Nebel an die Sträucher und Häuser. Nur die
Schornsteine kann man klar erkennen. Dunafalva schläft noch friedlich. Die 12
Kilometer auf dem Deich bis zur Fähre nach Mohacs vergehen unheimlich schnell,
man hätte es eigentlich gestern Abend noch locker schaffen können. Rückblickend
gesehen.
Wir hatten ein wenig bedenken, ob denn die Fähre so früh am
Morgen schon fährt, doch sie fuhr. An der Fähranlegestelle wird sie auch schon
von ein paar Autos, Leuten die auf Arbeit wollen und Kindern die in die Schule
gehen, erwartet. Erst wird die recht große Fähre mit den Autos beladen, dann
erst kommen die Fußgänger und Radfahrer. So merken wir erst viel zu spät, dass
man das Ticket für die Überfahrt an einem Kiosk hätte kaufen müssen. Doch
wieder einmal beweisen sich die Ungarn als freundliches Volk, man fährt uns
auch ohne Ticket. Der Tag geht super los.
In Mohacs kaufen wir uns Frühstück, eine BILD-Zeitung
(Asche über unser Haupt) und einen Spiegel. Am Straßenrand setzen wir uns in
eine Wiese, frühstücken und verzehren jede Nachricht aus der Zeitung. Seit Bad
Leonfelden, also vor 8 Tagen, haben wir keine Nachrichten aus Deutschland und
der Welt mehr erfahren.
Am Rande der Stadt Mohacs fanden große Schlachten statt:
1526 besiegten die Osmanen hier die Ungarn und gliederten weite Teile des
Landes ins Osmanische Reich ein. 1687 besiegten die Habsburger hier wiederum
die Osmanen im Rahmen des Großen Türkenkrieges, von da an waren die Ungarn
österreichisch.
Von Mohacs aus fuhren wir auf einer großen, aber wenig
befahrenen Straße gen Kroatien. Erste Wachtürme zeigten an, dass es bis zur
Grenze nicht mehr weit sein kann. An der Grenzstelle Udvar bekommen wir endlich
unseren ersten Stempel in den Reisepass, überhaupt war es unsere erste
Grenzüberfahrt, wo wir einen Grenzbeamten zu Gesicht bekamen: Nach 14 Tagen und
6 Grenzübertritten.
Hinter der Grenze verfahren wir uns erst einmal richtig an
der erstbesten Möglichkeit. In der Orientierungsphase versuchen wir dann auch
den Film des Fotoapparates zu wechseln.
An der Grenze schien es mir nämlich so, als ob das obligatorische
Grenzfoto nichts geworden sei.
Und tatsächlich war
der Film schon voll. Sage und schreibe 10 Bilder passten auf diesen Film, die 2
GB SD-Speicherkarte meiner Digitalkamera lacht sich in der Packtasche schlapp,
als sie das hört.
Wir fahren nun seit Tagen mal wieder durch hügeliges
Terrain. Der Weg führt kurvenreich bergauf durch Obstplantagen und Weinberge,
hier soll wohl eine der bekanntesten Weinregionen Kroatiens sein. Auch wenn der
Bikeline-Reiseführer damit dieses mal über- statt untertreibt: 3
Anstiegssymbole in der Karte haben wir
nach knapp 5 Minuten eher spielend, statt schwitzend, überwunden. Nur Konrads Fahrrad fängt an, Probleme zumachen: einige Ritzel scheinen
nicht mehr richtig zu greifen. Manchmal tritt er komplett ins Leere, was am
Berg, auch an kleinen, leidlich nervig ist. Anschließend geht es steil und auf
schlechtem Kopfsteinpflaster zurück hinab auf das Niveau der Donau. Wir kommen
in die serbisch-kroatische Grenzstadt Batina, doch bleiben noch lange auf der
kroatischen Donauseite.
Reine Radwege finden wir in Kroatien nicht vor, aber dafür
eine durchgängige Beschilderung die den Weg auf der „Ruta Dunav“ sehr gut weist.
Der Verkehr auf den 40 Kilometern zwischen Batina und Bilje ist schwach und so
ist es von der Seite gesehen ein angenehmes Fahren. Auch die Versorgung mit
Lebensmitteln ist perfekt, da in jedem noch so kleinem Ort winzige
Lebensmittelläden, namens “Bilie-Market“, zu finden sind ,in denen wir Essen,
Trinken und heute auch Klopapier kaufen können. Leider gab es nur eine große
12er Packung, die wir dann recht sperrig über den Gepäckträgertaschen und dem
Zelt befestigen. Bezahlt wird hier in “Kuna“, was mich auf Grund meines Nachnamens Kuna(th)
freuig stimmt: Eine Währung die ganz offensichtlich mir zu Ehren so heißt, wie
sie heißt. Vielleicht kommen wir irgendwann ja mal in ein Land, wo man Konrads wegen
mit Zierolen bezahlt. Wahrscheinlich
ist es allerdings nicht.
Die Ortschaften hier sehen größtenteils sehr ärmlich aus. Wir
sehen viele Häuser die teilweise schon
zusammen gefallen sind und in denen dennoch Menschen leben. Zudem liegt sehr
viel Müll und Unrat in den Höfen, in
denen die Kinder spielen und über denen die gewaschene Wäsche im Rauch des
Feuers trocknet. Die Kinder freuen sich, wenn sie uns sehen und begrüßen uns
euphorisch. Einmal werden wir auch angebettelt, ein paar Jungen rennen neben
uns her, lachen sich dabei aber schon über ihren Versuch kaputt. Ernst gemeint
war es nicht. Dennoch kann man sich nicht vorstellen, dass der Westen des
Landes sehr viel reicher ist und trotzdem hier scheinbar kein Geld davon
ankommt.
Da wir gut in der Zeit liegen, machen wir heute wieder einmal eine richtige
Mittagspause, inklusive Nudelkochen und
nochmaliger Zeitungslektüre.
Von Bilje an über Osijek bis Vukovar müssen wir dann einer
großen und verkehrsreichen Bundesstraße folgen, alternative Wege gibt es nicht.
Kurz vor Osijek sehen wir im Wald und auf Brachland immer mehr Schilder die vor
Landminen warnen. Wir wussten, dass um Osijek zwischen 1991 und 95 im
kroatischen Unabhängigkeitskrieg quasi ein geschlossener Minengürtel angelegt
wurde, dennoch wird das Bauchgefühl immer bedrückender. Das hier ist kein Spaß
mehr. Wenn man hier vom Wege abgeht um im Wald oder auf einer Wiese zum
Beispiel sein Zelt aufzuschlagen, kann man diese Leichtsinnigkeit schnell mit
dem Leben bezahlen. So stellt sich mir auch nicht die Frage, wo ich mein großes
Geschäft verrichte: AUF dem Weg, egal ob hier irgendjemand jetzt meinen nackten
Hintern sieht. Die Totenkopfschilder und Teiche in Kraterform sind real.
Osijek – die Hauptstadt Slawoniens, dem Landstich den wir
hier durchfahren – liegt an der Drau, einem ordentlichen Zufluss zur Donau, hat
einen recht großen Hafen und weitere Kriegsspuren. Kurz hinter der Stadt liegt Nemetin, hier
wurde 1992 der größte Gefangenaustausch vorgenommen, ein Denkmal erinnert an jenen
Tag.
Die 45 Kilometer von Osijek zum Tagesziel Vukovar auf der
teilweise verkehrsreichen Straße sind eher langweilig, es sei denn man ist Fan
von Ackerbau und Landwirtschaft. Ostslawonien ist die Kornkammer Kroatiens und
so gibt es hier außerhalb der Städte nur Wiesen und Felder zusehen. Die Donau
haben wir über 100 Kilometer bis nach Vukovar hinein nie zu Gesicht bekommen.
In Vukovar selber stellt sich uns die Frage, wo wir heute Nacht schlafen: Zeltplätze sind weder auf Straßenschildern,
noch in unsere Karte vermerkt und wildcampen kommt bei der Minengefahr absolut
nicht in Frage. Also suchen wir uns eine Unterkunft und finden schnell ein
Hotel, das Hotel Dunav. Die 2 Sterne an der Tür verraten uns, dass wir hier
allem Anschein nach eine Unterkunft unserer Preisklasse gefunden haben und da
es schon recht spät ist, nehmen wir ein Zimmer. Der Hotelmanager, welcher auch nicht einen Kuna von seinem anvisierten
Preis abweichen wollte, scheint seine Gäste je nach Herkunft unterschiedlich
abzukassieren: Wir, Deutsche, bezahlen den stolzen Preis von umgerechnet 60€
für die Nacht. Wofür? Erst in dem schäbigen Zimmer fällt uns das Ausmaß der
Abzocke auf. Egal. Wir haben einen schönen Blick auf die Donau, unsere
Fahrräder sind in der Werkstatt des Hotels eingeschlossen und wir können
ungestört im Zimmer unseren Gaskocher aufbauen, Würstchen kochen und Konrad
trinkt ein paar Schlucke einer unsagbar ekelhaften Cola. Nebenbei läuft das
UEFA-Cup- Spiel Hajduk Split gegen
Deportivo La Coruña, die Kroaten verlieren am Ende mit 0:2 und scheiden aus.
Am Abend gehe ich noch eine Runde durch die Stadt spazieren (Konrad liest indes den Spiegel an einem Tag komplett durch ) und sehe auch hier wieder schreckliche Spuren
des Krieges: Direkt neben dem Hotel ist eine Art Stadthalle deren Wände
komplett von Einschusslöchern durchsiebt sind. In der Schlacht um Vukovar hat
ein großes Regiment der Jugoslawischen Volksarmee 87 Tage lang die Stadt
belagert und unter Dauerfeuer genommen und dabei fast vollständig zerstört. Anschließend
marschierte die Armee ein, trieb einen Teil der verbleibenden Bevölkerung
zusammen, verfrachtete sie in einen Schweinestall und töte 200 Menschen davon
in einem Massaker. Die anderen wurden in serbische Internierungslager gebracht.
Konrad und ich, wir beide hatten noch nie Spuren eines
Krieges so deutlich und nah gesehen, der 2. Weltkrieg ist lange her, Dresden
glänzt längst wieder im alten Licht, doch hier in Kroatien spürt man auf
Schritt und Tritt die abscheuliche Gewalt und uneingeschränkte Zerstörung die ein Krieg auslöst. Und vermutlich hat
jeder Kroate, der über 30 ist und dem ich hier über den Weg laufe, selber
mitgekämpft und seine Stadt versucht zu verteidigen.
Beim zurückkommen ins Hotel merke ich dann auch, dass wir
wohl das beste Hotel der Stadt ausgewählt haben. Zumindest was die Lage angeht:
Am Platz der Republik Kroatien, 1.
#15
|
Freitag, 29.08.2008
|
Vukovar - Novi Sad (SRB)
|
87,5 km
|
4:03 h
|
av.
V = 21,5 km/h
|
↗ 556 hm
|
↘550 hm
|
av. P = 100 W
|
21°C - 33°C,
in Kroatien: bedeckt, in Serbien: sonnig
|
35 HRK (Kuna)
& 4520 RSD (Dinar)
|
|
|
|
|
Der heutige Abschnitt soll uns nun nach Serbien bringen.
Der Plan sieht die rund 80 Kilometer bis Novi Sad vor. Mehr nicht, denn gestern
haben wir mehr geschafft als erwartet. Vor Serbien hatten wir beide (aber
Konrad noch ein bisschen mehr) ein ungutes Gefühl: Es waren auch deutsche Kampfjets, die 1999, also vor nicht einmal zehn Jahren,
die Städte Novi Sad und Belgrad bombardiert hatten. Außerdem kam es im Februar
des Jahres unserer Reise zur Abspaltung des Kosovo von Serbien, was die
serbische Regierung nicht akzeptierte, unsere Bundesregierung hingegen schon. Wir wussten also nicht, was die Serben von Deutschen halten und
beschlossen, uns im Zweifel als
Schweizer auszugeben. Auf jedem
Fall wollen wir politische Diskussionen
meiden.
Der Tag selber begann aber damit, dass es in der Nacht zum
ersten Mal seit einer Woche wieder geregnet hat und wir im Hotel geschlafen und
somit alles richtig gemacht hatten.
Das Frühstück im Speisesaal des Hotels war dann unterstes
Jugendherbergsniveau. Es gab Brot, Butter und einen Teller mit Wurst und Käse.
Für alle Hotelgäste. Gut, der Teller wurde nachgefüllt, wenn er leer war, aber
das konnte auch mal zehn Minuten dauern. In jedem Fall war es dem Preis und uns
Radfahrern nicht angemessen. Zur Strafe
essen wir einfach unendlich lang und unendlich viel. Das Gute nach 2 Wochen
Radfahren ist nämlich, dass man sehr viel essen kann. Der Körper verbraucht den
ganzen Tag über Energie, die er aber nur früh und abends bekommt, folglich muss
der Magen zu diesen Mahlzeiten bereit sein, genügend aufzunehmen. Und an diesem
Morgen haben wir für Zehn gegessen.
So brechen wir auf und verlassen Vukovar. Wir sehen noch
einmal zerstörte Häuser und zum ersten Mal das Wahrzeichen der Stadt: Den zerschossenen
Wasserturm von Vukovar, das Mahnmal für
diesen allgegenwärtigen Krieg. Oben drauf weht eine riesige kroatische Fahne im
Wind. Man wird den Turm mit seinen riesigen Granattreffern nicht sanieren oder
gar abreißen, denn inzwischen erkennt man seinen Wert als Postkarten- und
Souvenirmotiv.
Die zirka 25 Kilometer sind sehr bergig, immer wieder
fahren wir steile Berge hinauf, um sie
auf der anderen Seite wieder runterzufahren. Zwei andere Radreisende fahren
auch gerade diese Strecke, so fahren wir quasi zusammen, aber ohne es zu planen oder auch nur ein Wort zu
wechseln. Als sie in einer Kneipe frühstücken, fahren wir alleine weiter. Wir
hatten ja schon ausgiebig Brot mit Wurst und Käse. Konrad hat wieder seine
Probleme mit der Schaltung. Kurz vor der Grenze halten wir wieder an einem
kleinen Bilie-Market und geben unsere letzten Kunas für Eistee und gefüllte
Croissants aus und essen sie gleich auf einer Bank vor dem Laden.
Ein alter, sehr alter Mann kommt, beginnt unsere Fahrräder zu untersuchen und
befindet sie als „sehr stark“. So kommen
wir ins Gespräch. Als er erfährt, dass wir Deutsche sind, erzählt er uns, dass
er in den 80ern für ein paar Jahre in Deutschland, bei Stuttgart, gewohnt und gearbeitet hat. Er war dort als
Mauerer auf einer großen Baustelle beschäftigt und grübelte lange über den
Namen der Firma, aber es fiel ihm nicht ein, was aber auch egal ist. Es hatte
ihm in Deutschland sehr gefallen, das merkte man ihm an. Jetzt ist er wieder in
seiner Heimat Ilok und baut Mais an. Die Stadt zeigt ein weiteres typisches
kroatisches Merkmal: Viele Häuser sind unverputzt und stehen fast wie im Rohbau
da. Aber es wohnen schon Menschen darin. Nun könnte es sein, dass es zurzeit günstig
ist, Häuser zu bauen, aber nein: Ein
anderes Motiv liegt dem zu Grunde: Häuser ohne Putz sind steuerlich noch keine
Häuser und somit spart man Geld, wenn man sie nicht verputzt. Und so sind viele
Häuser unfertig und werden es vielleicht auch für immer bleiben.
In Ilok hätten wir auch auf die andere Donauseite mit der
Fähre wechseln können, bleiben aber lieber am verkehrsarmen Südufer.
Die Zivilisation endet hier in Ilok, ein sicheres Indiz
dafür, dass wir uns wieder einmal einer Grenze nähern. Die Straße ist
unbefahren und führt kurvig durch ein kleines Tal, in dem die Natur ungehindert
wuchert. Auffällig viele Schmetterlinge wuseln um uns herum. Ihnen scheint das
schwül-warme Klima zu gefallen. Die Grenze selber ist enttäuschend unauffällig,
nur ein kleines Haus steht da und ein Schlagbaum versperrt die Durchfahrt. Der
bewaffnete Grenzbeamte kontrolliert unsere Reisepässe ausgiebig. Er fragt
Konrad: „And where are you going?“, Konrad antwortet: „To Istanbul, Turkey“ und
der Grenzbeamte mit ernster Mine: „Today?”… Man, was der uns alles zutraut… Als
wir unser Tagesziel auf Novi Sad reduzieren, bekommen wir den Einreisestempel
für Serbien. Hier hat man also erst einmal keine Probleme mit Deutschen.
Serbien selber beginnt erst einmal damit, dass an den
Straßenrändern alles voller Müll ist, der zudem noch hier und da vor sich hin
kokelt und raucht. Warum die Serben das so machen, erschließt sich uns nicht.
Mülltonnen gibt es jedenfalls auch. In einer Kurve überfahre ich fast einen
winzigen Hund der auf der Straße liegt.
Im ersten Moment dachte ich, dass er schon Tod ist. Aber bei genauerer
Untersuchung stellte ich fest, dass er es sich einfach auf dem warmen Asphalt
gemütlich gemacht hat und hier sein Mittagsschläfchen hält. Der Hund war
unglaublich winzig, vielleicht 10 Zentimeter lang. Da er hier in einer Kurve
der Straße liegt und sich dessen nicht vollständig bewusst ist, mit seinen 1
oder 2 Wochen Lebensalter, hebe ich ihn von der Straße weg ins Gras am Rande.
Doch da gefällt es dem süßen Winzling leider nicht, er trottet mit ca. 0,1 km/h
tollpatschig auf die Straße zurück. Tollpatschig ist übrigens ein ungarisches
Wort, welches in die deutsche Sprache übernommen wurde. Diese Info hätte besser
in den Ungarn - Teil des Reiseberichtes gepasst, sei es drum. Den Hund
jedenfalls hätte ich am liebsten mitgenommen, doch das geht ja leider nicht.
Ich bilde mir einfach ein, dass er von keinem Auto überfahren wurde und noch
ein langes Leben vor sich hat.
Wir nähern uns Novi Sad also vom Südufer her und fahren über
eine Brücke auf den Nordteil der Stadt, welcher auch viel größer und überhaupt
der Hauptteil Novi Sads ist. Auf unserer Seite ist eigentlich nur die alte
Festung Petrovaradin.
Man kann deutlich Reste einer kaputten Brücke sehen, die
hier vor 10 Jahren noch stand. Wie bereits erwähnt, wurde Novi Sad 1999 von der NATO
bombardiert. Dabei wurden auch zwei
Brücken getroffen. Dieser Angriff war der schwerste Angriff, den Novi Sad
jemals erlebt hat und die Bewohner waren damals sehr verwirrt, warum ihre Stadt
unter dem Krieg zu leiden hat. Es spielten sich doch die eigentlichen Kämpfe des
Kosovokrieges ganz im Süden des Landes, eben im Kosovo ab. Doch die NATO wollte
auf die serbische Führung Druck ausüben und so wurde die Stadt eben
bombardiert. Auch von Deutschen und das vor gerade einmal 9 Jahren. Wir
verzichten daher auf das hissen unserer deutschen Fahne.
Für Novi Sad hatten wir uns vorher via SMS über
Jugendherbergen informiert, denn entweder man meldet sich in Serbien jede Nacht
bei der ortsansässigen Polizei an oder aber man geht in ein Hotel, oder eben in
eine Jugendherberge, dann macht das der Herbergs-Chef für einen. Als wir die
Jugendherberge schließlich finden, hat diese aber für immer geschlossen.
Stattdessen ist dort jetzt eine Schule oder ein Kindergarten drin. Wo sollen
wir nun bleiben? Obdachlos in Novi Sad? Ein pfiffiger Hostelbesitzer wusste
offensichtlich um dieses Informationsdefizit und legte seine Flyer (mit einer
Beschreibung von hier bis zu seinem Hostel) im Eingangsbereich der ehemaligen
Jugendherberge aus. Schnell finden wir das „Bela Lada“ und sind über den Preis
der Übernachtung erfreut. Nicht mal halb soviel wie in Vukovar. Dazu noch
kostenloses Internet. Das wichtigste aber ist eine Dusche.
Am späten Nachmittag schlendern wie durch die Altstadt von
Novi Sad. Eine tolle Kirche, ein Theater, Museen und Leben auf den Straßen. Es
ist schön, dass man hier nichts mehr von Vergangenheit sieht. Wir kaufen neue
Schnürsenkel für Konrad auf einer Flaniermeile, da er seine aus Versehen zerrissen
hat. Nicht nur seine Bein- auch seine Armmuckis wachsen.
In einem Supermarkt versucht Konrad, gehacktes
Schweinefleisch beim Metzger zu erwerben. An Stelle es mit Worten zu versuchen,
oinkt und grunzt er wie ein Schwein los. Der Metzger versteht ihn zu meiner
Überraschung, auch die pantomimische Darstellung eines Fleischwolfes durch den
das Fleisch soll, erkennt er prompt. Heute Abend wird wieder richtig gekocht:
Hackfleisch mit Bohnen, Reis und Mais, dazu eine delikate Soße und weiße
Schokolade zum Dessert. An der Kasse akzeptiert
man unseren 1000 Dinar-Schein (15 €) nicht, da ihm eine Ecke fehlt. Aber
wir haben ja noch einige andere zur Hand. Der Hostelbetreiber hat kein Problem
mit der Note.
Auf dem einzigen nicht-serbischen Sender,CNN, läuft den ganzen
Abend die Ernennung von Sarah Palin zu John McCains Vizekandidatin für die
us-amerikanische Präsidentschaftswahl. So wie es aussieht, scheint niemand auf
der Welt mit dieser unsympathischen Frau aus Alaska gerechnet zuhaben.
In unserem Zimmer stehen zwei Betten und ein Schrank und
damit ist es vollständig ausgefüllt, den Fußboden sieht man fast nicht. So kann
man vom Bett aus im Liegen unser leckeres Mahl kochen. Beengt fühlt man sich
dennoch nicht, da der Raum mindestens 4 Meter hoch ist. Unser Hostel war
vermutlich nicht für diesen Zweck gebaut worden, sondern bekam erst später
seinen jetzigen Sinn. Der Besitzer hat dann den einen großen Raum in viele
kleine unterteilt und ermöglicht uns so eine preiswerte Schlafmöglichkeit.
Ein Missgeschick passiert mir noch vor dem Schlafen: Beim
Wäsche waschen – was dringend nötig geworden war - in der Dusche des kleinen
Bades, fallen mir aus Versehen sowohl Konrads, als auch meine Zahnbürste vom
Toilettenspülkasten ins Klo.
Morgen geht’s nach Belgrad!
#16
|
Sonnabend, 30.08.2008
|
Novi Sad - Belgrad - Smederevo
|
151,6 km
|
7:46 h
|
av.
V = 19,5 km/h
|
↗ 1057 hm
|
↘1004 hm
|
av. P = 100 W
|
20°C - 33°C, sonnig – bedeckt - sonnig
|
5300 RSD (Dinar)
|
|
|
|
|
Am heutigen Morgen nutze ich den einzigen PC mit Internetanschluss,
welcher in unserer Unterkunft zur Verfügung steht, ausgiebig und versuche die
Zugtickets von Düsseldorf nach Dresden zu buchen. Denn den Flug von Istanbul
nach Deutschland - und zwar zum preiswertesten Ziel: Düsseldorf - hatten wir ja
schon vor Reiseantritt gekauft, nun sollte die Rückreise komplettiert werden,
damit wir uns um Nichts weiter Gedanken machen müssen und nur noch an Istanbul
denken können. Die Tastatur war recht gewöhnungsbedürftig, wie man es oft im
Ausland hat. Jeder Buchstabe ist an
einer anderen unlogischen Stelle angebracht. Mails verschicken geht gleich gar
nicht, da ich beim besten Willen kein „@“ finden kann.
Doch aus Serbien erwartet den Deutsche-Bahn-Nutzer ein
weiteres Problem: Man kann leider keine
Zugtickets buchen. Also rief ich einen Freund, den André Rinke, zu Hause an,
damit er das regelt, nichts wissend, dass die Verbrecher von Vodafone für ein
Gespräch aus Serbien 4,80€ pro Minute verlangen. 4,80€ !!! Zum Vergleich: Die
teuerste Sexhotline hierzulande kostet nur 1,86€. Zum Glück erfahre ich das erst als
ich wieder in Deutschland bin. In allen anderen Ländern der Reise waren die
Telefongespräche preislich in einem akzeptablen Rahmen geblieben.
Ab hier überlasse
ich wieder einmal Konrads Tagebuch das Wort:
„30.8.2008
16.Tag Novi Sad – Smederevo
Über Nacht trocknen unsere Sachen halbwegs, den Rest müssen
unsere Körper übernehmen. Draußen ist es schon warm als wir losradeln.
Auf dem Weg heute soll der Verkehr ja mörderisch sein. Der
Bikeline-Reiseführer empfiehlt sogar, ab
Belgrad bis Smederevo mit dem Zug zu fahren. Aber so etwas machen wir nicht.
Jeder Meter soll aus eigener Kraft gefahren sein.
Novi Sad verlassen wir auf demselben Weg, auf dem wir auch
reingekommen sind. Schon vor der Flussüberquerung verliert Stefan seine
Getränkeflasche (Cola). Ich fuhr drüber und schwarzes Zuckerwasser spritzt in
alle Richtungen. Vor allem auf mich. Meine beiden Beine sind jetzt schön
klebrig. Das nächste Missgeschick lässt nicht lange auf sich warten: Nach einem
Schlagloch knallt es an Stefans Hinterrad, ein Katzenauge hat sich
verabschiedet und die Backpacks hängen schief. Die linke Tasche hat sich gelöst
und baumelt nun lose, nur noch durch die Gummibänder gehalten, am Gepäckträger.
Nur mit Mühe kann ich Stefan überreden, nicht auch noch diese Tasche fest und
auf die Schnelle unlösbar ans Fahrrad zu tapen. Wie wir es schon mit einer
meiner Taschen in Budapest taten, was aber abends, wenn wir unser Lager
aufschlagen sehr unpraktisch ist.
Die Fahrt geht, nachdem alles gerichtet wurde, weiter. Und
dann kommt der „Heilige Berg“. Er ist nicht besonders steil, dafür lang und die
Straße ist absoluter Dreck. Ein Schlagloch jagt das nächste, eine Bodenwelle
folgt auf die andere. Oben angekommen geht es in leichter Abfahrt in ein Dorf.
Hier ersetzen wir die verlorene Cola. An der örtlichen Bushaltestelle, welche wohl, so wie sie aussieht, sämtliche
Kriege auf serbischen Boden überlebt hat und an drei nebeneinander aufgestellte
Sonnenschirme aus Schiffsstahl erinnert, machen wir Pause. Hier begegnen
wir unserer ersten Hundebande. Der Anführer ist der Kleinste, aber auch der
Lauteste. Hinter ihm her dackeln die anderen. Nachdem sie uns abgecheckt haben
und nichts Besonderes bemerken, teilen sie sich auf. Doch sobald einer bellt,
kommen alle angerannt und schauen was passiert ist oder gefunden wurde.
Da Stefan in Novi Sad unsere Zahnbürsten zielsicher im Klo
versenkt hat, kaufen wir hier gleich neue.
Obwohl der Bikeline-Reiseführer Offroad-Strecken
ankündigte, blieben wir die ganze Zeit auf Asphalt und auch ziemlich ungestört.
Einmal ruft André an, an den wir unser Zugticketproblem outgesourct hatten,
doch auch das ist schnell geklärt. (Für
ebenfalls 4,80€/min)
Es zieht etwas zu, leichter Gegenwind kommt auf, während
wir durch langweilige Felder und urig-arme Dörfer fahren. Die Häuser sind recht farbenfroh gehalten. So zum Beispiel mit gelber,
himmelblauer oder minzgrüner Farbe bemalt und haben an Dach, Ecken und Fenstern
oft eine sich abhebende Kontrastfarbe. An der Stirnseite der Dächer sind die
Wände mit wellen- und bogenförmigen Verzierungen versehen. Der Blick in Gärten
und Hinterhöfe ist allzu oft durch eine Mauer verspertr, die aber wiederrum
ebenso aufwendig gestaltet ist, wie die Fassade des angrenzenden Hauses. Vor
dem Grundstück, im Schatten eines Baumes, darf eine Bank nicht fehlen, auf
welche man sich hinsetzt und einfach nur die Dorfstraße und deren Befahrer
beobachtet. Ein Dorf gleicht so dem nächsten.
Kurz vor Belgrad müssen wir eine Entscheidung treffen:
Entweder stark befahrene Hauptstraße oder einsame und unbefestigter Weg durch
Gärten und Felder. Wir entscheiden uns für letzteres und fahren von der Straße
ab. Noch bevor wir den anvisierten Feldweg erreichen, fängt mein Fahrrad
komisch an zu klackern. Nach kurzer Untersuchung steht fest, eine meiner
Speichen im Hinterrad ist gebrochen. Wir tapen sie notdürftig fest. Bis
Smederevo hielt sie und danach bogen wir sie etwas und klemmten sie hinter die
anderen Speichen.
Kurzzeitig folgen uns kleine Kids auf dem Feldweg, doch als
dieser so schlecht wird, dass wir uns schon überlegen umzukehren, geben sie
auf. Dafür machen wir eine DER Entdeckungen unserer Tour bisher. Stefan nennt
es später: „Same people, same place“: Mitten im Nirgendwo, abseits aller Pfade,
dort wo nur Menschen sein können, die dem bikeline-Reiseführer folgen, treffen
wir zwei Backpacker. Ein Mann und eine Frau, vielleicht Ende Zwanzig. Wir
grüßen. Stefan erkennt die „Globetrotter™“-Taschen und hält an. Es müssen
Deutsche sein, die gerade Mittagspause machen. Mehrere Minuten tauschen wir uns
aus. Ein Freund heiratet in Australien und da wollen sie nun hin. Sie wollen der Donau bis zum schwarzen Meer
folgen und dann der Küste bis Odessa folgen. Hier wollen sie den Zug nach
Moskau erreichen, um da wiederum die berühmte Transsibirische Eisenbahn bis in
die Mongolei zunehmen. China steht anschließend auf dem Plan und dann wieder
Radfahren durch Vietnam und die Anrainer. Dafür haben sie ihre Jobs
gekündigt und sich auf Tour gemacht. Bei genauerer Nachfrage erfahren wir, dass
sie für die gleiche Strecke schon doppelt solange unterwegs sind wie wir. Na ob
sie das bis 19.9. nach Odessa schaffen? Denn dann müssen sie da sein, auch sie
haben schon Zugtickets gebucht. Wir wünschen ihnen von Herzen viel Erfolg. Sie
erwidern den Gruß.
Links von uns ist längere Zeit ein militärisches
Sperrgebiet. Auch hier wieder wilde, aber friedliche Hunde. Nach mehreren
Kilometern hat uns der Asphalt wieder. Die Straße nach Belgrad ist stark
befahren. Doch ich hätte es mir noch ein kleines Stück schlimmer vorgestellt.
Problematischer sind die schlechten Straßen. Ab und zu hat die Straße am Rand,
also gerade dort wo sich normalerweise die Radfahrer rumdrücken, ein Loch. Mit
harter Kante und ordentlich tief. Manchmal kann ich nur sehr knapp ausweichen.
Das Fahrrad leidet.
Sobald wir an der Donau sind, ändert sich das Bild. Die
Uferpromenade ähnelt der in Prag. Popcornhändler, Gaukler und Karussell sind
anwesend. Wenig später erklärt sich auch, warum: Als wir die Sava, den Donauzufluss
in Belgrad, über die erstbeste Brücke überqueren wollen, hält uns ein kleiner
Junge auf. In bestem Schulenglisch erklärt er, dass die Brücke auf dieser Seite
wegen eines Feuerwerkes, das gerade aufgebaut wird, gesperrt sei. Eine
Überquerung auf der anderen Straßenseite sei jedoch möglich. Es scheint gerade
ein Stadtfest stattzufinden. Hinter der Brücke kommt uns eine
Umzugsgesellschaft entgegen. Prinzengarde und kostümierte, herausgeputzte
Mädels, sowie Standartenträger. So wie in Deutschland zum 11.11.
An der Belgrader Festung Kalamegdan fahren wir links
vorbei. Für so etwas haben wir in einer solchen Stadt kein Auge. Der
Stresspegel steigt. Hier, bei einem leichten Anstieg, herrscht das blanke
Verkehrschaos. Zwar gibt es für jede Richtung drei Spuren, doch auf der rechten
wird grundsätzlich erstmal geparkt. Damit das einigermaßen gerechtfertigt
erscheint, wird einfach die Warnblinkanlage angeschaltet. Das funktioniert und
wird scheinbar auch akzeptiert, wenn man so in zweiter Reihe parkt. Der Verkehr
bewegt sich über zig Kilometer nur mit Stop-and-Go. Wenn man nur selbstbewusst,
auch mit dem Fahrrad, in jede sich öffnende Lücke fährt und keine Angst vorm
Ausbremsen von Bussen hat, geht der Verkehr aber. Denn keiner hat hier böse
Absichten und will einen wie uns um rauchen.
Rechtzeitig kommen wir aus dieser grässlichen, aber nicht
fürchterlichen (wie Brüssel) Stadt heraus. Wir kaufen in einem Supermarkt etwas
ein und machen Frühabendbrot, oder Spätmittagessen. Es ist so gegen Vier. Auf
drei Europaletten hocken wir wie Penner hinter den Müllcontainern des
Supermarktes. Unser Blick richtet sich auf zwei riesige Häuser, eher Türme,
welche stufenförmig in den Himmel ragen. Sie erinnern an Townships oder den
Turm, welcher mal in Babel stand. Wer wohl in so einem Monstrum wohnt? Sido
vielleicht?
Bei einer langen Abfahrt lassen wir Belgrad endgültig
hinter uns und müssen feststellen, dass es weniger schlimm als erwartet war.
Städte wie Budapest, aber auch Brüssel und Paris, haben uns schon das Schrecken
gelehrt.
Den nächsten Berg unterschätze ich völlig und attackiere
zwei Backpacker, die so bescheuert sind und mit Rucksack, anstelle von
Gepäckträgertaschen, fahren. Das überholen war noch leicht, das wegkommen
gestaltet sich als schwierig. Denn eines gilt fürs großspurige Überholen: Man
muss dann auch die Lücke reißen können. Ich schnaufe wie eine alte Lok und
schaffe es gerade so, die beiden
abzuhängen. Und ich beobachte dieses
illustre Schauspiel von Selbstüberschätzung gemütlich aus Konrads Windschatten.
Doch der Anstieg wird immer länger. Hinter jeder Kurve geht er weiter. Oben
angekommen bin ich stehend k.o. Zum Glück geht es jetzt erstmal bergab, aber
gleich wieder steil bergauf. Hier und heute ist eine der bergigsten Etappen
unserer Tour. In dem Wissen, dass ich in der Tschechei in Tschechien schwerere Klopse überwunde
hatte, schaffe ich aber auch diese. Stefan kommt recht gut und immer vor mir
über die Berge.
Langsam sinkt die Sonne bedrohlich tief und wir haben noch
immer nicht Smederevo oder einen Zeltplatz erreicht. Zeltplätze scheint es in Serbien nur ganz versteckt zu geben und
wildcampen geht de facto nicht, weil wir dann nicht gemeldet wären, aber bei der
Ausreise aus Serbien für jede Nacht eine Anmeldung vorweisen müssen.
In Smederevo, das wir erreichen als es schon dunkel ist,
finden wir auch keinen Zeltplatz. Auch eine Pension o.ä. finden wir nicht. Das
lange beworbene “Hotel Smederevo“ liegt brach und dem Verfall preisgegeben. Wir
fahren kreuz und quer durch diese Industriestadt. Nach mehreren erfolglosen
Fragen und einem netten Schlussanstieg und als wildcampen schon, mit einem
schlechten Bauchgefühl, beschlossene Sache ist, finden wir schließlich das
“Hotel Čar“. Čar ist nicht gleich Car und hat auch nichts mit einem
Motel für Autofahrer zutun, sondern wir Zar gesprochen und bedeutet es auch.
Das “Hotel Zar“ wird uns beherbergen. Es ist billiger als Vukovar, dafür sehr,
sehr viel besser. Ein riesiges, klimatisiertes Zimmer mit Teppich und
Samtvorhängen, ein Bad aus Marmor und deutsches Fernsehen. Wir sind begeistert.
Abends schauen wir noch ewig fern (u.a. die
Bundesligazusammenfassung) und kochen dabei auch hier wieder mit unserem
Gaskocher im Zimmer.
Heute war eine
unheimlich lange und stressige Etappe, da sie von Autoverkehr geprägt war, den
man nur sehr selten umgehen konnte. Die Serben fahren ganz andere Fahrzeuge,
die TOP2 sind der Yugos Tempo 1.1 und der Zastrava Scala 55. Und ob die Serben
wirklich Autofahren können, ist eine weitere Frage: Auf der Straße von Belgrad
nach Smederevo fanden sich auf jedem Kilometer mindestens ein, manchmal auch
drei, Grabsteine am Straßenrand. Man setzt hier keine Holzkreuze, sondern
Grabmahle wie auf dem Friedhof, in welche oft auch ein Foto des Verunglückten
eingraviert ist. Am Anfang noch bedrückend, gewöhnt man sich an diese Bilder.
Super in Serbien
ist, dass man zwar kyrillische Schrift hat, aber überall wo es wichtig ist,
auch lateinische Schriftzeichen verwendet. Für uns, die wir Latein anstelle von
Russisch in der 7. Klasse gewählt haben, eine große Hilfe.
Dass wir heute zum
dritten Mal in Folge das Zelt im Sack lasse,n schlägt ziemlich auf die
Reisekasse und das Gewissen. Aber Minen in Serbien und diese blöde
Melderegelung in Serbien machen es anders nicht möglich. Zeltplätze gibt es
nicht.
Morgen reicht auch
die halbe Strecke und halb soviele Anstiege.
#17
|
Sonntag, 31.08.2008
|
Smederevo - Ram - Bela Crkva
|
91,1 km
|
4:46 h
|
av.
V = 19,1 km/h
|
↗ 304 hm
|
↘346 hm
|
av. P = 80 W
|
20°C - 33°C, sonnig
|
1600 RSD (Dinar)
|
|
|
|
|
Oh - was war das für ein herrlicher Morgen: Frühstück wie
für Zaren: Spiegel- und Rührei, Würstchen gekocht oder gebraten, ein Buffet,
das einem alles bot, worauf man Appetit hatte. Wir schlagen uns den Wanst voll.
Zurück auf dem Zimmer die nächste tolle Überraschung: Auf Pro Sieben laufen
gerade zwei Folgen “Scrubs“. Also nochmal rein ins Bett und eine Stunde
Fernsehen geschaut. So beginnt der Tag doch einmal angenehm.
Umso schwerer fällt dann der Aufbruch. Es war die
erholsamste Nacht der Tour. Im Hotelfoyer haben wir “Lowpacker“ getroffen, so
nennen wir Radreisende, die kaum Gepäck dabei haben und deswegen unserer nicht
würdig zu seien scheinen, weil sie von einem ganz anderen Schlag sind. Diese
zum Beispiel , fahren auch die Donau ab, doch zerstückeln sie die Tour in viele
kleine Minietappen, die sie dann jedes Jahr für Jahr abfahren. Im Übrigen
begann ihre Tour in Belgrad erst einmal mit einer Zugfahrt hierher nach
Smederevo.
Der Weg aus der Stadt hinaus, ist ebenso schwierig, wie
gestern Abend das Finden einer Übernachtungsmöglichkeit. Instinktiv fahren wir
zunächst wieder an die Donau, um uns zu
orientieren. Direkt am Fluss ist eine alte Festungsanlage mit vielen Turmresten
und unheimlich dicken Mauern zu finden, die aus einer Zeit stammt, in der
Smederevo Hauptstadt ganz Serbiens war. Aber das ist nun schon über 500 Jahre
her, heute hat man sich der Industrie verschrieben und besitzt das größte
serbische Stahlwerk. Das ist doch auch was. Wenn auch etwas Hässliches.
An der Festungsanlage stellen wir fest, dass wir wieder
genau in die andere Richtung müssen, denn die Donau verlassen wir nun für zirka
70 Kilometer. Endlich fahren wir wieder auf kleinen Straßen durch die
Landschaft. Es herrscht wenig Verkehr.
Die friedliche Stimmung wird jäh unterbrochen, als wir an
einem Schrottplatz vorbeifahren. Nicht der Schrottplatz an sich stellt ein
Problem dar, vielleicht auch nicht der Hund der ihn bewacht, aber die Tatsache,
dass es diesem Schlingel gelingt, sich ganz klein zumachen und seinen Körper
unter dem Eingangstor durchzuquetschen. Wie von der Tarantel gestochen ist er
auf 180 und greift uns mit gefletschten Zähnen an. Wir wissen nicht, was ihn
geritten hat, dermaßen auszurasten, aber die Gedanken heben wir für später auf
und sprinten erst einmal davon. Auf Asphalt haben wir einfach die höhere
Endgeschwindigkeit. 40 k m/h sind auch mit dem vollbepackten Tourenrad in
solchen Notsituationen möglich.
In Osipaonica, vielleicht 20 Kilometer südlich von
Smederevo, biegen wir auf eine noch kleinere Dorfstraße ab und fahren so wieder
gen Osten. Es ist eine gute Idee des bikeline-Reiseführers - um ihn auch einmal
zu loben - hier einen Umweg zu wählen und so ein angenehmeres Fahren als gestern
zu ermöglichen.
Es ist Sonntag und in Osipaonica ist Flohmarkt. Ein recht
großer Flohmarkt, aber wir fahren ohne etwas zu kaufen weiter. Wir haben ja
alles was wir brauchen. Für die Menschen der Gegend hier, ist der Flohmarkt
wohl auch mehr als nur Ankauf/Verkauf. Es ist ein Gewusel, wie auf einem
Jahrmarkt. Am Ortsausgang sehen wir wieder ein so typisches Bild für Serbien:
An Müll am Straßenrad, welcher auch noch vor sich hin brennt haben wir uns ja
schon gewohnt. Hier aber steht sogar der Verursacher mit einem Stock noch
daneben und hält das Feuer am Leben. Mit einer Selbstverständlichkeit erzeugt
er einen dicken Rauch der die Sichtweite soweit beschränkt, dass man nicht mal
mehr sieht wo die Straße endet und Löcher beginnen. Warum die Serben – und man kann
es ohne schlechtes Gewissen verallgemeinern – ihren Müll in die vielleicht
sogar schöne Natur tragen um ihn dort zu verbrennen, bleibt uns ein Rätsel. Nur
verbrennen Folietüten, Dosen und anderer Hausmüll ja nicht sauber, sondern
hinterlassen einen unansehnlichen verkohlten Rest. Andere Länder, andere Sitten.
Wir fahren weiter und kommen an eine geschlossene
Bahnschranke, die sogar einen Schrankenwärter hat. Als wir gerade warten
wollen, winkt uns der Bahnwärter Thiel – nennen wir ihn einmal so – über die
geschlossene Schranke. Wir vertrauen ihm, da er vom Fach ist (?) und überqueren
die Gleise. Wenige Augenblicke später kommt der Zug angerauscht. Wieder: Andere
Länder, andere Sitten. Dass diese Aktion richtig nach hinten hätte losgehen
können, wird erst wenig später klar: Denn Autofahrer (und Radfahrer) teilen
sich hier mit der Eisenbahn eine Brücke über den Fluss Velika Morava. Die
Gleise verlaufen quasi auf der einspurigen Straße. Die Schranke sorgt dafür, dass
kein Unglück passiert. Man kann dann auf der doch etwas längeren Brücke nicht
einfach ausweichen. Gott sei Dank: Wir
hatten auf den 50 Metern zwischen Schranke und Brücke eine kleine Pinkelpause
eingelegt, in welcher die Eisenbahn, mit ihren fröhlich winkenden Fahrgästen,
uns passiert.
Als nächstes kommen wir in die Feuerstadt. Ins serbische
übersetzt: Požarevac, Geburtsort von
Slobodan Milošević, Verantwortlicher für viele Massaker, auch das von
Vukovar und Srebrenica. Die Stadt ist recht langweilig. Ich vernavigiere mich
zu Konrads Leidwesen zwei, drei Mal, wir fahren unnütz einen langen Berg
hinauf. Aber ihre Geschichte ist einprägsam und geht so: Ein türkischer
Kriegsherr verlor eine Schlacht gegen seine serbischen Feinde, dabei wurde er
verletzt und tauchte in einem Dorf unter. Als die Serben den Dorfbewohnern
befahlen, den türkischen Sultan auszuliefern, weigerten sich diese aber, weil
sie Angst vor der Rache der Türken hatten. Daraufhin töteten die Serben alle 70
Männer des Dorfes, welches von da an Udovice (“Witwendorf“) hieß. Der türkische
Sultan Alibeg floh abermals und versteckte sich nun in einem riesigen
Schilfgebiet in dieser Gegend. Da fackelten die Serben nicht lange und steckten
das Schilf in Brand. Mehrere Hektar Land verbrannten und der Sultan fand einen
grausamen Tod. So bekam die Stadt den Namen “Feuerstadt“. Eine schreckliche
Geschichte, aber schon einige Jahrhunderte her. Und seit her verbrennen die
Serben alles was ihnen nicht lieb ist, wie den Müll zum Beispiel. Ein kleiner
Scherz.
Von nun an fuhren wie durch einen großen Braunkohletagebau.
Immer wieder tauchten kolossale Rohre oder Förderbänder am Wegesrand auf. Es
war die Gegend um Kostolac, welche ärmer als der bisher gesehene Teil von
Serbien zu sein schien und verwahrlost und unwirklich wirkte. Kostolac selber,
ein römischer Kaiser liegt hier begraben, war vom Tagebaudreck gezeichnet und
sah wenig einladend aus. Die Dörfer davor und danach waren verfallen, fast
Geisterdörfer, auch die Straße verwilderte und wuchs schon langsam mit Unkraut
zu. Doch Menschen lebten noch immer in den Häusern, die keine Glasscheiben mehr
in den Fenstern hatten und überhaupt zerfallen waren und eher an Rostlauben
erinnerten. Die Kinder spielten im Müll. Ja auch hier: Müll soweit das Auge
reichte. Es könnte sein, dass man diese Dörfer schon abgeschrieben hat, da auch
hier der Tagebau eines Tages hinkommt und dann sowieso alles verschwinden wird.
Einmal sehen wir auch ein neugebautes Haus, mitten auf einem Feld, es war
verlassen. Dass Menschen hierher ziehen, kann man sich aber auch nicht vorstellen.
In Drmno, dem
nächsten Ort, sieht die Welt wieder ganz anders aus. Hier sind die Straßen in
Ordnung, die Häuser in Schuss mit gemähtem Rasen im Vorgarten. Es gibt einen
Laden und ein Denkmal, das an einen der viele Kriege erinnert. Hier machen wir
eine kurze Mittagspause. Wie in Kroatien, gibt es auch in Serbien in jedem Kuhkaff einen kleinen Kaufmannsladen
und so essen wir im Schatten des Denkmals unser Eis. Anschließend hätte ich
fast eine Katastrophe verursacht: Als wir wieder aufbrechen, lasse ich die
Tasche mit allen wichtigen Dingen liegen, ich hatte sie immer am Mann, damit
eben nichts wegkommt. Das Portmonee mit Geld, ec-, und Kreditkarte, unsere
Reisepässe, die Anmeldungen für Serbien und das Ticket für den Rückflug aus
Istanbul, alles habe ich auf der Bank am Denkmal liegen lassen. Gott sei Dank
wollte Konrad ein paar Meter weiter unbedingt noch eine Limo in einem nächsten
Mini-Laden kaufen, sonst hätten wir es erst viel später gemerkt und wohlmöglich wäre die Tasche dann schon längst
irgendwo anders hin gewandert. Glück gehabt!
In selbiger Ortschaft – und ich finde auch sowas muss man
erwähnen – spielte sich eine weitere Besonderheit ab. An Hundebanden hatten wir
uns schon gewöhnt, die meisten sind friedlich und machen ihr eigenes Ding ohne
groß aufzufallen. Die in Drmno hingegen fiel durch sonderbares Verhalten auf:
Sie bestand aus vier Hunden, doch zwei von denen, schienen am Po
zusammengewachsen zu sein. Sie sahen aus wie siamesische Zwillinge, aber eben
von unterschiedlichen Rassen. Der eine lief vorwärts, der andere rückwärts, Po
an Po. So gingen sie durch das Dorf. Ich dachte mir, so eine wissenschaftliche
Sensation muss ich unbedingt auf einem Foto festhalten und ging dazu näher an
sie heran, zoomen kann der Billig-Fotoapparat ja nicht. Dabei geriet der
siamesische Zwillingshund in Panik. Beide Teile wollten nun in entgegengesetzte
Richtungen abhauen. Just in dem Moment wo ich knipsen wollte, zerriss diese
Po-an-Po-Beziehung in zwei Teile. Schade. Sofort nutzte ein dritter Hund die
sich ihm bietende Chance und besprang die gerade freigewordene Hündin voller
Lust. Ich kenne mich mit Hunden überhaupt nicht aus, aber das mit den
zusammengeklebten Hunden ist so nicht normal.
Der Weg führte weiter direkt am Tagebau vorbei. Schon
einige Straßen mussten diesem Vorhaben weichen und so wird der Umweg nach
Kličevac immer länger. Am Straßenrand steht wieder einmal ein Grabstein.
Seine Gravur zeigt einen jungen Mann und seinen Wagen. Wie es hier im Niemandsland
auf einer schnurgeraden, neuen Straße, ohne Bäume oder Straßengraben, einfach
nur Asphalt auf Wiese, zu seinem tragischen Unfall kommen konnte, bleibt ein
Rätsel. Es gab nichts, wo er hätte dagegen fahren können, nicht einmal Verkehr.
Im immer stärker werdenden Gegenwind fahren wir im
Zwei-Mann-Belgischen-Kreisel nach Kličevac ein. Im Ort findet heute eine
Hochzeit statt und alles ist festlich geschmückt. Das ganze Dorf ist auf den
Beinen und feiert das glückliche Paar, welches in einer schönen Orthodoxen Kirche
mit vielen kleinen Dächern heiratet.
An einer Kreuzung
fragen wir vor einer Kneipe eine größere Gruppe von Bewohnern nach dem
richtigen Weg zum nicht einmal zehn Kilometer entfernten Fährörtchen Ram. Ein
netter alter Mann weist den Weg nach links, der gesamte Rest des Dorfes weist
lautstark nach rechts. Der Alte versichert unbekümmert und unbeeindruckt von
der Masse weiterhin mit seinem Finger nach links. Das Dorf flippt fast aus,
alle schütteln den Kopf, rufen und zeigen deutlich nach rechts, nur der Alte
nicht. Wir geben der Mehrheit recht und fahren unter Jubel nach Rechts, der
Hauptstraße folgend und kommen nach Ram.
Ram besteht eigentlich nur aus der Fähre über die Donau,
einer Gaststätte und einer alten osmanischen Festung. Aber genau diese Fähre
ist die einzige Möglichkeit weit und breit, über die Donau zu gelangen und
deswegen ist Ram recht voll. Wir müssen uns eine Weile gedulden, da die Fähre
erst nach knapp einer Stunde fährt.
Bei dem einzigen Eis im Angebot der Gaststätte genießen wir
die Pause am Wasser. Die Donau ist hier sehr breit, am anderen Ufer erkennt man
keine Häuser mehr, da sie von den Karpaten, zwischen dem Serbischen Erzgebirge
und dem Banater Gebirge, in ein enges Tal gezwungen wird. Der Donaudurchbruch
beginnt. In Ram muss man sich grundsätzlich entscheiden, auf welcher Seite der
Donau man den Donaudurchbruch befährt: Auf serbischer oder auf rumänischer
Seite. Auf den nächsten 150 Kilometer gibt es weder Brücke noch Fähre. Wir
wählen die rumänische Seite, da, so sagt man, hier viel weniger Verkehr
herrscht und man allgemein idyllischer und abwechslungsreicher durch den
imposanten Donaudurchbruch gelangt.
Nach der langen und für uns immer wieder angenehmen Fahrt
auf der Fähre erreichen wir aber noch nicht Rumänien, weiterhin befinden wir
uns in Serbien. Um nach Rumänien zu kommen, muss man einige Kilometer ins
Hinterland fahren. Doch nicht mehr heute. Unser Tagesziel ist ein Zeltplatz an
einem See. Sieben Seen gibt es hier um Bela Crkva und sie sollen alle
kristallklar sein. Unserer am Zeltplatz kurz vor dem Ort war es leider nicht.
Dennoch viel besser als die hiesigen Duschen und so können wir vor dem
Abendessen noch Baden gehen.
Wir kochen endlich mal wieder unter freiem Himmel unser
Abendessen: Nudeln. Als wir fertig sind mit Essen, fängt unser
Zeltnachbar einen großen Fisch. Serbische Freudenschreie sind zuhören, dann
wird Frauchen losgeschickt zum ausnehmen. Später treffen dann noch Freunde,
stilecht im Zastrava SKala 55, zum Fisch essen und Krimi gucken ein. Auch wenn er
nicht viele PS hat, Scheinwerfer wie Flakscheinwerfer hat der Zastrava. So ist
es, trotz längst verschwundener Sonne, taghell im Zelt.
Beim Zähneputzen vor dem Duschraum, komme ich zum ersten
Mal mit einem Serben, der uns kein Zimmer vermieten will, ins Gespräch: Gegen Deutsche hat in Serbien niemand etwas.
Die Bedenken, dass wir uns für unser Land und dessen Außenpolitik
verantwortlich zeigen müssen, waren unbegründet. Man freut sich vielmehr, uns hier als Gäste begrüßen zu können. Jeder
war oder kennt zumindest jemanden, der schon einmal in Deutschland gelebt und gearbeitet hat.
Der heutige Tag war zwar nicht lang, dennoch sehr
abwechslungsreich und bietet daher einen
etwas versöhnlichen Abschluss von Serbien, was ansonsten landschaftlich eher
eine Enttäuschung war.
Wie in Ungarn auch,
haben in Serbien viele Geschäfte sonntags geöffnet.
#18
|
Montag, 01.09.2008
|
Bela Crkva - Moldova Veche – Donaudurchbruch
(Dubova)
|
131,2 km
|
7:27 h
|
av.
V = 19,1 km/h
|
↗ 788 hm
|
↘787 hm
|
av. P = 100 W
|
19°C - 32°C, sonnig
|
362 RSD (Dinar) &
20 RON (Leu/Lew)
|
|
|
|
|
Montagmorgen, wir sind die allerersten die hier auf dem
Zeltplatz aufstehen und aufbrechen. Der Zeltplatzoberaufseher drückt uns beim Bezahlen
noch ein Prospekt von seiner Anlage in die Hand. Dabei ist es doch wohl
offensichtlich, dass wir hier nie wieder entlang kommen werden.
Der Zeltplatz lag wenige Kilometer vor Bela Crkva , so dass
wir schnell in dem kleinen Barockstädtchen sind und Frühstück kaufen können.
Ein Mann kommt die Einkaufsstraße des Ortes entlang und bleibt an unseren
Fahrrädern stehen. Er mustert sie genau
und schaut sich verstohlen um. Wir sitzen etwas abseits und können ihn genau
beobachten und würden unsere Fahrräder nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.
Das ganze Frühstück über schaut er die Fahrräder mit ihren großen, äußerst
praktischen Packtaschen, fasziniert an. Als wir aufsteigen, steht er immer noch
direkt neben uns, sagt aber auch kein Wort, was hätte es auch gebracht? Wir
können nicht ein Wort serbisch. Vor 1945 hätten wir uns in Bela Crkva
problemlos auf Deutsch unterhalten können, denn bis Ende des Zweiten Weltkriegs
waren die meisten Bewohner hier Deutsche. Bela Crkva hieß damals noch
Weißkirchen.
Wir verlassen den Ort auf einer schnurgeraden und einsamen,
leicht ansteigenden Landstraße, die gen
Rumänien führt. Rechts von uns bauen sich bereits die Karpaten auf, welche uns
nun von der Donau trennen. Ansonsten ist hier nichts, nur endlose Wiese und
Wind von vorn. Beide sind wir gespannt was uns in Rumänien erwartet.
Im Grenzörtchen Kaluderovo werden wir zum Abschied noch
einmal von einem stattlichen Hund angegriffen, doch es geht hier kurz bergab,
keine Chance für den Kläffer. Wobei, was würden die Grenzer 500 Meter weiter
sagen, wenn wir im Sprint, aus Angst vor dem uns verfolgenden Hund, die
Grenzanlage durchbrechen würden? Der Hund gibt kurz vorher auf.
Am serbischen Checkpoint ist schon allerhandlos. Einige
wollen die Grenze passieren und man prüft auch unseren Pass und die
Anmeldebestätigungen genau. 5 Minuten verschwindet der uniformierte Beamte mit
Konrads Dokument in seinem Häuschen. Dann dürfen wir passieren, gegen Konrad
liegt nichts vor. Ein paar Meter weiter passieren wir auch die rumänische
Grenzstelle, mit unseren EU-Pässen sind wir hier aber ratz-fatz durch: Ja - wir sind zurück in der Europäischen Union
und sind erleichtert. Nicht, dass die
Serben uns auch nur einmal Angst gemacht hätten, aber die Frage was passiert
wäre, wenn man da Pässe und Geld und alles verloren hätte, quasi gestrandet
wäre, steht dennoch im Raum. Oder was ist nach einem Hundebiss zutun? Kennen
die hier überhaupt die AOK Sachsen? In der EU, so bilden wir uns ein, sind wir
eine starke Gemeinschaft, die zusammen hält und sich gegenseitig hilft.
In Rumänien sind wir sofort in einer anderen Welt. Gleich
hinter der Grenze beginnt ein Karpatenausläufer, den wir überqueren müssen. Aus
dem Stand geht es 500 Höhenmeter durch dichten, aber flachen, Wald hinauf.
Manchmal, an einer Kurve, kann man durch die Nadelgehölze einen weiten Blick
über die Landschaft mit Hügeln, endlosen Wäldern und kräftigen Wiesen nehmen.
Stetig geht es bis zum höchsten Punkt bergauf. Die Straße ist in einem
tadellosen Zustand und fast unbefahren, einmal kommt hier im Niemandsland ein
Müllauto vorbei und sammelt an einer Raststätte die Abfälle ein. Ein Traum.
Was es hoch geht, muss es auch wieder hinuntergehen, in
einer rasanten Abfahrt erreichen wir wieder die Donau bei Pojejena. Die Donau
ist hier im Donaudurchbruch in einem engen Tal, welches für den Wind wie ein
Tunnel wirkt. Wir haben sehr straken Gegenwind. Am Ende der Abfahrt müssen wir
sogar bergab stark treten.
Wenig später in Moldova Veche, begehen wir die erste
Handlung wie in jedem neuen Land: Geld beschaffen. Da wir keinen Geldautomat
finden können, bitten wir einen jungen Mann, mit FC Bayern München – Base Cap,
uns zusagen, wo es zu einem Bankomat geht. Er versteht kein Wort. Ich versteh
kein Wort. Erst als er die Kreditkarte sieht, verstehen wir uns. Nun sollen wir
ihm folgen und zwar genau in die Richtung aus welcher er gerade kam. Er führt
uns lange durch die Stadt, scheut keinen Umweg für sich. Am Straßenrand sehen wir erste
Pferdefuhrwerke geparkt wie Autos und auch einen Rettungswagen mit der
Aufschrift: “Rettungsdienst Köln – Jeder Schlaganfall – ein Notfall - 112“.
Nach zehn Minuten haben wir gleich mehrere Bankhäuser zur Auswahl. Er
verabschiedet sich schneller, als wir uns für seine Hilfe bedanken können und
verschwindet. An dem Geldautomat stellt
sich uns erst einmal die Frage, wie viel rumänisches Geld wir gedenken
abzuheben. Widersprüchliche Wechselkurse entdecken wir in der Reiseliteratur:
Der Bikeline-Reiseführer meint 1 € entspricht über 35.000 rumänischen Lei. Ich
hatte eigentlich irgendetwas mit 1:3 in Erinnerung und verlasse mich auch
richtigerweise auf mein Bauchgefühl. Die 350 rumänischen Lei entsprechen etwa 100€,
was für die Tage in Rumänien reichen sollten. Hätte ich blind 100 mal 35.000
Lei abgehoben – was natürlich niemals funktioniert hätte – wäre ich im Besitz
von knapp einer Million Euro gewesen und das in einem Land in dem der
durchschnittliche Arbeiter nur 200€ pro Monat verdient.
Wir verlassen Moldova Veche auf der einzigen Straße, die in
Richtung Süden und so in den Donaudurchbruch führt. Die steilabfallenden
Feldwände beidseitig des Flusses stauen die Donau hier noch einmal zu einem See
an. In dessen Mitte eine Gebirgsfalte eine Insel bildet und an dessen Ufern eine
Mondlandschaft die letzte flache Ebene für mehr als 100 Kilometer erschafft. Wieso
plötzlich für ein paar Kilometer unseres Weges diese trostlose Ödnis zwischen
der Straße und der Donau da war wissen wir nicht. An einem Meer hätte ich
gedacht, dass hier Salz gewonnen wird.
Unmittelbar an der Stelle wo sich die Donau in die Felsen
schneidet, sehen wir auf der serbischen Flussseite die 700 jährige Festung Golubac,
welche sich vom Ufer der Donau bis auf einen etwa 100 Meter hohen Felsen
erstreckt, und von da oben über die Einfahrt in die Schlucht wacht. Ein recht
imposantes Bild, welches man wohl nur von Rumänien aus so auf sich wirken
lassen kann. Allzu lange können wir hier jedoch nicht rasten oder gar eine
Siesta machen: Wir haben nämlich keine Getränke mehr und die Sonne knallt auf
uns herab. Außerdem verliert man bei so starkem Gegenwind noch mehr Flüssigkeit
als sonst schon über die Atemluft und hat so ständig Durst.
Doch das Probleme ist uns in diesem Moment egal, auch alle noch so langweiligen
Abschnitte unsere Tour, alle Irrfahrten im Verkehrschaos von Budapest und
Belgrad sind vergessen: Wir fahren in die beeindruckteste Naturlandschaft
unserer Tour ein: Das Donaudurchbruchstal des Eisernen Tors. Auf einer Straße
mit perfektem Asphalt, die aber außer uns kein Mensch nutzt, radeln wir an
steilen Felshängen vorbei. Nur die Straße findet zwischen den manchmal
bewaldeten, andermal schroffen Bergen und der schmalen und schnellen Donau
ihren Weg. Es ist ein – im wahrsten Sinne des Wortes – unbeschreibliches
Ambiente: diese Ruhe und Einsamkeit, die Nähe zum Strom, die hohen Felsen und
immer wieder Bauten aus längst vergangenen Tagen wie dem Kloster Manastirea
oder den Cetatii Tricole, habsburgische Zolltürme, die nach wie vor aus den
Fluten ragen. Es waren mal drei, heute stehen noch zwei.
Auf der anderen Flussseite, im Schatten und immer wieder in
Tunneln verschwindend können wir die starkbefahrene Alternativroute durch den
Donaudurchbruch sehen, aber nicht hören, denn auch wenn das andere Ufer nah
scheint, ist es doch viel weiter weg und Straßenlärm dringt nicht bis zu uns.
Auch wenn es langsam spät wird, machen wir noch einmal Pause und klettern von
unserer Straße zum Fluss hinab, halten die Füße ins Wasser und sind einfach nur
glücklich hier zu sein. Ein paar Angler sind unsere einzigen Zeugen.
Immer wieder kommen wir an kleinen Dörfern vorbei, doch
Einkaufsmöglichkeiten finden wir keine und somit haben wir auch weiterhin nichts
zum trinken. Vermutlich verdurstet man nicht am Ufer, des größten europäischen
Flusses, der pro Sekunde 6.000 m³ Wasser an uns vorbeidrückt, aber abgefüllt in
Flaschen, vielleicht auch mit Kohlensäure und eventuell etwas Geschmack ist uns
doch lieber. In einem weiteren malerischen Örtchen beschließen wir daher uns zu
informieren und den Erstbesten zu fragen. So ein Schritt will jetzt gut
überlegt sein: Die Dorfstraße des auserwählten Ortes führt brutal steil den
Berg hinauf aus dem Tal und allzu oft möchte man so einen Abstecher nicht
umsonst machen. Aber an einem Pfirsichbaum mit reifen Früchten kann man auch
den ersten Durst stillen und weitere Motivation sammeln.
Wir erregen schnell aufsehen und als ich meine leere Wasserflasche
zeige, um so den Weg zum nächsten Laden zu erfahren, ist ein Bauer so
hilfsbereit und füllt mir die Flasche mit Brunnenwasser ab. Trinken würden wir
es nicht, doch das lasse ich mir nicht anmerken und da der Mann sichtlich froh
war uns geholfen zuhaben, will ich ihn auch nicht weiter nach dem Weg zu einer
alternativen Wasserversorgung „fragen“. Wir versuchen einen Dorfplatz oder die
Kirche zu finden, irgendwo müssen die Leute ja auch Lebensmittel bekommen
können. Es kann ja nicht jeder ein Selbstversorger sein, so wie unser
Gemüsebauer mit dem Brunnen. Doch immer wieder enden steile Straßen in einem
Bauernhof oder auch auf dem Friedhof. Doch plötzlich sehen wir an der Wand
eines Hauses die Schrift: „Complex commercial“. Unsere alten Lateinkenntnisse
sagen uns, dass man hier Geld für irgendetwas ausgeben kann. Im Idealfall: Getränke,
in Flaschen, mit Kohlensäure und Geschmack. Und tatsächlich: Ein
Lebensmittelladen, Komplex ist vielleicht ein wenig übertrieben, mit allem was
uns glücklich macht. Viele Regale sind schon leer oder waren vielleicht auch
nie voll. Mit unseren umgerechneten 100 Euro könnten wir den Laden komplett leer
kaufen. Wir halten uns zurück und sind dankbar für eine Tüte Nudeln, Soße, Limo
und Wasser. Jetzt haben wir alles was wir wollten und die Suche nach einem
Nachtlager kann beginnen.
Wir wollen aber noch ein Stück an der Donau weiterfahren. Ein
paar Kilometer weiter soll sich ein Zeltplatz befinden. Die Abfahrt durch das
Dorf, hinab zu unserer Donau wurde nichts so angenehm wie anzunehmen gewesen
wäre. Ein Hund lauerte uns plötzlich auf, hinauf hätte er es deutlich leichter
gehabt, und greift uns an. Leise hatte er sich angepirscht, bemerkt haben wir
in erst, als er neben uns stand und anfing zu bellen. Auf der Flucht erwischte
er noch meine hintere Gepäckträgertasche mit einem beherzten Biss. Zu mehr kam
er nicht, Hangabtriebskraft sei Dank. Eine Kurve weiter drehte der nächste Hund
frei, überschlug sich aber selber bei dem Versuch uns zu beeindrucken. Man wo
kamen die Viecher denn auf einmal alle her und warum sind wir auf einmal ihre
Zielscheibe? Und was wäre wenn ich oder Konrad von einem gebissen worden wäre?
Adrenalingeladen kommen wir zurück auf die leere
Hauptstraße. Es sollten bei weitem nicht die letzten Begegnungen mit den
Kläffern für diesen Tag gewesen sein. Die Straße wurde nun immer schlechter.
Der erste Abschnitt war perfekt asphaltiert gewesen, weil er nigelnagelneu (Ja
man schreibt es so) war. Doch mehr als die ersten 20 Kilometer hat die
Wanderbaustellen noch nicht geschafft. Von nun an rollen wir immer mehr auf
Kies und Staub. Tief Luft holen heißt es da, wenn wir doch einmal einem Auto
begegnen.
Wenn man mit dem Rad
durch ein fremdes Land fährt, dann macht man es auch um fremde Kulturen und
Lebensweisen kennen zu lernen. Und jeden Tag sieht man etwas Neues, erfährt
etwas Unerwartetes und lernt dazu:
Heute lernen wir, wie man in Rumänien seine Baustellenmaschinen
vor Diebstahl oder Sabotage schützt: Man nehme sich eine Hundebande irgendwo
her und siedele sie direkt an der zu bewachenden Maschine an. Dort füttert man
sie so oft, bis die die treuen Söldner es als ihr Revier begriffen haben und
dann, wenn es langsam Abend wird und zwei abgerackerte Radfahrer die Straße
entlang fahren und nichts ahnend sich der Baustelle nähern, attackieren sie
diese und vertreiben den Feind, auch wenn er garnichts Böses im Sinn hatte. Auf
Kies den Biestern davon zufahren ist nun schon weit anspruchsvoller als die
Abfahrtsflucht auf Asphalt. Wir meistern an diesem Abend noch drei weitere
dieser Aufgaben. Aber selbstverständlich ist das nicht. Ich weiß nicht, wie
vielleicht ältere Radreisende hier davon kommen, wenn sie es nicht schaffen auf
40km/h unter diesen Bedingungen zu beschleunigen und dann auch nicht auf dem
Geröll stürzen. Ungeschoren jedenfalls nicht.
Es wird schon dunkel als wir der Straße hinauf ins Dorf
Dubova folgen. Wir sind ganz nah an der engsten Stelle des Donaudurchbruches.
Hier stehen die Felsen besonders steil im Wasser und die Straße muss über den
Berg führen. Oben angekommen versuchen wir den Zeltplatz zu finden, den es hier
geben soll. Ein paar ältere Leute genießen den Abend auf einer Bank und
unterhalten sich, als Konrad sie nach dem Weg fragt. Konrad kann – soweit ich
weiß - kein Rumänisch und hier kann auch eigentlich keiner Englisch oder
Deutsch, dennoch erfährt er irgendwie eine Wegbeschreibung zum Zeltplatz. Eine
steile Straße hinab an die Donau und dann immer rechts halten und da soll er
sein.
Wir kommen wieder an einer Art aufgestauten See heraus. Wir
sind kurz hinter der engsten Stelle und ein paar hundert Meter weiter wird es
wieder recht gepresst zwischen den Felsen, aber hier hat sich eben diese Art
See gebildet. Das Wasser ist ganz friedlich, sogar kleine Schiffe könnten
anlegen. Wir folgen der Wegbeschreibung weiter am Ufer des “Sees“, beobachtet
und verfolgt von einer weiteren Hundebande und gelangen an die Anlegestelle
eines Hausbootes. Ein Schild weißt den kurzen Weg in die Lichtung des dichten
angrenzenden Waldes. Wir sind direkt am Donaudurchbruch, so nah, dass wir
nichts davon sehen können, weil der Weg hier endet.
Es ist nun schon dunkel, ein kleiner Hund steht bei uns auf
der Lichtung. Er scheint friedlich gesinnt zu sein. Hier ist der deklarierte
Zeltplatz. Also eine einfache freie Fläche im Gehölz, wo man sein Zelt aufbauen
kann. Mehr nicht. Aus dem Wald hören wir Gefauche und Gebelle anderer Hunde.
Oder von Wölfe. Oder Bären. Alles kann es hier geben. Es ist unheimlich. Es ist
kein schöner Ort zum zelten. Wir gehen zurück ans Wasser zu dem Hausboot, der
kleine Hund begleitet uns und schlagen unser Lager direkt unter einem Baum, auf
einer kleinen Wiese auf. Damit wird hier gewiss keiner ein Problem haben.
Der Besitzer des Hausbootes bemerkt und rasch und wir
kommen ins Gespräch. Er heißt Daniel, ist Grenzbeamter hier an der
EU-Außengrenze zu Serbien und wohnt scheinbar allein auf dem Boot. Er schmeißt
den Generator an und beleuchtet mit einem Scheinwerfer unser Lager. Das ist
ziemlich hilfreich, da es in stockdunkler Nacht schwierig ist ein Zelt aufzubauen,
den Kocher herzustellen und alles bereit für die Nacht zu machen. Daniel hat
eine Katze namens Tom, die alsbald zu ihm kommt und nach Abendbrot verlangt. Es
muss ein hartes Leben für eine Katze, hier mit all den Hunden, sein.
Unser kleiner Hund hat sich an den Eingang des Zeltes
gelegt. Er sucht immer wieder den Kontakt und steht eindeutig auf unserer Seite
im Vergleich zu all den anderen Mistviechern heute.
Am Abend passiert mir noch ein Malheur: Beim Abwaschen
unserer Teller und des Topfes im Flusswasser, rutsche ich von den Steinen und
falle in die Donau. Komplett. Konrad und Daniel lachen sich über mein
Missgeschick lautstark kaputt. Kein Gedanke daran, mir aus dem kalten Wasser zu
helfen. Mir bleibt nichts anderes übrig, dieser Sache auch das witzige
abzugewinnen, die Wut zu verdrängen und mit zulachen. Dummerweise hatte ich aber
mein Handy dabei in der Hosentasche. Abends mache ich immer an um zu erfahren,
wer sich um mich sorgt, so auch heute und hab es dann in die Tasche gesteckt.
Es gibt von nun an kein Lebenszeichen mehr von sich.
Fazit des Tages: Tolle Landschaft am Donaudurchbruch und
böse Hunde, außer unserer, überall. Das Pfefferspray bleibt heute Nacht in
Griffweite.
#19
|
Dienstag, 02.09.2008
|
Donaudurchbruch (Dubova) - Drobeta-Turnu Severin - Crivina
|
94,4 km
|
5:05 h
|
av. V = 18,5 km/h
|
↗ 412 hm
|
↘391 hm
|
av. P = 60 W
|
17°C - 38°C, sonnig
|
52 RON (Leu/Lew)
|
|
|
|
|
Der Morgen beginnt mit der Diskussion wie spät es ist. Ein
Blick auf die Uhr reicht heute nicht aus, denn seit wir in Rumänien sind, sind
wir auch eine Zeitzone weiter östlich. Also schon eine Stunde später als auf
der Uhr. Konrad sieht es nicht ein, an dieser willkürlich gezogenen Zeitgrenze
eine neue Zeitrechnung zu beginnen. Hätte es den Einfluss auf unsere weitere
Reise, richten wir uns überhaupt nach der Uhr, ist es nicht völlig egal wie
spät es ist? Der Tag beginnt mit dem Sonnenaufgang und endet, wenn die Nacht
hereinbricht. Es ist völlig egal ob das um 19 Uhr oder 20 Uhr passiert. Die
Zeit ist relativ, wenn es in Deutschland 19 Uhr ist und hier in Rumänien 20
Uhr, dann ist dennoch derselbe Augenblick. Die Worte in einem Telefonat –
sofern man Handy ohne Wasserschaden hat - verharren nicht eine Stunde in der
Leitung bis die Zeit bei Anrufer und Angerufenem gleich ist. Es ist scheißegal.
Eigentlich. Aber sobald man in Kontakt mit Menschen tritt und sei es nur um
Öffnungszeiten des nächsten Ladens zu erfragen, muss man sich auf einen
einheitlichen Zeitbezug einigen. Und der ist in Deutschland und Serbien gleich,
nicht aber in Rumänien. Da wir uns nicht einigen können, sprechen wir von nun
an von 7 Uhr rumänischer Zeit und 8 Uhr serbisch-deutscher Zeit. Nach diesem
Beschluss stehen wir auf.
Die ganze Nacht über hat uns unser kleiner Hund bewacht.
Immer wieder hat er andere Hunde vertrieben oder sie gar bekämpft. Das ein oder
andere Mal dachte ich schon, den Geräuschen nach zu schließen, er sei im Kampf
gefallen. Doch am nächsten Morgen begrüßte er uns am Eingang des Zeltes. Er
wedelte mit dem Schwanz und freute sich uns zu sehen. Eine treue Seele und das
ganz ohne Gegenleistung. Wir haben leider keine Belohnung für ihn.
Ich ziehe meine nassen Klamotten an, über Nacht sind sie
nicht getrocknet und auch am morgen scheint noch kein Sonnenstrahl in diese
enge Schlucht. Daniel hat heute Morgen seine Grenzpolizeiuniform an und ein
Kollege ist auch bei ihm. Sie kommen zu uns rüber und wollen irgendetwas sehen.
Sie schauen sich gezielt um. Daniel findet das englische Wort nicht um
auszudrücken, was er meint, Konrad kann wirklich kein rumänisch und so wissen
wir nicht was sie wollen. Nach einem Augenblick sehe ich in Daniel nicht mehr
den lustigen Gesprächspartner von gestern Abend, sondern nur noch seine
Uniform. Ich zeige ihm unsere Reisepässe, vielleicht will er ja die sehen? Da lacht er nur, die sind ihm
egal. Schließlich findet er, was er sucht: unsere Landkarten. Er zeigt uns, wo Rumänien liegt und wo das verhasste Serbien
ist und wo unsere Heimat, Deutschland, sein muss. Er zeigt uns ein Städtchen in
Bayern, wo er mal eine Zeit lang bei seiner
Schwester gewohnt hat. Alle Menschen die wir treffen, waren irgendwann einmal
eine Weile in Deutschland.
Als wir Dubova verlassen, versucht unser kleiner
Beschützerhund noch eine ganze Weile uns zu folgen. Letztendlich vergeblich,
kein Hund kann uns folgen. Es bricht uns das Herz, als wir noch einmal
zurückblicken und er dort ganz traurig sitzt und uns nach sieht. Wir werden ihn
sicher nie vergessen.
Als wir das Dorf endgültig verlassen haben, wird endlich
die Sicht auf die engste Donaustelle frei. Es ist beeindruckend, wie die manchmal kilometerbreite Donau hier auf einen Steinwurf
weit zusammengepresst wird.
Gleich hinter dem nächsten Flussbogen erwartet uns die
nächste Sehenswürdigkeit: Der Decebalus
Rex, ein Monument in Stein gehauen, 40 Meter hoch und 25 Meter breit, es zeigt den
Kopf des letzten Königs von Dakien, dem heutigen Rumänien. Sein Name heißt
übrigens „so stark wie zehn Männer“ und er herrschte hier bis 106 n. Chr., als die Römer kamen.
Etwa 10 Kilometer später, im Örtchen Eşelniţa,
finden wir endlich den nächsten Laden, in dem wir Frühstück kaufen können. Drei
Brote essen wir an diesem Morgen, ein neuer Rekord. Das Radfahren und die frische Luft machen richtig
hungrig. Wir sitzen hier eine Weile in der Vormittagssonne, heute fehlt der
nötige Antrieb, vorwärts zukommen.
Außerdem hat so eine langweilige Dorfstraße überraschend viel, was man
beobachten kann: Drei Bauarbeiter kommen zum Beispiel mit ihrem
Baustellenfahrzeug an. Beim Aussteigen hat der Fahrer noch einen Songtext auf
den Lippen, den er wohl gerade noch im Autoradio volle Bulle gehört hat: “Raz
dva tri, Moskau, Posmotri, Pioneri tam idyt, Pesni leniny pojut“. Das kennen
wir doch. Irgendetwas sagen uns diese russischen Worte. Wie bei einer Melodie,
die man mit einem besonderen Augenblick verbindet, versuchen meine Neuronen im
Großhirn auch jetzt blitzschnell eine Verbindung aufzubauen… Heureka, genau
jetzt habe ich es: Es ist Rammstein, Deutschlands erfolgreichster Musikexport. Auch
hier in Rumänien bestens bekannt. Heimatgefühle kommen dennoch nicht auf. Zwei
Hunde unterhalten uns da schon besser: Einen geilen Rüden gelüstet es nach einer unwillige
Hündin. Es ist ein unterhaltsames Spektakulum zu beobachten, wie der Hund immer
wieder versucht, sie zu besteigen und
sie sich geschickt wegdreht. Doch der Hund gibt keines Falls auf, er versucht
es immer und immer wieder. Er gibt nicht auf. Und was ist die Moral der
Geschichte? ;-) Leider haben wir das „Happy End“ dieser Liebesgeschichte nicht
mehr mit erlebt. Durch rumsitzen und Sexualfeldstudien bei hundeartigen
Landwirbeltieren kommt man nämlich nicht
den nächsten Berg hoch.
Hinter besagtem Berg liegt die Stadt Orşova. Bei Orşova
ist die Donau wieder unheimlich breit, zwar immer noch im Donaudurchbruchstal
eingeklemmt, aber durch das Donaukraftwerkes SIP zehn Kilometer flussabwärts am
Eisernen Tor mächtig aufgestaut. Damals,
als das Kraftwerk 1971 gebaut wurde und mit der damit verbundenen Anhebung des
Wasserspiegels, mussten die Bewohner umgesiedelt werden und das neue Orşova
entstand. Unwiederbringlich verloren ging hingegen die Insel Ada Kaleh inmitten
der Donau. Die Insel war insofern besonders, als sie bis ins 20. Jahrhundert hinein eine
übriggebliebene türkische Enklave aus jenen Zeiten war, als die Türken noch
über den Balkan herrschten und bis zum Untergang der Insel Ada Kaleh lebten auf
ihr Muslime. Sie hatten hier ihre eigene Moschee, ein paar Kaffeehäuser, eine
als uneinnehmbar geltende Festung und einen türkischen Basar, außerdem musste
man keine Steuern zahlen und so florierte der Handel mit Tabak und Schmuck. Leider
kommen wir für diese kulturelle Sehenswürdigkeit eben knapp 40 Jahre zu spät.
Die Insel mit ihrer romantischen Geschichte ist versunken.
Als wir Orşova verlassen, gibt es eine gute und eine schlechte
Nachricht. Zum einen haben wir unseren 2. Megameter, also 2000 Kilometer
geschafft und haben Grund zum Feiern, zum anderen müssen wir von nun an aber
einer sehr stark befahrenen Transitstraße folgen. Es gibt für die nächsten 25
Kilometer keine Alternative. Am Anfang fahren wir noch auf einem 30 Zentimeter
breiten Fußweg, doch der endet alsbald und wir müssen uns zwischen die Autos
begeben. Immer wieder kommen unbeleuchtete Tunnel wo wir uns sehr unwohl fühlen! Eben noch einsame Dorfstraße - nun
pulsierende Hauptmagistrale. Immer wieder ist an Baustellenampeln Stau, wir
rollen an der qualmenden Kolonne vorbei und werden von vielen Autos so mehrfach
überholt. Ganz zum Ärger dieser, da die Straße nur recht schmal ist.
Etwa auf der Hälfte des unangenehmen Straßenabschnittes
liegt nun das gigantische Wasserkraftwerk SIP, ein gemeinsames Bauprojekt von
Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien. Photographieren ist hier streng
verboten und überall ist Schutzpersonal und Videoüberwachung. Weiter geht’s
nach Drobeta Turnu Severin, der größten Stadt der Gegend mit über 100.000
Einwohnern.
Wir fahren ein wenig durch die Stadt, auf der Suche nach
Filmen für unseren Fotoapparat. Drobeta Turnu Severin zeigt die facettenreiche
rumänische Baukunst, schöne geschwungene Kirchen, ein kunstvoller Wasserturm
und eine Prägung die noch aus der Römer- und Dakerzeit herrührt. Den
Namenszusatz Drobeta erhielt Turnu-Severin erst mit dem Bau des großen
Staudammes. Er soll an die römischen Ursprünge erinnern. Hier lag nämlich deren Stadt Drobeta. Von der
aus Kaiser Tranjan zur Logistikunterstützung seiner Feldzüge eine Brücke ins
heutige Serbien hinüber bauen ließ. Die Trajansbrücke war die erste dauerhafte
Brücke über die untere Donau. Sie war -sowohl hinsichtlich ihrer Gesamtlänge, als auch ihrer Bogenspannweiten - über eintausend Jahre die längste Brücke der Welt.
Leider wurde sie von einem späteren Nachfolger Trajans, der hier nicht genannt
werden will, aus Neid zerstört. Noch heute findet man auf dem Grund der Donau
aber ihre Fundamente. Die Pfeiler waren
auch aus Stein, die zwanzig Bögen aus Holz und an den beiden Enden der Brücke
sollen Triumphbögen gestanden haben. Früher!
Heute zeigt die Stadt aber auch
ihre andere nichts so schöne Seite: hässliche Plattenbauten säumen die zum Teil
völlig zerstörte Straßen, dazwischen leben scheinbar selbstständig Hühner und
Schweine.
Kurz vor dem Ortsausgang können wir nun die Europastraße 70
verlassen und etwas ruhiger weiter fahren. Auf einem schnurrgeraden Fahrweg,
der auch noch etwas erhöht auf einem Deich liegt, bläst uns dafür gnadenlos der
Wind entgegen. Wir sind ziemlich kaputt, schon am morgen wäre ich am liebsten
beim Frühstücken einfach sitzen geblieben, die unruhige letzte Nacht mit den
ganzen Hunden steckt uns noch in den Knochen und nun der Gegenwind – er saugt
uns die letzen Kräfte aus. Wir beschließen, heute mal über den Nachmittag hinweg eine
Siesta zumachen, uns Erholung zu bieten bis der Wind nachlässt. Wir legen uns
fernab der Straße unter einen Strauch direkt an die Donau. Der Fluss hat schon
eine Weile das Donaudurchbruchstal verlassen und fläzt sich hier in einer außerordentlichen
Breite in die Landschaft. Man meint an einem großen See zu liegen. Keine
Strömung ist wahrnehmbar. Das Wasser ist klar und der Boden sandig.
Wir dösen eine Weile vor uns hin, der Wind treibt die
Wolkenbilder über das endlose Land, Konrad liest etwas, das Wasser plätschert
ruhig und monoton vor sich hin, ich schlafe ein und träume sogar ein wenig.
Vielleicht hätten wir hier bis zum Abend gelegen und wären nur nochmal zum Zelt
aufbauen aktiv geworden, doch plötzlich endet der stille Frieden mit lautem und
schnell näherkommendem Gekläffe. Wir sind von einer Sekunde auf die andere hell
wach und ich suche verzweifelt nach dem Pfefferspray. Hätte der Zigeunervater* seinen Hund nicht
zurückgepfiffen, wäre uns wohl nichts anderes übrig geblieben und wir wären in
die Donau gesprungen und weggewatet. Aber der Hund hört auf seinen
Besitzer. Zum ersten Mal sehen wir einen
Zigeunertrekk*. Alles Hab und Gut ist auf einen Pferdewagen gepackt. Die Familie hat wohl auch gerade eine Pause
gemacht. Sie ziehen so schnell weiter,
dass man fast denkt, man hätte noch
geträumt. Wir hoffen, diese Volksgruppe
noch öfter in Rumänien zu sehen: Unser
Interesse an ihrem Nomadenleben ist groß.
Wieder hellwach , ziehen wir weiter. Die Straßen werden
immer schlechter und hinter dem Dorf Tismana für Autos unzumutbar. So fahren
wir allein durch die endlose Weite der Walachei. Kilometer weit sind alleine
die großen Bäume eine einzige Abwechslung zur natürlichen Steppenvegetation.
Riesige Vogelschwärme fliegen unter lauten Flügelschlägen auf, wenn wir unter
einem ihrer Bäume durchfahren. Einziges Highlight ist ein Brunnen der auf
einmal am Weg steht. Er funktioniert noch und sein Wasser ist so klar, dass man
es vermutlich auch trinken könnte. Wir duschen uns aber stattdessen den Staub
von den Körpern und erfrischen uns vor der Weiterfahrt. Das Wasser ist so
angenehm kühl in der sengenden Hitze, dass die Verlockung wieder riesengroß
ist, einfach hier zu bleiben.
Viel weiter fahren wir auch nicht mehr. Noch durch zwei
urige Dörfer, in den man denken könnte, dass man noch im 19. Jahrhundert lebt.
In einem müssen wir uns nochmal einer Hundebande stellen. Die Taktik haben wir
ein wenig modifiziert: Wir fahren nicht mehr, sondern schieben die Fahrräder
als Schutzschilde neben uns her. Einer nimmt das schwere Eisenkettenschloss als
Dreschflegel, der andere das noch immer jungfräuliche Pfefferspray. Aus voller
Fahrt sind beide Waffen quasi untauglich. Langsam schieben wir Legionäre uns an
der feindlichen Armee vorbei, auch sie zeigen uns ihre Waffen, die gefletschten
Zähne. Wir haben beide ziemlich Schiss, weil man es mit sieben Hunden zwar
aufnehmen könnte, aber wir dennoch nicht schadlos einen solchen Kampfplatz
verlassen würden. Bis zur nächsten Tetanus- und Tollwutimpfstelle wäre es sicher ein
weiter Weg. Wir sind hier in der Walachei. Zu mehr als diesem Säbelrasseln
kommt es aber nicht, die Hunde greifen
nicht an. Vielleicht erinnern wie sie nun - so langsam die Fahrräder schiebend
- mehr an normale, schwerbeladene Dorfbewohner als an Feinde des Haus und
Hofes.
Bis zu einem steilen Anstieg auf den wir beide keinen Bock
mehr haben, fahren wir noch weiter. Vermutlich müsste man da sogar
hochschieben, da die Räder auf dem losen Untergrund zu wenig Halt hätten. Wir biegen
einen kleinen Weg direkt zu einer Wiese an der Donau kurz hinter Crivina ab.
Nach dem Zeltaufbauen, dem Abendnudeln kochen, der
provisorischen Katzenwäsche in der Donau und dem in die Schlafsäcke kriechen,
passiert heute nur noch eine Begebenheit. Es ist schon stockfinster, als
Taschenlampenkegel unser Zelt von außen beleuchten. Wer wird das sein? Was will
der von uns? Das Pfefferspray wird wieder wild gesucht. Dann klopft dieser
Jemand sogar an das Zelt und spricht uns an. Erst auf rumänisch, dann auf englisch:
Es ist die Poliţia de frontieră română, die rumänische
Grenzpolizei. Leute wie Daniel, nur dass diese beiden sich sehr für unsere
Pässe interessieren. Wir werden auch in einem Büchlein vermerkt, mit all
unseren Daten die sich in dem Pass so befinden. Die Polizisten waren sehr
freundlich, erklärten, sie müssen das
zum Schutze der EU machen, auf der anderen Flussseite sei ja Serbien und damit EU-Ausland. Sie
entschuldigen sich für die Unannehmlichkeiten, Wünschen uns eine gute Nacht und
gehen wieder.
Es ist ein traumhaft schöner Abend, der Himmel war niemals
zuvor so reich an Sternen. Auf der anderen, weit entfernten Seite der Donau
liegt ein kleines Dorf, man sieht nur die Lichter. Hundebellen tönt ganz leise
herüber. Ich empfinde es in diesem Moment nicht als störend, eher im Gegenteil.
Am Waldesrand, nicht weit von uns, hören
wir ein paar Pferde- oder Eselskarren durch die Dunkelheit fahren. Es
sind wieder Zigeuner* die abseits der großen Straßen auf einem nur ihnen
bekannten Wegenetz durch die Lande reisen.
Fast könnte man sie für diese Freiheit beneiden.
*) Politisch korrekt ist nicht der Begriff Zigeuner, sondern Roma. Da wir aber keine rassistischen oder diskriminierenden
Vorurteile pflegen, eher das Gegenteil mit solchen Reisen leben, erlauben wir
uns das wohl bekanntere Wort Zigeuner
auch weiterhin zu verwenden.
#20
|
Mittwoch, 03.09.2008
|
Crivina - Maglavit - Rast
|
130,0 km
|
6:20 h
|
av. V = 20,5 km/h
|
↗ 283 hm
|
↘272 hm
|
av. P = 60 W
|
18°C - 34°C, sonnig
|
41 RON (Leu/Lew)
|
|
|
|
|
Heute überlasse
ich wieder einmal Konrads Tagebuch das Wort. Vorhang auf. voilà:
„3.9.2008 20.
Tag Von ? bis Rast
Es war wirklich eine gute Nacht. Geweckt werden wir von
Kuhglockengeläut. Wir stecken unsere Köpfe aus dem Zelt und sind umzingelt von
Kühen. Ein kleiner Junge treibt sie die Donau entlang und an unserem Zelt
vorbei. Sowas erlebt kein Pauschaltourist, dass ist das urige Rumänien, was man
nur mit dem Zelt erleben kann.
Vor dem Frühstück wartet noch der Berg, vordem wir gestern
gekniffen haben. Also die Kette ganz links, auf dem leichtestem Ritzel geht es
den Anstieg hoch und sind schon, bevor es überhaupt Frühstück gab, total
durchgeschwitzt. Wenigstens gibt es im nächsten Dorf, Burila Mare, einen Laden,
hier “Magazin“ genannt. Da der Bäcker noch keine Brote in diesen Dorf gebracht
hat, kaufen wir einen brotgroßen, eingeschweißten Kuchen. Mh, er schmeckt
trocken und irgendwie staubig. Und dann sehe ich es… Schimmel ! Wir haben einen
durch und durch verschimmeltes Kuchenbrot gegessen. Also geht es sofort wieder
rein in den Laden und Regressforderungen gegen die Ladenbesitzerin geltend
gemacht. Alles was Recht ist. Man
verweist mich auf das noch nicht abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum. Auch die
anderen Kuchenbrote im Laden sind alle verschimmelt. Man versteht meine
Forderung nach Rückerstattung des Kaufpreises nicht, resigniert dann am Ende
aber doch und zahlt uns aus.
Wir fahren noch immer ein wenig hungrig, aber dennoch
glücklich weiter. Das Wetter ist wie immer gut und die Landschaft wirkt wie
einer Zeitreise entsprungen. Genau deswegen machen wir diese Tour. Frühstück
finden wir etwas später im nächsten Dorf. Der Laden ist noch im Bau, aber man
freut sich so sehr, dass wir hier sind und Frühstück einkaufen, dass man uns
noch reichlich mit Obst beschenkt. Das gekaufte Dosenfleisch (Stefan denkt es
sind Innereien) essen wir aber nicht auf. Wir sind nicht die einzigen auf der
Baustelle, andere Dorfbewohner treffen sich hier zum Plausch.
Bei der Weiterfahr kommen uns immer wieder mit voll
beladene Pferdewagen mit Mais und anderem Getreide entgegen. Nach ein paar
Kilometern kommt ein als “Spießrutenlauf“ im bikeline-Reiseführer bezeichnete
Abschnitt. Er ist es auch. Plötzlich auftauchende Schlaglöcher, tief und
manchmal unausweichbar. Und das obwohl mir doch schon eine Speiche gebrochen
ist und fehlt. Am Ende bleibt aber alles ganz. Einen letzten Blick können wir
nun zwischen zwei Hügeln hindurch und über die Donau hinweg auf Serbien richten.
Von nun an liegt Bulgarien auf der
anderen Seite des ständigen Grenzflusses.
Wir optimieren heute die Route des bikeline-Reiseführers
und sparen uns 20 Kilometer und die Stadt Calafat. Wir fahren fast ganz allein
auf der Straße. Dabei überholen wir einen Mann, der in die gleiche Richtung
läuft wie wir, nur dass er für die 12 Kilometer bis zum nächsten Dorf ein klein
wenig länger brauchen wird. Wo will er überhaupt hin? Und was macht er dann da?
Fragen die man sich in Rumänien oft stellt. Die Leute haben hier scheinbar viel
mehr Zeit.
In Rast entscheiden wir uns wieder an die Donau zufahren (Man fährt fast immer kilometerweit entfernt
zur Donau, es gibt keine Straßen direkt in Ufernähe) und wieder wild zu
campen. Wir landen in einem Urwald. Ein kleiner Seitenarm der Donau trennt uns
vom wilden Dschungel. Der einzige Fleck wo das Zelt im Gewucher Platz findet,
liegt direkt an der Klippe. Steil geht es 5 Meter nach unten. So zelten wir
halb auf dem Weg, halb in der Donau. Einmal fährt ein Auto mit Jugendlichen an
uns vorbei. Wir vollführen kläglich unsere Abendwäsche, da man zum Fluss die
Klippe hinunter muss und dort dann knietief im Flussschlamm versinkt. Später
langweilen wir uns. Außer Wald ist nichts zusehen und außer Hunden nichts
zuhören. Verdammt sind die hier überall? Wir verkriechen uns ins Zelt, das
Pfefferspray immer bereit. Wieder passiert uns nix, man lässt uns in Ruhe.
Mein Handy erwacht
nach 2 Tagen der Totenstarre plötzlich wieder zum Leben und funktioniert wie
früher. Donauwasser scheint nicht so schlimm zu sein.
#21
|
Donnerstag, 04.09.2008
|
Rast - Bechet - Corabia - Turnu Măgurele
|
140,9 km
|
6:24 h
|
av.
V = 21,9 km/h
|
↗ 136 hm
|
↘147 hm
|
av. P = 80 W
|
13°C - 39°C, sonnig und heiß
|
46 RON (Leu/Lew)
|
|
|
|
|
Wir stehen recht zeitig auf, schieben die Fahrräder aus dem
Wald, kommen an einer Baustelle vorbei, werden daher von Hunden attackiert und
radeln los.
Im Örtchen Rast
kaufen wir uns Frühstück und setzen uns vor dem Laden auf eine Bank in die
Morgensonne. Schnell werden wir zum Gesprächsthema in und um den Laden herum.
Ein Mann, der auch ein wenig deutsch spricht, interessiert sich sehr für unsere Reise und
fragt uns Löcher in den Bauch. Das schmeichelt uns natürlich sehr, er hat auch
ein paar Tipps für uns auf Lager, als wir ihm unseren weiteren Routenverlauf
erklären. Wir wollten in Corabia die Fähre hinüber nach Bulgarien nehmen. Er
meint wir sollten unbedingt schon 50
Kilometer eher die Fähre in Bechet nutzen. Begründen tut er diesen Ratschlag
aber nicht. Daher bleiben wir bei unserem Plan und können so noch 50 Kilometer
länger in einem der schönsten Länder Europas bleiben.
Wir könnten heute auch auf Autopilot schalten, den ganzen
Tag werden wir auf ein und derselben Straße noch knapp 120 Kilometer fahren.
Doch Fahrräder am Beginn des 21. Jahrhunderts haben noch keinen Autopilotmodus.
Flugzeuge ja, Fahrräder aber nicht. Uns so fahren wir immer und immer gerade
aus, jedes Dorf sieht gleich aus: Die bunten Häuser, mit ihren kleinen Säulen
und Verzierungen am Dach, die entlang der Straße gebaut sind, die Kirche, jedes
Dorf hat ein Denkmal für den rumänischen
Unabhängigkeitskrieg, es hat einen Laden für allerlei Lebensmittel, oft kaufen
wir eine leckere Pampelmusen-Limonade, die aus Moldawien importiert wird und
genauso wie die Fanta PinkGrapfruit des CocaCola-Konzernes schmeckt, die dieser
jedoch zu meinem Bedauern seit nunmehr 10 Jahren nicht mehr im Sortiment hat.
Zwischen den Dörfern ist in endloser Entfernung nichts zu
sehen, wenn der Linienbus nach Bukarest mal vorbeigeknallt kommt, sieht man
seine Staubwolke auch 10 Minuten später noch weit vor sich. Panait Istrati
beschrieb, wenn auch vor einem politischem Hintergrund, in seinen “Disteln des
Baragan“ das Gefühl das diese Landschaft in einem jeden erzeugt ganz treffend.
Seine Figur Matache träumt lange davon, den im Wind davon rollenden
Distelballen durch die Steppe hinterherzurennen. Völlig ziellos und unendlich
weit weg. Mit seinem Freund tut er es auch eines Tages und wird fürs erste
dadurch glücklich. Die Geschichte nimmt aber kein gutes Ende.
50 Kilometer oder 10 Dörfer nach Rast endet die
Eintönigkeit – Eintönigkeit aber nicht negativ gemeint, eher wie das Meer, was
ja auch bis zum Horizont gleich aussieht und dennoch Glücklich macht - an einer
Brücke. An der einzigen Brücke, über den Donauzufluss Jiu im Umkreis von 20
Kilometern. Die Brücke wird gerade gebaut und hat im Moment nicht mal eine
Fahrbahn, nur ein dünnes Brett für die Arbeiter verbindet die Pfeiler. Ein
Sperrschild verbietet die Weiterfahrt. Tolle Wurst. Wir überlegen eine ganze
Weile hin und her und spielen gedanklich alle Optionen durch. Variante A: Einen
Umweg von 40 Kilometer fahren. Diese Variante wird mit zwei Gegenstimmen, bei
keinem Dafür-Votum und keiner Enthaltung rigoros abgelehnt. Variante B: Durch
den Fluss gehen. Ich testete es aus, das Wasser war nicht zu tief, man müsste
die Fahrräder und das Gepäck einzeln rüber tragen und wäre eben eine Weile
beschäftigt. Konrad legt hierfür aber sein Vetorecht ein. Variante C: Wie die Bauarbeiter
auch das schmale Brett nutzen. Konrad beschließt für uns beide Variante C.
Langsam nähern wir uns ganz unauffällig der Baustelle, schauen den Arbeitern
ein wenig zu wie sie barfuß mit dem Presslufthammer zwischen ihren Füßen Beton
abhauen. Wir zählen ihre Zehen und nähern uns unserem Ziel. Die Arbeiter sind
freundlich – scheinbar hat heute noch keiner daneben gehackt - und machen uns
sogar Platz, als sie uns sehen, um über das Brett auf die andere Seite des
Flusses zugelangen. Die Bauarbeiter sind aus Bulgarien. Bulgarische Arbeiter
bauen also in Rumänien. Rumänische Arbeiter bauen in Deutschland. Deutsche
Radfahrer radeln durch Rumänien und bald auch Bulgarien. Global World.
In Bechet machen wir eine Eispause, der Getränkelieferant
der den Laden gerade beliefert, hatte seine Ladung nicht gesichert und so ist
alle Getränkekisten im LKW umgekippt und völlig durcheinander. Niemanden juckt
es. Wir überlegen nochmal kurz hier nach Bulgarien überzusetzten, halten aber
an unserem Plan fest. So fahren wir weiter. Nochmal 50 Kilometer auf derselben
Straße bis Corabia. Alle 1000 Meter steht ein großer Kilometerstein, auf ihm
immer die Streckenangabe bis zum nächsten Dorf und bis zur nächsten größeren
Stadt. In den Dörfern lassen die Leute immer alles stehen und liegen, wenn sie
uns sehen, die Kinder rennen an die Straße und wollen uns abklatschen und
jubeln uns zu. Wir fühlen uns wie Tour de France Helden und genießen die
Begeisterung. In jeder Ortschaft heißt
man uns willkommen.
Corabia selber wirkt sehr verfallen. Der Name klingt, wie
vieles in Rumänien, nach Latein oder zumindest spanisch oder italienisch. Das
hat auch seinen Grund: Frühere Seeleute sind nicht nur im Mittelmeer und im
Schwarzen Meer umher gesegelt, sondern haben auch Handel entlang der Donau
geführt. Einige fanden es hier so schön, oder ihr Schiff ist wie im Fall
Corabia gesunken, so dass sie für immer da geblieben sind.
Wir fahren die Straße an die Donau und suchen die Fähre,
doch wir sehen keine, nicht mal eine Anlegestelle ist zuerkennen. Man sagt uns
schließlich in Corabia gab es nie eine Fähre. Der bikeline-Reiseführer hat mal
wieder gelogen und falsches Zeug in seine Karte gemalt, ich bin
fuchsteufelswild und stinksauer. Im Affekt rufe ich mit meinem, wieder
auferstandenem, Handy aus Rumänien beim bikeline-Verlag an, beschwere mich und
lasse Dampf ab. So eine Sauerei, so ein mangelhafte Arbeit und dafür verlangen
sie auch noch Geld. Die Frau am anderen Ende irgendwo in Österreich gesteht
meine Beschuldigung. Der Verlag hat nicht wie beschrieben, die ganzen Infos
selber vor Ort recherchiert, sondern einfach im Internet gegoogelt. Ich lege
nach zig scheinheilgen Ausreden entnervt auf und verbanne den Reiseführer in
die Tiefen meiner Packtasche. Für immer. Der Man heute früh hatte recht. Mist.
In Turnu Măgurele, 35 Kilometer weiter, soll es (laut Reiseführer)
noch eine Fähre geben. Gebe es Gott. Trotzdem ein 70 Kilometer-Umweg.
Ein
freundlicher Mann hellt unsere Stimmung wieder auf. Wir saßen die ganze Zeit
auf der Bank vor seinem Haus, nun lädt er uns in seinen Garten ein um
Weintrauben zu essen. Wir sollen uns soviele pflücken wie wir wollen, er packt
uns außerdem noch einen großen Beutel voll. Bei einem Eis etwas später,
beschließen wir heute noch 20 Kilometer weiter zufahren und dann an einem
Zufluss zur Donau zu zelten. Während wir unsere neue Landkarte inspizieren,
läuft eine große Gänseherde völlig selbstständig über die Straße. Kennen die
etwa den Weg nach Hause?
Die letzen
Kilometer ziehen sich ewig hin, trotz des leichten Rückenwindes. Am besagten
Fluss Olt sind die wildcamping Bedingungen dafür dann hervorragend. Nicht so
ein Schlammloch wie gestern. Nein feinster Sandstrand. Direkt im Sand noch
bauen wir unser Zelt auf und beginnenden eingeschliffenen Abendablauf. Zelt
einräumen, Wertsachen verstauen, Fahrräder anschließen, nicht stinkige
Klamotten anziehen, Nudeln und Soße kochen und sich sowie das Geschirr waschen.
Seit Smederevo konnten wir nicht mehr
duschen. Seit 5 Tagen haben unsere Körper keine Seife mehr gefühlt, nicht das
ich darauf stolz wäre, aber es ist wohl ein Rekord in meinem Leben, zumal wir
ja jeden Tag ohne Ende schwitzen und durch staubiges Gelände fahren. Im Fluss
Olt baden wir aber mal richtig. Er ist so klar, nicht mal Algen wachsen in ihm.
Nur Wasser auf Sand. Dafür hat er eine ordentliche Strömung so dass man immer
in Ufernähe bleiben muss. Dagegen anschwimmen könnte man wohl nicht und wer
will schon vom Olt in die vielleicht 1,5 Kilometer breite Donau gespült
werden?
Beim
Abendessen wird es surreal: Kühe kommen den Strand entlang gelaufen. Wir sitzen
vorm Zelt am Strand und inmitten einer Rinderherde. Solange es keine Hunde
sind, ist alles super. Nur dass sie ständig ihre Fladen verlieren ist doof. So
wird der Weg zum Abwaschen am Fluss zu einem Marsch durch ein Minenfeld.
Drei Wochen
sind wir nun schon unterwegs. Wir sind in einer anderen Welt gelandet.
#22
|
Freitag, 05.09.2008
|
Turnu Măgurele - Corabia - Bechet - Kneža (BUL)
|
133,1 km
|
6:36 h
|
av.
V = 20,1 km/h
|
↗ 428 hm
|
↘299 hm
|
av. P = 100 W
|
19°C - 37°C, sonnig und heiß
|
67 RON (Leu) &
13 BGN (Lew)
|
|
|
|
|
Der feine Sand von unserem Flusssandstrand hat sich überall
im Zelt und in dem Reisegepäck verteilt. Beim vorfrühstücklichen
Energieriegelverzehr knirscht der Sand sogar zwischen den Zähnen.
Bis Turnu Măgurele sind es nur noch wenige
Kilometer, die Straße ist sehr schlecht, wird aber gerade neu gebaut. Auf
beiden Fahrbahnseiten patrollieren Dampfwalzen und bringen so eine neue Schicht
Asphalt in Form. Ich denke in ein oder zwei Jahren könnte man auch theoretisch
vom Donaudurchbruch bis hierher mit dem Rennrad fahren. Dicke Bereifung ist
dann nicht mehr von Nöten, weil die Qualität der neuen Straßen, jener in
Deutschland in nichts nachsteht.
Die Stadt Turnu
Măgurele ist die erste größere Stadt seit Drobete Turnu-Severin und so
findet man hier auch gute Einkaufsmöglichkeiten. Das Bild dieeser Stadt
erinnert nicht mehr an die Weite der Walachei und die Zeitreise, welche man in
ihr zumachen scheint. In einem gepflegtem Park setzen wir uns auf eine Bank und
frühstücken wieder fürstlich. Wir haben alles gekauft, worauf wir Lust hatten.
Natürlich wieder die leckere Limo aus Moldawien, aber auch einen cremigen
Kuchen, Baguette, Marmelade und allerlei andere Leckereien. An diesem Morgen
laufen viele gut gekleidete Männer und Frauen an uns vorbei auf Arbeit. Von der
markanten Kirche hinter uns im Rücken ruft eine Art orthodoxer Muezzin mit
klangvoller Stimme melodische Worte. Ein Hauch von Orient, gemischt mit
Balkanstimmung, umweht uns. Dem Kirchturm ist eine Zwiebel-Kuppel aufgesetzt
und sein Baumeister hat ihm eine Dynamik verliehen, so dass der Turm in sich,
wie eine Spirale, verdreht ist.
Auf einem
Ostblock-Plattenweg fahren wir dann die zirka drei Kilometer bis zur Donau an
die Fähranlegestelle, vorbei an einer qualmenden Industrieanlage.
Alles ist gut,
bis auf diese eine Kleinigkeit: Es gibt hier keine Fähre. Es ist kein Schiff am
Wasser, was uns mit zum anderen Ufer nehmen könnte. Ein Schild verweist zwar
auf einen “Cross Border Check Point“ und ein “Ferry Boat to Nikopol
(Bulgaria)“, aber de facto ist beides hier nicht in der Realität zu finden. Erst
wollen wir es nicht glauben, fahren die Donau ein wenig in beide
Flussrichtungen auf und ab, doch schließlich begreifen wir, dass sowohl die
Informationen gestern aus Corabia, als auch der bikeline-Reiseführer mal wieder
falsch waren. Einen weiteren Anruf nach Österreich spar ich mir heute. Es hat
ja doch keinen Sinn. Wir sind am Boden zerstört und setzten uns an einen
Getränkestand, der hier für die Pause der Arbeiter der Industrieanlage
aufgestellt worden ist. Keiner kann uns
Infos über die Fähre, welche ja genau hier ab- und anlegen soll, geben. Wir
trinken etwas, sitzen rum, gucken unsere Karten an, sehen nochmal nachdem
Schild, was von einem Grenzpunkt und einer Fähre berichtet und vergleichen es
mit der Realität. Keine Fähre, nicht hier und nicht in Corabia, nur in Bechet
ist sicher eine.
Wenig später
gesellt sich ein weiterer Mann zu uns und erfährt von den Problemen die wir mit
unserem Routenverlauf haben. Er kann sehr gut englisch und klärt uns auf: Die
Fähre befindet sich gerade im Bau, aber sie wird schon bald wieder losfahren.
Wie bald? Heute Nachmittag? Vielleicht, sagt er, vielleicht aber auch erst
nächste Woche oder in einem Monat. Keiner weiß etwas. Er erklärt uns die
Alternativen, die wir haben. Eine weitere Fähre aus dem bikeline-Reiseführer,
etwa 40 Kilometer weiter existiert, seiner Meinung nach, nicht. Das wundert uns
nicht weiter, das Fährsymbol sitzt beim bikeline-Verlag bekannter Weise etwas
locker. Noch einmal 55 Kilometer weiter, als knapp 100 Kilometer von hier ist
eine Brücke in Giurgiu hinüber nach Ruse in Bulgarien. Ob Fahrräder sie
benutzen dürfen weiß er allerdings nicht. Wir könnten auch zurückfahren und in
Corabia die Fähre nutzen… Stopp, wie klären ihn auf, dass es in Corabia keine
Fähre gibt. Langes Schweigen und ins-Nichts-starren folgt. Die einzige
Möglichkeit die wir haben und die wirklich sicher funktioniert, ist die Fähre
von Bechet. Und in Bechet waren wir ungefähr gestern um dieselbe Zeit gewesen.
Was für ein Griff ins Klo.
Naja es hilft
ja alles nichts. Wir bedanken uns bei dem Mann für die Mithilfe bei der
Erörterung unserer Situation und brechen wieder auf. Er fragt uns noch, ob wir uns nicht wundern,
wie gut er Englisch spricht. Er habe alles durch Hollywoodfilme gelernt, weil
er sie nur in Originalsprache hört. Und darauf ist er stolz. Zu Recht. Englisch
kann in Rumänien nämlich fast niemand.
Ochnee …
Zurück… Den ganzen Weg noch einmal zurück und auch noch mit Gegenwind. Konrad
merkt von meinem moralischen Durchhänger und übernimmt das Heft des Handelns.
Wie ein Stier stellt er sich dem Wind und der Herausforderung und führt uns die
85 Kilometer zurück nach Bechet. Neues sehen wir freilich nicht. In Corabia
steht der Weintraubenmann am Zaun und schaut uns entsetzt an, wir müssen
loslachen. Was der wohl denkt, ob wir jetzt immer kreuz und quer durch die
Walachei fahren. Hoffentlich dachte er nicht, dass wir ihn auslachen. Wir
fahren durch all die Dörfer, die wir schon kennen, die Kinder jubeln uns wieder
zu, doch ich empfinde es als Hohn.
Immer wieder
machen wir Pausen, einmal auch exakt an derselben Stelle, an dem selben
versiegten Brunnen, wie Tags zu vor. Die Sonne knallt erbarmungslos auf uns
herab, nur hin und wieder bieten Bäume Schatten. Riesige Vogelschwärme fliegen,
wie wir, gen Süden. Kein Fluss kann sie aufhalten.
Immer wieder
überholen wir Pferdefuhrwerke, die den Verkehr auf der Straße dominieren. Autos
sind eine Seltenheit. Als Radfahrer ist man ein kleines Stück schneller und so
kann man beim Vorbeifahren ein Blick auf ihre Ladung werfen. Manchmal ist es
die Ernte, die ins Dorf gefahren wird. Manchmal sind es ganze Familien. Hin und
wieder sind auch Zigeuner dabei, die ihrem Nomadenleben nachgehen. Immer
springt auch ein Hund irgendwo herum. Alles ist aber ganz friedlich. Bei einer
Pause, fragt uns ein Mann mit Eselfuhrwerk, wo wir herkommen. Aus Amerika?
Nein, aus Deutschland. Er liebt Deutschland sagt er. Wie lieben sein Land rufen
wir zurück. Er ist begeistert und meint, dass er sein Land auch überalles liebe.
Er ist so glücklich. Er ist so zufrieden. Er sitzt auf seinem Eselkarren und
strahlt über das ganze Gesicht, als er in die ewige Weite seiner Heimat schaut.
Nach fünf
Stunden etwa erreichen wir Bechet. Man erinnere sich an den Mann der uns
gestern Morgen diesen Grenzübergang dringend empfohlen hatte. 170 Kilometer
Umweg später sehen wir die Sache ziemlich genauso wie er. Schwamm drüber, wir
sind an einer Fähre nach Bulgarien.
Wir versuchen
noch so viel rumänisches Geld wie möglich auszugeben und essen noch das eine
oder andere Eis und trinken noch die ein oder andere Cola. Aber es muss auch
noch genügend Geld für die Fähre bleiben. An der Grenzstation nimmt man uns für
ein MaxiBon-Eis, welches in der Mensa der Technischen Universität Dresden 1,20
€ kostet, umgerechnet 5€ ab. Hier wurden wir zum ersten Mal, nach dem Hotel von
Vukovar, wieder übers Ohr gehauen und zahlen einen anderen Preis als die
Einheimischen. Doch das Eis ist schon geöffnet, als uns der Betrug klar wird.
Die Fähre
selbst war dann spottbillig - wir hatten noch viel zu viel rumänisches Geld
übrig - bot aber auch keinerlei Komfort. Wir mussten noch eine Stunde am Ufer
warten und konnten dann unsere Fahrräder zwischen den vielen Transit-LKWs
abstellen. Der Stahlkahn fährt eine kleine Ewigkeit über die Donau, wir sind bestimmt
eine halbe Stunde unterwegs. Der Fluss ist so enorm breit und die Strömung
zieht das Boot ganz schnell weg, dagegen anzukämpfen braucht dann eben seine Zeit.
Am anderen Ufer können wir schon eine etwa 200 Meter hohe Bergwelle sehen, die
wir nach unserer Ankunft hoch müssen. Das dauert allerdings nochmal eine Weile,
da wir erst noch nach Bulgarien einreisen und an der Grenzstation vorbei müssen. Photographieren ist wieder streng verboten,
aus einem Grenzfoto wird nichts. All die Truckerfahrer drängen auf den einen
Grenzbeamten ein, er möge sie doch einreisen lassen. Da wir keine nennenswerte
Ladung haben, geht es bei uns dann – als wir endlich dran waren – ganz schnell.
In einer
Wechselstube versuche ich unsere überflüssigen Lei in bulgarisches Geld zu
tauschen. Ohne Erfolg. Nirgends möchte man mein rumänisches Geld. Dabei sind
die Scheine doch so schön, haben sie doch sogar eine transparente Stelle wo man
durch sehen kann. Außerhalb von Rumänien hat diesen Geld aber kaum einen Wert.
Wir suchen und
finden in Orjahovo, dem Ort unserer bulgarischen Ankunft, einen Geldautomaten.
Auch hier hat man mit der ec-Karte keine Probleme an sein Vermögen
heranzukommen. Anschließend kaufen wir noch ein wenig Lebensmittel ein und
machen uns dann auf die Suche nach einem Zeltplatz.
Der Anstieg
den Berg hinauf ist steil, bergiges Fahren sind wir gar nicht mehr gewohnt. Ein
letztes Mal können wir die Donau sehen und uns von ihr verabschieden, bevor es
weiter ins Landesinnere von Bulgarien geht. Zwei Wochen haben wir sie, oder sie
uns, begleitet.
Von nun an
geht es leicht wellig durch eine von Landwirtschaft geprägte Region. Bis zum
Etappenziel Kneža, wo es einen Zeltplatz geben soll, sind es noch etwa 30
Kilometer. Wir müssen uns sputen, den an und auf der Fähre haben wir viel Zeit
liegen lassen. Die Sonne geht schon langsam unter. Teilweise liefern wir uns
ein Rennen mit einem Traktor, auf ebener Strecke und bei Abfahrten sind wir im
Vorteil, bergauf holt er dann aber wieder knatternd das verlorene auf. Am Ende
gewinnt er.
Am Ortseingang
von Kneža brennt wieder Müll am Straßenrand, Anblicke die wir in Rumänien fast
vergessen hatten. Hunde streunen durch die Abfälle und suchen essbares. Uns
nehmen sie gar nicht war. Wir fragen ein
paar ältere Damen, wo es denn zum Zeltplatz geht und erfahren, dass es keinen
gibt. Um uns dennoch irgendwie waschen zu können und Nudeln zu kochen, bitten
wir die Frauen unseren 5-Liter-Wassersack aufzufüllen. Der Wunsch wird uns
gerne erfüllt. Einen Platz fürs Zelt bietet man uns aber leider nicht an. Wir
gurken noch ein wenig durch die Stadt, die von einem Abwasserkanal durchzogen
wird und fahren dann langsam aus dem Ort hinaus, in jene Richtung in die wir
morgen weiter ziehen wollen. Kneža ist schon fast zu Ende, als wir unser
Nachtlager hinter einem, sich im Rohbau befindlichem, Haus am Rande des Waldes
aufschlagen. Wir fühlen uns mehr wie Obdachlose, den wie Abenteurer oder gar
Urlauber. Zwischen ein paar Kiefern, auf den staubtrockenen Boden, errichten
wir das Zelt.
Abendessen ist
schnell gemacht. Eine Dusche gibt es auch am sechsten Abend in Folge nicht.
Nicht mal einen See, Fluss oder Bach. Morgen, komme was da wolle, werden wir am
Abend duschen. So ist es einfach kein angenehmes Leben mehr. Verschwitzt und
verdreckt müssen wir ins Zelt kriechen. Den Schlafsack versuche ich so wenig
wie möglich zu kontaminieren, in dem ich mich einfach nur darauflege. Es ist
noch immer unglaublich heiß an diesem Abend. Ich transpiriere sogar im liegen
noch weiter. Mein T-Shirt, was ich tagsüber immer trage, ist schon so steif und
speckig, dass ich es schon hinstellen kann und es nicht in sich zusammen fällt.
Dagegen habe für die Nacht ein fast schon blütenreines Schlaf-T-Shirt. Konrad
hat eigentlich ein Rotationssystem, was seine Kleidung angeht, aber auch ihm
gehen nun die Möglichkeiten zum Wechseln aus. Das TU Dresden–Symbol lacht mich
von seiner Brust nun auch schon seit einer Woche an.
Wir können
beide ewig nicht einschlafen. Ein paar Häuser weiter scheint in einer Baracke
eine Disko zu sein. An den Nerven nagender HipHop und R&B-Sound schallt
herüber und quält uns, dazu das Gegröle, das Bass-Gewummere und das obligatorisches
präsentieren der getunten Karren, natürlich mit Vorführung der phänomenalen
Beschleunigungsleistungen, quietschender Reifen und der Musikanlage. Naja es
ist Freitagnacht, wer will es ihnen verübeln?
Wiiiiiiiiir!!!
#23
|
Sonnabend, 06.09.2008
|
Kneža - Pleven - Lovech - Troyan
|
122,0 km
|
5:35 h
|
av.
V = 21,8 km/h
|
↗ 932 hm
|
↘680 hm
|
av. P = 100 W
|
19°C - 40°C, sonnig und extrem heiß
|
133 BGN (Lew)
|
|
|
|
|
Wir stehen
recht zeitig auf - die Disko hat erst vor ein paar Stunden die letzten Gäste
vor die Tür gesetzt und ist verstummt - weil in Bulgarien wildcampen
grundsätzlich verboten ist. In Rumänien hat sich da kein Gesetzeshüter dran
gestört, wohl auch um den Zigeunern ihr natürliches Leben zulassen und ihnen
ihre Freiheit zu ermöglichen. Wie die Polizei nun hier in Bulgarien drauf ist,
wissen wir noch nicht, aber unsere erste Begegnung muss ja nicht gleich ein
Gesetzesbruch sein. Außerdem ist uns unwohl zu Mute, da ja eventuell das Haus,
neben welchem wir die Nacht verbrachten, heute weiter gebaut werden könnte und
nun bald die ersten Dachdecker anmarschieren. Auf geht’s!
Unser
Frühstück kaufen wir nur unweit unseres “Zeltplatzes“ in einem kleinen Laden
und nehmen es auf einer Treppe hinterm Haus ein. Ein merkwürdiges Getränk wurde
uns gereicht, als wir Kakao verlangten. Die Plasteflasche war nicht
durchsichtig und so konnte man nicht hineinschauen. Von der Konsistent her war
es leicht sämig, wie ein dünner Pudding und die Farbe erinnerte an nassen Sand.
Die Ladenbesitzerin brachte uns dafür extra noch zwei Becher zum
Frühstücksplatz. Konrad war so mutig, füllte seinen bis zum Rand und kostete die
breiige Flüssigkeit vorsichtig, spuckte sie aber im selben Moment wieder aus. Sie
soll nach Erde geschmeckt haben und keinesfalls wie Kakao. Wenn man früher als Kind an der Ostsee war und
am endlosen Strand im feinen Sand spielte,
baute man dann oft aus einem Wassersandgemisch prächtige Kleckerburgen.
Und was man da dann durch seine Hände fließen ließ, sah genau so wie unser
Getränk heute Morgen aus. Seltsam. Und
auf dem Etikett der Flasche sieht man auch die Disneyfiguren Tick, Trick und
Track wie sie in Badeklamotten eine Sandburg bauen. Ein Krebs öffnet ihnen dabei
eine dieser besagten Flaschen. Aber man kann doch Sand nicht essen oder trinken
oder gar in Flaschen abgefüllt verkaufen. Das kann doch nicht wirklich eine
bulgarische Spezialität sein. Andererseits, warum sonst sollte man dann
gekühlten Sand in einem Lebensmittelgeschäft kaufen können, wenn er nicht doch
irgendwie zu Ernährung beitragen würde? Es bleibt ein Rätsel, dessen Lösung wir
hier nicht finden können. Wenn jemand mehr zum beschriebenen Gemisch weiß und
sagen kann, was der Schriftzug auf dem Etikett “ Б О З
А“ bedeutet, wäre ich für den Hinweis sehr dankbar. Bis dahin bleibt es
für mich, wie im Kindergarten, Dreckmeierpampe.
Konrad muss
nun vorsichtiger weiterfahren, wir stellen nämlich am heutigen morgen fest,
dass eine zweite Speiche, unmittelbar neben der anderen kaputten, gebrochen
ist. Ersatzspeichen haben wir keine mit
und Fahrradläden haben wir auch lange nicht mehr gesehen. Hoffentlich hält sich
die Acht in Grenzen und die Felge bricht nicht irgendwann plötzlich in einem
Schlagloch auseinander.
Wir fahren auf
recht großen Straßen bis Pleven. Konrad hat ein wenig Angst vor der Polizei,
weil Kraftstraßen eigentlich ja nicht für Radtouren gedacht sind, aber solange
auch weiterhin Pferdeäpfel den Seitenstreifen säumen, kann es kein Verbrechen sein,
welches geahndet wird. Außerdem bleibt uns nicht soviel anderes übrig: Seit dem
wir die Donau verlassen haben, haben wir nun noch eine Bulgarien-Autokarte mit
dem Maßstab 1:700.000 zur Verfügung. Ein Zentimeter auf der Karte sind also
sieben Kilometer in unserer Realität. Kleine Nebenstraßen finden sich hier
natürlich nicht mehr wieder.
Ein anderes
Problem ist, dass unsere Karte in lateinischer Schrift ist: Also findet sich da
die Stadt “Pleven“, auf Verkehrsschildern steht dafür dann aber auf kyrillisch “Плевен“.
Für uns könnte ebenso gut “北京市“ oder ".از دل برود هر آنکه از دیده برفت"
auf den Schildern stehen. Sie sagen uns nichts, sie verschweigen uns ihre
wertvolle Botschaft und machen uns zu Analphabeten mit Abitur. Ich durfte
damals kein russisch in der Schule lerne, weil meine Eltern es zehn Jahre
umsonst gepaukt hatten und der Meinung waren, sie hätten es nie gebraucht. Nun, hier und jetzt hätte ich es anwenden
können und uns durch die Bulgarischen Lande gelotst. Ein Latinum hilft
jedenfalls im Moment nicht viel weiter. Beide stehen wir mit großen Augen vor
den Schildern. Wir versuchen uns schließlich die Bilder der Schrift zu merken
oder sie eins zu eins in lateinische Schrift zu transferieren: Aus Ловеч,
was eigentlich Lovech heißt, wird so kurzer Hand “Nobe4“ und unser Etappenziel
heißt nun “T-porh“ (Троян) und nicht mehr Troyan.
In Pleven
erleben wir eine kleine Militärparade mit. Wir haben Glück den auf den Tag
genau vor 123 Jahren vereinigte sich Bulgarien mit Ostrumelien, quasi dem Teil
der heute südlich des Balkangebirges liegt, wieder. Örtliche Politikgrößen
feiern Ihre Vorgänger und halten Reden. Soldaten formieren sich um ein Denkmal,
hissen die bulgarische Fahne und die Hymne wird gespielt. Anschließend
marschieren sie im Gleichschritt mir ihren Kalaschnikow-Sturmgewehren von dem
Platz des Geschehens weg, direkt an Konrad vorbei, der sich wie ein
Honigkuchenpferd darüber freut. Als die Soldaten um die Ecke gelaufen sind und
für die Öffentlichkeit auf dem Platz der Feierlichkeiten nicht mehr zu sehen sind,
verlieren sie die militärische Spannung, setzten ihre Barett-Mützen ab, trinken
Bier und sind ausgelassen fröhlich. Eine schöne Abwechslung war das, den ansonsten
ist heute mehr so ein typischer Träum-Tag, soll heißen wir beide sind in
unseren Gedanken ganz weit weg, tief in der Tagtraumwelt versunken und reden
nicht viel. So eine kleine Show ist da ganz angenehm.
Wir haben
Pleven fast schon verlassen, als wir plötzlich wieder uns vertraute Schrift
lesen: “KAUFLAND“ steht in großen Lettern auf einem Wegweiser. Und nicht nur,
dass wir lesen können was da steht, wir gehören sogar zu der Minderheit in Bulgarien
die versteht, was es bedeutet: Ein Land in dem man alles kaufen kann, was das
Herz begehrt. Für uns an einem heißen Tag wie heute vor allem wichtig sind
Getränke. Gut, dass der Tag der Wiedervereinigung nicht wie in Deutschland ein
Feiertag ist, an dem die Geschäfte geschlossen haben. Das Kaufland hat
geöffnet. Drinnen ist wieder alles auf Kyrillisch, selbst Eingang- und
Ausgangstür sind mit diesen verrückten Schriftzeichen markiert. Ich versuche
nach dem Fehlgriff heute Morgen ein weiteres Mal Kakao zu kaufen, Konrad berät
mich gewissenhaft, doch wieder ist es nur dieser ominöse Kleckerburgen-Flüssigsand.
Ärgerlich. Bei Nudeln und Cola kann man hingegen nichts falsch machen und so
schlagen wir da ordentlich zu.
Nachdem
Einkauf, der eine angenehme Pause in der Hitze der Mittagssonne darstellte,
wollen wir noch nicht zurück auf die Straße und lieber im Schatten sitzen
bleiben. Wir genehmigen uns ein wenig Luxus und essen an einem Imbissstand in
Front des Supermarktes zu Mittag. Und zwar nix geringeres als Original
Thüringer Rostbratwurst. Auch hier stehen wir erst hilflos vor der Auswahltafel,
wissen nicht was wir wählen sollen. Die Situation gleicht einer Lotterie mit
ungewissem Ausgang. Vielleicht zieht man einen Gewinn, vielleicht eine Niete. Vielleicht
auch ein Glas leckeren Kakao? Wir zögern, zu viel hängt an dieser Entscheidung.
Die Verkäuferin liest uns alle Gerichte vor, die sie im Angebot hat. Wir
verstehen nur Bahnhof. Warum sollte ich eine Sprache verstehen, sie aber nicht
lesen können? Sie redet weiter und weiter. Bulgarisch könnte ich nie lernen,
überleg ich mir, während sie so zu uns spricht, dann schon eher rumänisch, dass
erscheint mir wie spanisch zu sein, was ich zwar auch nicht kann, aber es ist sicher
nur ein kleines Latein-Upgrade. Sie redet immer noch. Plötzlich. Ein einziges
Wort haben wir gleichzeitig aus der fremden Sprache verstanden, Konrads Augen
strahlen: Thühüriinggerrrrrr. Meint sie “Thüringer“? “Da, Thühüriinggerrrrrr“.
Ok, das will ich, das nehmen wir! Eine Thüringer ist laut EU-Verordnung eine
geschützte geographische Herkunftsangabe und da auch Bulgarien in unserer
europäischen Union beheimatet ist, haben wir in der Lotterie des Imbissstandes
nun den Hauptgewinn gezogen. Wer hätte das gedacht? In Pleven kennt man das Kaufland
und die Thüringer Rostbratwurst. Das ist doch was.
Weiter geht’s,
die bulgarische Donaueben wird gen Süden immer bergiger. Nachdem wir Pleven
verlassen haben, fahren wir eine vielspurige Straße einen ewiglanggezogen Berg
hinauf. Es ist glühend heiß. Es ist der heißeste Tag und die heißeste Stunde
unserer Tour. Alles um uns herum ist vertrocknet und verdorrt. Zwei Kilometer
nur nach der Mittagspause, müssen wir wieder Trinken. Die Luft flimmert und die
Kehlen sind ausgetrocknet. Konrad gibt mir, nach einem kräftigen Schluck, seine
Trinkflasche um sich mit Sonnencreme einzuschmieren. Ich soll sie nur halten,
lasse sie aber fallen, sie rollt davon und fließt aus. Kostbare Cola versickert im Staub. Bis
“Nobe4“ (Lovech) sind es noch 30 Kilometer. Sicher verdurstet man nicht auf
dieser Strecke, aber wir haben dennoch tüchtigen Brand.
Ewig
langgezogene Berge fahren wir still hinauf. Die Piste ist ab 35°C für LKWs
gesperrt. Wir Glückspilze müssen die Straße daher nicht mit den stinkenden
Brummis teilen. Das Thermometer zeigt 40°C im Schatten an. Direkt über dem
dunklen Asphalt der schlechten Straße, in der knallenden und gnadenlosen
Mittagsonne, bekommen wir beide jetzt einen Hitzeschaden und Kopfschmerzen.
Kilometerlang geht es nur leicht bergan. Die Luft steht, nirgends ist ein Ort,
eine Tankstelle oder Oase zusehen. Nur trockenes Gestrüpp und Straße. Der
Höhenmeter muss spinnen, wir sind schon fast auf der Höhe von Trojan unserem
Etappenziel. Es geht noch höher weiter. Der Schweiß läuft in die Augen und
brennt. Immer öfter müssen für ein paar Sekunden Pause machen, weil es schwarz
vor Augen wird. Die Lippen sind staubtrocken. Wir hätten bei der schweren
Bratwurst viel mehr trinken und unseren Körper hydrieren müssen. Nun ist es zu
Spät. Irgendwann endet der Anstieg und die Mühen von einer Stunde verpuffen in
einer fünf Kilometer langen Abfahrt. Ihr
folgt wieder so ein zäher Berg. Dann wieder und wieder. Unter einer Brücke, im
Schatten legen wir die Fahrräder zur Seite und setzen uns am Straßenrand hin.
Wie geil so eine Brücke und ihr breiter Schatten sein kann. Hinter der
Leitplanke sehen wir heruntergekommene Wohnsilos. Ewig lang und verfallen, aber
dennoch bewohnt. Deren Wäsche hängt, als bunte Farbkleckse, an Schnüren von
Fenster zu Fenster. Wir verlassen die
Schnellstraße an der nächsten Ausfahrt um zu einer Tankstelle oder etwas
ähnlichem zukommen, wo wir Wasser kaufen können. Irgendwo müssen auch die
Bewohner des grauen Klotzes ihre Getränke kaufen. Es geht nun steil hinab, das
müssen wir alles dann wieder hoch. Eine Alternative haben wir aber nicht
wirklich, wenn wir nicht endgültig
dehydrieren wollen.
Der Ort ist
Nobe4 (Lovech), wir wären daran fast vorbeigefahren, hätten wir nicht unter der
Brücke halt gemacht und die Situation kritisch analysiert. Dann wären es noch
einmal weitere 30 Kilometer gewesen.
Keine Ahnung, ob wir das geschafft hätten. In Love4 finden wir nach kurzer Abfahrt
einen klimatisierten Supermarkt. Aus 40°C, in der Sonne vielleicht 50°C werden
angenehme 20°C. Wir kaufen Getränke in verhältnismäßig rauen Mengen - Zwei
Liter trinkt jeder sofort - und sitzen noch eine Weile in einer Sitzecke im
Supermarkt, direkt an der eiskalten Klimaanlage. Keiner will zurück in den
Glutofen. Ob wir einen Knall bekommen, wenn unsere abgekühlten Körper zurück in
die Hitze müssen? Die Frage Vertagen wir immer wieder um weitere zehn Minuten.
Wir bleiben ewig sitzen. Doch wissend, dass es nur in Trojan einen Zeltplatz
oder eine Unterkunft gibt. Und so ziehen wir, der Vernunft folgend, irgendwann
dann doch schleppend weiter.
Doch das
schlimmste hatten wir zu diesem Zeitpunkt unwissend schon geschafft. Frisch
aufgetankt, ging es in moderater 2%-Steigung die 30 Kilometer bis zum
Etappenziel. Die Landschaft wurde spannender, hohe Berge taten sich vor uns auf
und wir fuhren in eins ihrer Täler hinein. Ein Gebirgsbach begleitet uns
fröhlich und motivierend. Die Straße wird kurviger, kaum einmal stört uns ein
Auto. Hin und wieder wirft ein hoher Gipfel für ein paar Kilometer Schatten auf
uns. Ich fühle mich wie neugeboren und gehe in die Führungsarbeit. Wir haben
wieder richtigen Zug auf der Kette und lassen kaum einen Tritt aus. Konrad
moderiert das Geschehen über zig Kilometer hinweg in erstklassiger Tour de
France Manier. Wie Profis schießen wir die Straße entlang. Trojan erklimmt sich
viel leichter als erwartet.
Wir fahren
einmal den ganzen Ort entlang ohne einen Zeltplatz zu finden, ein Taxifahrer
meint danach es gibt überhaupt keinen Zeltplatz hier. Gut dann eben Plan B: eine
Unterkunft, die wird es hier doch geben. Oberste Prämisse ist es heute Abend
eine Dusche zu haben. Sieben Tage, eine ganze Woche also, ohne richtiges
Waschen ist nichts für verwöhnte Mitteleuropäer. Ja, einen Weg zu einem Hotel
weißt uns der Taxifahrer gerne, wir suchen noch eine Weile, doch dann stehen
wir vor dem “Trojan Plaza“. Ist das vielleicht dann doch ein, zwei oder gar
drei Nummer zu hoch für uns? Vier Sterne verzieren die Schrift des Hotelnamens. Wir lassen die Drahtesel erst einmal vor der
Tür um niemanden einen Herzinfarkt zu bescheren. Hinter dieser gehen wir über
Marmorboden zur Rezeption. Feine Ledersessel stehen in der Lobby. Wir stehen
da, doch niemand nimmt uns ernst. Auf einem kleinen Aushang entdecken wir die
hiesige Preisliste des Hotels. 85 Lei kostet also eine Nacht im Doppelzimmer,
40 € sind das. So teuer wie gedacht ist es eigentlich gar nicht. Und in
Anbetracht der Tatsache, dass wir für die letzte Woche überhaupt kein Geld bei
Übernachtungen gelassen haben, meinen wir uns diesen Luxus verdient zu haben. Wir
bestätigen uns gegenseitig darin immer wieder, bis wir es beide mit voller Überzeugung
über die Lippen bekommen. In Vukovar hatten wir damals übrigens 60€ gezahlt.
Die Rezeptionsdame begrüßt uns mit professioneller Freundlichkeit. Wir sind
Deutsche, internationale Gäste? Schnell wird jemand organisiert der Englisch
kann. Die VISA-Kreditkarte öffnet uns alle Türen und wir checken ein. Die
verdreckten Fahrräder dürfen wir gerne im Hochglanzfoyer abstellen und
anschließen. Gar kein Problem.
Der Page will
uns nicht so Recht helfen und verachtet uns mit Arroganz. Wir finden auch so
unser edlen Zimmer und duschen erst einmal ewig. Deutsches Fernsehen auf einem
großen Plasmabildschirm versüßt dabei das warten bis der andere fertig ist mit
seiner Körperpflege. Wir ruhen uns lange aus.
Gegen Abend
gehen wir noch durch Trojan spazieren, wir suchen und finden ein Internetcafé
um E-Mails zu checken und unsere von Serbien aus georderten Zugticket zur
Vollendigung unserer Heimreise auszudrucken. Auf dem Rückweg entdecken wir auf
einer Litfasssäule, die eigentlich für Todesanzeigen gedacht ist, ein Poster,
welches auf die “International Cycling Tour of Bulgaria“ hinweist. Wann? Wo? Ab
7. September, also morgen. Und Start ist in Trojan, also hier. Da bin ich ja
mal gespannt, ob wir irgendetwas davon sehen. Konrad geht zurück ins Hotel, ich
gehe allein noch ein wenig weiter spazieren und erkunde das Städtchen.
Als ich zum
Hotel zurückkommen traue ich meinen Augen kaum. Ein Multivan mit Dresdner
Kennzeichen steht vor der Eingangstür uns lädt aus. Rennräder um genau zu
sein. Welch Zufall: Das Radteam Dresdner
Sportclub – Collos ist also auch in unserem Hotel abgestiegen. Ich schaue mir
die Sache nähe an und gehe zu dem Auto. Der Typ, der gerade die hochwertigen
Rennräder ausräumt und aufbaut, schaut mich an, sieht wohl mein TU Dresden
T-Shirt und fragt mich welches mein Bike sei und wie er es einstellen soll… Er
hält mich für einen Radprofi? Er fragt mich welches Rennrad mir gehört? Was für
ein Kompliment. Ja meine Waden könnten aus Stahl sein. Es wäre nun ein leichtes
gewesen, mit einer Dura-Ace-Carbon-High-End-Maschine davon zu radeln. Allein
wie erklär ich Konrad meinen Wechsel auf das hochpreisige Material und die
Tatsache, dass er nun all unser Gepäck allein den Trojan-Pass, welcher morgen
auf uns wartet, hinauf schleppen muss? Ich kläre den Mechaniker schnell auf und
er daraufhin ist ein wenig sauer, weil ihm dieser Fauxpas passiert ist. Ich bin
stolz und renne sofort hoch in unsere Suite und berichte Konrad von diesem tollen
Ereignis. Auch er begutachtet jetzt das Treiben auf dem Hotelhof mit großem
Interesse. Weitere Rennradteams checken ein.
Während wir
fernsehen, studiere ich unser Karten und kalkuliere die weitere Tour durch.
Dabei fällt mir auf, dass wir trotz des einen verlorenen Tages (Danke nochmal
an den Bikeline-Verlag) sehr gut in der Zeit liegen. Noch zehn Tage haben wir
Zeit bis das gebuchtes Flugzeug uns von Istanbul nach Düsseldorf und nach
Deutschland zurückbringt. Bis Istanbul sind es noch höchstens 800 Kilometer.
Wir werden also in sechs oder sieben Tagen die Bosporus-Metropole erreichen.
Die bisherigen 2600 Kilometer haben wir in 22 Tagen, sagen wir in 20 Tagen und
zwei Halbtages-Etappen bewältigt. Wir sind gewissermaßen schon auf der
Zielgeraden. Ich rechne noch dreimal nach und schlage Konrad dann einen Ruhetag
hier in Trojan vor, den ersten freien Tag unserer Tour. Zeitlich können wir es
uns locker leisten und man bedenke die weichen Betten und die angenehme Dusche!
Konrad rechnet ebenfalls die Tour nochmal nach. Ob wir in Istanbul sitzen oder
in Trojan ist egal. Und so bleiben wir nach kurzer Pro- und Contradiskussion
auch morgen Nacht im “Trojan Plaza“, da wird der Page aber Augen machen.
Schnell kläre
ich alles mit der Rezeption ab. Auch lasse ich unsere verkeimten, dreckigen und
ekligen Klamotten Waschen. Ich will nicht wissen, was die Wäscherei zu dazu
gesagt hat. Im Kiosk um die Ecke kaufe ich noch weiße Schokolade für Konrad und
beende den Tag.
Tief
zufrieden, gewaschen und wohlduftend gehen wir in die gemütlichen und weichen Betten.
Wie angenehm ist ein reines Laken auf der sauberen Haut. Wie beruhigend ist die
Gewissheit, dass wir morgen ewig ausschlafen können. Wie süß kann so ein Leben
sein. Und das für nur 20€ pro Person. Dazu erwartet uns morgen früh noch ein
angerichtetes Frühstück und saubere Unterwäsche.
Nur am
Rande: 北京市ist Chinas Hauptstadt Peking und .از دل برود هر آنکه از دیده برفت ist
Farsi oder persisch, man spricht es unter anderem im Iran und in Afghanistan
und es heißt soviel wie: "Aus den Augen, aus dem Sinn." Also wer mal
ein wenig Aufmerksamkeit erregen möchte, sollte sich diese Zeile merken und
kann sie bei Gelegenheit in geselliger Runde rezitieren oder sie auf die Klotür
in der Uni schreiben.
Pause
|
Sonntag 07.09.2008
|
**** Ruhetag in Troyan ****
|
|
0 km
|
0:00 h
|
↗ 0 hm
|
↘0 hm
|
av.V
0km/h
|
av. P=0 W
|
|
|
|
Sonntags- und Sommerferienwetter
|
139 BGN (Lew)
|
|
|
|
|
|
|
Werfen wir doch wiedermal einen Blick in Konrads Aufzeichnungen:
“7.9.2008 24.Tag
Trojan – Trojan J“
Eine Zeile nur. Schlicht bringt sie auf den Punkt, dass wir
heute in Trojan waren. Ich möchte dennoch ein wenig weiter ausholen.
Der Tag begann, nach der erholsamen Nacht, schon ausgeruht
und locker. Anschließend schlenderten wir zum Frühstücksbereich. Das Hotel hat
sich hier nicht nur auf nüchternen Pragmatismus beschränkt, sondern jede
Tischgruppe auf eine besondere Weise in Szene gesetzt. Wir sitzen auf einem
alten Cowboy-Planwagen. Direkt neben dem großen Weinfass, wo ein Ehepaar mit
kleinen Kindern Platz gefunden hat. Das Buffet ist reich gedeckt: Hauptsächlich
ernährt sich Konrad von einer Art Eierkuchen, die an den böhmischen
Palatschinken erinnern und mit Marmelade gefüllt sind. Die Küche kann gar nicht
so schnell nach produzieren, wie sie wieder auf unseren Tellern verschwinden.
An den Mengen die wir verputzen, sieht man wie ausgezerrt wir sind und was
diese Radtour uns abverlangt. Unter normalen Umständen würde ich schon nach der
Hälfte keinen Happen mehr runter bekommen, so aber werden wir Stammgast zum
Nachholen am Buffet.
Eigentlich würden wir jetzt wieder aufbrachen, so war es
immer in den letzten drei Wochen, heute aber geht es wieder hoch ins Zimmer und
ins Bett. Konrads Tageswerk besteht darin das Reisetagebuch, dessen Grundlage
dieser vorliegende Reisebericht nun ist, nachzutragen. Allzu oft fehlt am
Abend, nach einer langen Etappe, die Kraft oder einfach auch das Tageslicht
dafür, unser “Büchlein“ auf dem aktuellen Stand zu halten. Ich erkunde ein
wenig das Hotel. Ein Fitnessstudio mit Hometrainern entdecke ich. Mal eine Runde
darauf radeln? Ha, ich bin froh, dass ich überhaupt noch aufrecht auf zwei
Beinen gehen kann und nicht ständig versuche in imaginäre Pedale zu treten.
Die Rennradteams sind gerade vor dem Hotel damit
beschäftigt ihre Vorbereitungen für das anstehende Rennen zu treffen, ich
erfahre, dass heute Nachmittag der Prolog in Trojan stattfindet. Gespannt kann
ich aus nächster Nähe das Treiben beobachten. Die Profis eines bulgarischen
Teams sind sichtlich nervös, weil eine bildschöne, spärlich bekleidete, Blondine
ihre Rennräder schrubbt. Ansonsten ist es ein friedlicher Sonntag und
wunderschöner Sommertag obendrein.
Am Nachmittag gehe ich an die Rennstrecke die für den
Prolog abgesperrt ist, Konrad ruht sich indes im Zimmer weiter aus. Heute geht
es bei der Bulgarienrundfahrt nur darum die Wertungstrikots ein erstes Mal zu
vergeben und die Mannschaften zu präsentieren. Ich suche natürlich das Dresdner
Team, was hier ja auch irgendwo stecken muss. Überall kann man hingehen, nichts
ist versperrt oder nicht zugänglich für mich. Für Fans des Sportes ist diese
Rundfahrt angenehmer als die Tour de France, wo man an die Rennradfahrer kaum
ran kommt. Ein Streckensprecher erklärt das Geschehen auf Bulgarisch, Englisch
und wegen der deutschen Teams auch auf Deutsch.
In den sächsischen Landesfarben Grün und Weiß entdecke ich schließlich
das DSC-Team und spreche die verdutzen Athleten an. Ja, ok, ein wenig doof kam
ich mir dabei am Anfang schon vor, aber wir kommen angenehm ins Gespräch.
Einige Fahrer sind abgeklärt, andere richtig aufgeregt vor dem Start. Robert
Bengsch, amtierender deutscher Meister im Madison und in der
Mannschaftsverfolgung, also eigentlich Bahnradfahrer, dreht den Spieß zu meiner
Freude um und interessiert sich für unsere Radtour von Dresden bis hierher. Ich
erzähle ein wenig davon und er erklärt mir im Gegenzug den Ablauf bei seinem anstehenden
Profirennen. Dann muss er aber starten und ich quatsche noch kurz mit dem
Teamleiter. Wo kommt der her? Bekanntlich ist die Welt ja ein Dorf und so ist
er viele Jahre Sportgruppenleiter an unserer TU Dresden gewesen. Zurück an der Start- und Ziellinie verfolge ich gespannt den
Rennverlauf. Das DSC-Team konnte an diesem ersten Tag der Bulgarienrundfahrt
nicht viel reißen, Robert hatte schnell einen Platten und musste langsam ins
Ziel rollen. Zum Glück ging es heute noch um keine Zeitabstände.
Nachdem das Gelbe Trikot für den besten der Gesamtwertung,
das gepunktete Trikot für den besten der Bergwertung und das Grüne Trikot für
den besten Sprinter bei der Siegerehrung vergeben ist, spaziere ich noch ein
wenig durch Trojan. Der Ort liegt an den Nordhängen des zentralen Balkangebirges,
im so genannten Vorbalkan, in anderen Ländern würde das Städtchen überflutet
von Bergtouristen sein. Trojan ist relativ neu, weil es vor 130 Jahren in einem
Krieg zwischen Russen und Türken komplett niedergebrannt wurde. Der kleine
Kaskaden-Fluss Beli Ossam trennt das Städtchen in der Mitte. Viele, auch schöne
und kleine, Brücken verbinden die beiden Teile. Insgesamt spürt man einen
Ostblock-Charme in den Gassen wieder, aber Neues entsteht an allen Ecken.
Straßencafés und moderne Läden säumen die kleine Hauptstraße. Ich denke Trojan
wird bald in aller Munde und ein bekannter Touristenort sein. Bisher kennt man
vor allem das nahegelegene Kloster und den dort produzierten Pflaumenschnaps.
Der Tag vergeht auch ohne Radfahren, Lewis Hamilton gewinnt
auf RTL den Große Preis von Belgien in Spa-Francorchamps, wird später aber zu Felipe
Massas Freude, zwei Plätze nach hinten gestuft, weil er einmal abgekürzt hat.
Naja Radsport ist ja wohl tausendmal spannender als die Formel 1. Warum
Motorsport überhaupt als Sport bezeichnet wird, ist mir schleierhaft. Gewinnt
doch oftmals nicht der beste Fahrer, sondern das beste Auto die Rennen. Eigentlich
ist es ein Technik-Wettstreit der Ingenieure.
Als ich zum Hotel zurückkomme, trifft auch das DSC-Team
gerade ein. Wieder ein Zufall: Nicht nur das sich Dresdner mitten in Bulgarien
treffen, nein Robert und einer seiner Teamkollegen wohnen auch genau im Zimmer
neben an. Am Abend, als wir gerade “The
Fast and the Furious“ im Fernsehen schauen und nebenbei kochen, kommt er
nochmal rüber zu uns. Er erzählt ein wenig vom dem Profialltag, er ist sogar schon
im ProTour-Team T-Mobile gefahren, den wir heute einmal hautnah miterleben
konnten. Dabei ist er angenehm bescheiden und distanzlos. Seine Teamkollegen
sind zwei Tage mit dem Bus hier runter gefahren, er hat sich den Stress gespart
und ist geflogen. Er kalkuliert es genau durch: die Flugkosten versucht er
durch einen Etappensieg wieder rein zubekommen, den er ausgeruhter eher
erreichen kann. Während wir nach Süden weiterfahren, zieht der
Bulgarien-Rundfahrt-Tross erstmal noch nach Norden durch die Donautiefebene,
bevor sie dann am Schwarzen Meer auch gen Süden kommen, zwischendurch
überwinden sie aber auch noch den ein oder andern Balkan-Pass. Robert hat auch
viele Fragen an uns, weil er sich schlicht nicht vorstellen kann, diese lange
Strecke mit dem eigenen Gepäck zu schaffen. Unsere Räder sind ihm, und jedem
anderen sicher auch, im feinen Hotelfoyer aufgefallen. Der Ritzelblock, ja der
gesamte Antrieb ist vollkommen verdreckt und Konrads Hinterrad verlassen die
Speichen. Für einen reinen Rennradfahrer sind diese Bedingungen unvorstellbar. Selber
liebt er aber wie wir den Osten Europas und könnte sich vorstellen irgendwann
einmal am Ende seiner Karriere auch so ein Tour zu machen. Robert, du bist
herzlich eingeladen an einer weiteren Tour teilzunehmen, aber pass auf: Die
Spritzigkeit in den Beinen verliert man dabei ziemlich schnell, dafür bekommt
man die Kraft stundenlang gleichmäßig wie eine Dampflok in die Pedale zu
stampfen.
Wir verabschieden uns und wünschen uns gegenseitig viel
Erfolg bei unseren weiteren Vorhaben. Auf der fünften Etappe kann das DSC-Team
einen Tageserfolg feiern, als sich Roberts Teamkollege Henning Bommel im
Massensprint durchsetzen kann. Für Robert springen zwei 4. Plätze, ein 8. und
10. Platz in Bulgarien heraus. Wir für
unseren Teil werden eine Woche später erfolgreich in Istanbul einfahren.
Noch vor dem schlafen gehen, packen wir unsere Taschen um
morgen beizeiten wieder auf dem Rad zu sitzen und den Trojan-Pass zu erstürmen.
Es waren spannende und interessante Einblicke heute für uns. Wenn man es genau
nimmt, hätten wir die Bulgarien-Rundfahrt und auch die Militärparade Tags zu
vor verpasst, wenn wir in Rumänien auf Anhieb die richtige Fähre gefunden
hätten. Alles hat seinen Sinn. Alles ist für irgendetwas gut. Man muss nur das
Beste aus jedem Tag machen.
Das säubern der Unterwäsche und der verkrusteten T-Shirts
hat stolze 15€ gekostet. Aber vermutlich muss man ein hohes Schmerzensgeld für
die Waschfrau mit einrechnen, was nur fair wäre und dann ist der Preis auch verständlich. Insgesamt waren die beiden Nächte im Hotel
preislich vollkommen angemessen, wenn auch eine Spur Dekadenz unsererseits
nicht zu verleugnen ist.
#24
|
Montag, 08.09.2008
|
Troyan – Troyanpass - Karlovo - Plovdiv
|
128,8 km
|
6:15 h
|
av.
V = 20,5 km/h
|
↗ 1267 hm
|
↘1455 hm
|
av. P = 80 W
|
18°C - 35°C, sonnig
|
33 BGN (Lew)
|
|
|
|
|
Der Wecker klingelt frühzeitig. Der Plan ist es, lang und
gut zu frühstücken und dann noch vor der Mittagshitze den Trojanpass, südlich
von Trojan selbst, zu überwinden. Weiter
geht unsere Planung erst einmal nicht, denn zwischen der Passspitze und unserem
derzeitigen Standpunkt liegen nicht nur 23 Kilometer sondern auch 1125 Meter
Höhenunterschied. Mit solchen Anstiegen auf beladenen Tourenrädern haben wir schlicht
noch keinerlei Erfahrungen gemacht, also wollen wir es einfach auf uns zu
kommen lassen.
Doch auch wenn der Planungshorizont sehr überschaubar
scheint, ist man vor Überraschungen nicht gefeit: So muss unser ausgedehntes
Frühstücksgelage entfallen, da das Hotel gar keines mehr anbietet. Wo gestern
noch ein großes und reich gedecktes Buffet voller Delikatessen, Gaumenfreuden
und Köstlichkeiten war, ist heute gähnende Leere. Wir täuschen uns nicht in
Raum oder Zeit, man bittet uns an einen kleinen Tisch und händigt uns eine einseitige
plastinierte Speisekarte aus. Wir können zwischen fünf kleinen
Frühstücksvarianten wählen: Zwei Scheiben Brot, mit einem Stück Butter, einem
Klecks Marmelade und einer Scheibe Wurst oder Zwei Scheiben Brot mit einem
Stück Butter und zwei Scheiben Wurst oder statt der Wurst Käse… und so weiter.
Die Getränkeauswahl beschränkt sich auf ein Glas Wasser ohne Sprudel. Ernüchternd.
Sind wir hier jetzt auf Diät? Geht es als nächstes ins Wasserbecken zur
Aqua-Gymnastik mit anschließender Lymphdrainage und einer Feldenkrais-Körperbewusstseins-Therapie?
Oder sieht es etwa so aus, dass wir in den nächsten zwei Stunden nichts anderes
machen als stetig bergauf mit dem Rad zufahren und dabei unentwegt in die
Pedale zudrücken? Sicher bin ich mir nicht mehr. Tja. Man darf einfach nicht zu
viel erwarten, zu groß kann die Enttäuschung sein, auch wenn es nur um ein
Frühstück geht. Vielleicht hatten wir gestern auch einfach nur Glück gehabt,
weil Sonntag war und man da das Frühstücksangebot ungefähr vertausendfacht hat
und nun ist wieder Montag und es kehrt der Alltag nach Trojan und in das Hotel Trojan
Plaza zurück, was sich schlussendlich auch auf uns auswirkt. Schnell verputzen
wir diese Kindergartenportion, den mehr war es nicht, und verkrümeln uns.
Wir beladen unsere Räder. Schlecht sehen sie aus. Die
Ketten sind fast ölfrei und vollkommen verstaubt. An Konrads Hinterrad fehlen
zwei Speichen und die ersten Achten in den Felgen bahnen sich an. Nicht nur wir
sind seit drei Wochen unterwegs, auch unsere Fahrräder spüren die Belastung. Am
Ortsausgang halten wir an einem kleinen Laden und Frühstücken auf einer Bank am
Flüsschen. Das Hors d'oeuvre aus dem Hotel ist längst schon verdaut. Eigentlich
ist es an der frischen Luft auch viel schöner. Man sitzt so da auf seiner Bank,
schaut dem Alltagstrott der Menschen zu, die Sonne blinzelt leicht durch die
Blätter der Bäume, man hört das Wasser plätschern und spürt die Energie des
beginnenden Tages. Immer wieder wandert der Blick zu den Gipfeln des
Balkangebirges. Gut 2200 Meter sind die Berge Levski ,benannt nach dem Revolutionär
und Aktivisten der Bulgarischen Nationalen Wiedergeburt Wassil Levski, und
Vezen hoch und genau zwischen ihnen werden wir den höchsten Punkt unserer
Radtour nach Istanbul erreichen. Bevor es endgültig losgeht stocken wir noch
unsere Trinkvorräte auf.
Schon im Ort beginnt die kontinuierliche Steigung auf dem
guten und nahezu Autofreien Asphaltband. Schnell lassen wir auch die letzten
Häuser und Hütten hinter uns und sind allein unterwegs. Jeder fährt sein
eigenes Tempo, monoton rattert die Kette, um uns ist nur Wald. Bei einem ihrer
vielen Expansionsversuchen nannten die Türken dieses Gebirge nicht umsonst Bergwald,
was auf Türkisch Balkan bedeutet und schließlich Namensgeber von ganz
Südosteuropa wurde. Weiter geht es hinauf durch den Bergwald. An Quellen, die
hin und wieder aus dem Felsen entspringen, machen wir kurze Pausen, warten
aufeinander und erfrischen uns an dem kühlen und klaren Wasser. Vielleicht
liegt es an der Hitze und der Belastung, aber noch nie hat Wasser so gut
geschmeckt. Stetig wächst die Zahl auf dem Höhenmesser, wir wissen dass bei 1525
Metern Schluss sein wird, doch bis dahin ist es noch ein weiter weg. Ein LKW
knattert von hinten heran, der Fahrer hält direkt vor Konrad und spricht ihn
auf Bulgarisch an. Als er merkt, dass wir Deutsche sind unterbreitet er das
unmoralische Angebot: „19 Kilometer! Hinten rauf!“. Kurz diskutieren wir es aus,
aber meine Meinung ist für mich unumstößlich: Nicht einen Meter werde ich auf
dem Weg in die Türkei motorisierte Hilfe in Anspruch nehmen. Auch und schon gar
nicht hier am Trojan-Pass. Wäre das hier die Tour de France würden wir gerade
auf einen Berg der ersten Kategorie “stürmen“. Das hat trotz aller
Anstrengungen schon etwas Faszinierendes an sich. Und auch wenn es für Konrad
ein deutlich größeres Opfer ist, lässt es ebenso sein Stolz nicht zu, hier die
Abkürzung zu wählen. Der LKW-Fahrer versteht die Welt nicht mehr, er verspricht
uns oben auf der Spitze wieder abzusetzen, damit wir die ganze Abfahrt genießen
können. Doch darum geht es ja nicht. Es geht um die Radtour von Dresden nach
Istanbul. Es geht darum mit dem Fahrrad und nur mit dem Fahrrad in Dresden
loszufahren und in Istanbul eines, nicht allzu fernen, Tages anzukommen und
dafür muss man nun mal auf der von uns gewählten Strecke hier jetzt berghoch
fahren. Er gibt auf, wir danken ihm dennoch für seine Hilfe.
Nach und nach werden die Bäume kleiner, bald wachsen hier
nicht mal mehr Büsche. Wir haben eine grandiose Aussicht, man hat das Gefühl
ganz Bulgarien überblicken zu können. Einst, es ist schon ein paar Tage her,
wanderten genau hier auf dieser Straße römische Legionäre vom Ägäischen Meer
zur Donau um am Limes das Römische Reich zu verteidigen. Wir radeln nämlich auf
einem Nachfolger der Römerstraße Via Traiana, welche die Städte Hadrianopolis,
Philippopolis und Bononia (Edirne, Plovdiv, Widin) verband und die bis zum
Bosporus reichte.
Kurz vor dem Gipfel entspringt noch einmal eine Quelle an
welcher ein Brummifahrer seine Kühlflüssigkeit nachfüllt und wir uns noch
einmal eine Flasche mit Balkanwasser abfüllen. Dann sind wir endlich auf dem
Trojanski Prohod ankommen, dem Dach unserer Tour, auf 1525 Metern Höhe, über
einen Kilometer höher als heute morgen. Es herrschen, trotz der Mittagsstunde,
angenehme Temperaturen hier oben. Wir machen eine längere Pause und genießen
noch einmal die großartige Aussicht, jetzt in beide Richtungen: Im Norden liegt
die Nordbulgarische Platte, welche bis zur Donau reicht und die wir in den
letzten zwei Tage durchquert hatten. Im Süden liegt die Oberthrakische
Tiefebene, welche spiegelglatt bis zum Beginn unseres hier nun steil abfallenden
Balkangebirges verläuft. Die Gipfel um uns herum sind grün und rund gelutscht,
es gibt keine schroffen Felsen. Hier oben – so sagt uns ein Nationalparkschild
– gibt es Wölfe, Steinadler, Gämse und auch Bären, sowie elf Pflanzen die nur
hier und nirgendwo anders auf der Welt wachsen. Tiere sehen wir keine und da wo
wir sitzen gibt es auch nur stinknormales Gras, aber und das fällt selbst uns
auf: Keine nervenden Insekten scheinen hier zu wohnen.
Auf einem nahen Berg ist ein riesiges Monument, wir hatten
von weiter unten für eine Seilbahnstation gehalten, in der modernen Form eines
Triumphbogens, welches dem Befreiungskampf der Bulgaren gewidmet ist. Wir knipsen noch ein paar Gipfelfotos, ein
ausgesetzter LKW-Fahrer gibt sich dabei richtig Mühe und sucht immer wieder
schönere und bessere Motive für unser Bild. Ich nehme noch einen kleinen Stein
als Erinnerung mit und dann stürzen wir uns in die anstehende Abfahrt. Der Mann
– keine Ahnung warum er hier auf einen LKW wartet – singt zum Abschied noch “Bicycle“
von Queen. Auf geht’s oder besser: Ab geht‘s.
Die Abfahrt ist ungefähr 25 Kilometer lang und es ist ein
riesengroßer Spaß so schnell vorwärts zukommen, den Fahrtwind im Gesicht zu
spüren ohne dafür eigene Kraft aufwänden zu müssen. Es geht auf der Südseite
des Passes noch weiter bergab, als es auf der Nordseite hinauf ging. Es ist die
gerechte Entlohnung für die Strapazen des langen Morgens. In unzähligen und
spitzen Serpentinen schmiegt sich die Straße eng am Berg hinab ins Rosental, welches
bekannt für seinen – welch‘ Überraschung – Rosenanbau ist und wo auch die rote
Rebsorte des Rosentaler Kadarkas auf
nährstoffreichem Boden angebaut wird. Doch jetzt im Spätsommer wächst im Tal
nicht mehr viel, von hier oben sieht alles braun und verdorrt aus. Der Ort
Hristo Danovo, am Fuße des Berges liegend, erinnert von hier oben aus an eine
Modelleisenbahnlandschaft mit seinen winzigen Häusern und Autos, Straßen und
Feldern. Viel zu schnell endet das Vergnügen in Karnare, wir sind nach dem Geschwindigkeitsrausch
wieder auf dem Boden der Realität und des Tales angekommen. Es ist heiß und
stickig. Das Balkangebirge thront jetzt im Rücken hoch über uns.
Wir beschließen bei einem Eis uns an die neuen
Rahmenbedingungen gewöhnen zu wollen, dabei werden wir jedoch von kleinen
Kindern gestört. Die Giftzwerge beschimpfen uns und werfen immer wieder mit
Steinen nach uns. Anschließend freuen sie sich lautstark, wenn sie das
blecherne Buswartehäuschen, in welchem wir sitzen und unser Eis schlecken, mit
einem ihrer geschleuderten Brocken treffen und damit dann einen Höllenlärm
erzeugen. So fällt der Abschied denn auch nicht schwer. Bis Karlovo folgen wir
einer stark befahrenen Straße. Von hier aus wollten wir eigentlich über Kasanlak
gen Osten nach Stara Sagora und weiter zur griechisch-bulgarischen Grenze in Swilengrad
fahren. Doch jetzt hier vor Ort reizt uns die Transitstraße, die zudem recht
hügelig daher kommt, wenig. Wir planen kurzerhand um und wollen erst nach Süden
und in Plovdiv dann ostwärts weiterfahren. In Plovdiv hoffen wir auch auf einen
Zeltplatz und erwählen die Stadt daher als unser heutiges Etappentagesziel.
Verfahren kann man sich nicht: 50 Kilometer geht es gerade aus und dann ist man
schon da.
Die Strecke ist gähnend langweilig und teilweise böse
befahren. Ganz am Rand fahrend, hoffen wir nicht überrollt zu werden.
Nebeneinader herfahren und miteinander reden, Geschichten erspinnen und
Gedanken austauschen, geht leider nicht. Wir überfahren auf unserem trostlosen
Weg einen kleinen Fluss, sein klares Wasser lockt uns von der Straße herab und
so legen wir am Strjama erneut eine weniger physisch, als viel mehr psychische
Pause ein. Wohltuend umfließt das kühle und erfrischende Wasser unsere Füße.
Der Fluss ist etwa zehn Meter breit, aber an keiner Stelle tiefer als 30
Zentimeter. Ich baue wie in Kindertagen kleine Staudämme und Konrad kühlt
unsere Getränke im Wasser. Langweilig wird uns auch nicht: Erst kommt ein
Cowboy auf einem Pferd und mit seiner Rinderherde angeritten. Wenig später hören
wir Walz- und Stampfgeräusche aus Büschen hinter unserem Rücken. Eine Herde Wasserbüffel
zieht es ebenfalls an unseren entspannenden Fluss. Sie nehmen ein Bad in einem Wasserloch direkt
neben unseren abgelegten Fahrrädern. Da die Tiere recht groß sind und auch noch
Hörner haben wollen wir sie dabei nicht stören. Ein Büffel öffnet mit seinem
Maul meine Lenkertasche und leert sie. Warum? Warum macht er das? Und warum
holt er gerade unsere Reisepässe heraus? Die braucht er als Tier doch gar
nicht. Und was will er den im Ausland? Hier am Wasserloch ist es doch
wunderschön. Das fällt ihm dann wohl auch ein und so lässt er alles fallen und
geht zu den anderen Wasserbüffeln baden.
Glücklich sind wir auch, dass er sich mit seinem massigen Körper nicht
auf unsere zarten Alu-Räder gestellt hat. Dem Cowboy sind die Tiere auch nicht
geheuer und so zieht er mit seinen Kühen weiter, vorher plauscht er noch mit
einem Mann am anderen Flussufer, der mit seinem Pferdefuhrwerk zum tränken der
Pferde vorgefahren ist. Man kann sich gar nicht vorstellen, was an so einem
Fluss alles passiert. Nachdem alle Tierrassen weitergezogen sind, raffen auch
wir uns wieder auf und radeln weiter. Immer noch bin ich froh darüber, dass
alle wichtigen Reisedokumente noch vorhanden sind. Ich hüte die Lenkertasche
eigentlich immer wie meinen Augapfel und dennoch kann man sich nie sicher sein,
dass nicht irgendetwas Ungeplantes damit passiert. Heute war es der fette
Wasserbüffel und in Serbien hatte ich alles Wichtige zum Schutz vor Langfingern
ausgepackt und dann auf einer Bank liegen lassen.
Plovdiv ist die größte Stadt seit Belgrad und über einer
Woche. Unsere Straße wird riesig breit und überall wird gebaut. Die Ampeln hier
haben eine bemerkenswerte Besonderheit: Ein Countdown zeigt an wie lange noch
Rot und Grün ist. Was bei Grünphasen zur Folge hat, dass kurz vor Ablauf der
Zeit alle Verkehrsteilnehmer, egal ob PKW, LKW oder Bus, Vollgas geben um es
gerade so noch über die Kreuzung zu schaffen und bei Rotphasen warten die Autos
nicht mehr bis Grün wird, sondern fahren schon eher los, weil sie ja sehen,
dass das Warten gleich vorbei ist. Da das aber auch die querenden Autos so
machen, ist das ganze Vorgehen recht chaotisch und gefährlich.
Dass wir den Zeltplatz von Plovdiv tatsächlich finden,
konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Zu oft haben wir umsonst
gesucht und zu groß ist die Stadt. Zwar liegt das Zeltplatzsymbol auf der
Landkarte im Westen der Stadt, aber wie genau der Kartenzeichner hier an dieser
Stelle gearbeitet hat, weiß doch kein Mensch. Doch Konrad ist optimistisch
und so finden wir ziemlich schnell den
Campingplatz direkt an der Straße.
Man weißt uns einen Platz auf dem ansonsten leeren Platz zu
und wir schlagen unser Lager auf. Duschen können wir in kleinen Bungalows, die
voller Kakerlaken sind. Davon abgesehen ist die Anlage sehr gepflegt und mit
viel Liebe gestaltet. Neben unserem Zelt ist eine Brunnenattrappe und ein
Holztisch mir Bänken. Hier beenden wir nun bei Nudeln mit Ketschup den Tag der
Erstürmung des Trojan-Passes.
P.S.: Vor 25 Jahren fand hier in Plovdiv die Hochzeitsreise
meiner Eltern durch Bulgarien ihren Anfang. Jetzt bin ich da.
#25
|
Dienstag, 09.09.2008
|
Plovdiv - Dimitrovgrad - Haskovo
|
110,2 km
|
5:23 h
|
av.
V = 20,4 km/h
|
↗ 399 hm
|
↘ 371 hm
|
av. P = 100 W
|
19°C - 35°C, sonnig
|
55 BGN (Lew)
|
|
|
|
|
Während ich die ganze Nacht wie ein Stein geschlafen habe –
ein Tipp für alle mit Schlafstörungen: einfach mal nach Istanbul radeln – wurde
Konrad in dieser Nacht krank. Am Morgen plagen ihn starke Bauchschmerzen und
ein schlimmer Durchfall. Er verbringt den Tagesbeginn erst einmal damit, einige
Zeit auf dem Klo abzusitzen, während ich das Zelt abbaue und alles einpacke. Es
muss ja weiter gehen.
Zum ersten Mal auf unserer Radtour ist einer krank
geworden. Eigentlich ist es schon ein kleines Wunder, dass es so lange gedauert
hat, bis ein Immunsystem mit diesen Anforderungen nicht mehr klarkommt: Nicht
nur das tägliche Radfahren ist eine körperliche Belastung, auch die
hygienischen Standards sind unterwegs nicht immer so, wie man es von Zuhause
und dem Alltag gewöhnt ist. Überraschend war für uns aber das Timing mit dem
der Infekt Konrad heimsuchte, immerhin hatten wir uns ja gerade in Trojan den
ersten und einzigen Ruhetag der Tour gegönnt. Wir konnten da genug und in Ruhe
essen, Energie tanken, duschen solange und so viel wir wollten, hatten leichte
Spaziergänge durch die Stadt und ansonsten war einfach nur Entspannung
angesagt. Doch jetzt war Konrad eben krank und guter Rat teuer.
Wir beschlossen erst einmal in Plovdiv Frühstück zu suchen
und dann weiter zu sehen. Die Stadt hat uns leider keinen ihrer antiken Schätze
gezeigt. Ihre makedonische Vergangenheit als Philippopolis blieb uns verborgen,
auch sahen wir nichts von einer ehemaligen Römer- oder Byzantinerbesiedlung.
Auch wenn wir gestern Abend auf dem Weg zum Zeltplatz und jetzt auch wieder
zurück in die Innenstadt zweimal quer durch Plovdiv gefahren sind, war da nicht
mehr als eine unauffällige Ostblockstadt. Wir hätten die Altstadt, das antike
Theater, das römische Stadion und orthodxe Kirchen aufsuchen können, doch heute
Morgen wollten wir Konrads Kräfte schonen und dachten daher nicht eine Sekunde
an Sightseeing.
Das Frühstück nehmen wir auf den Treppenstufen vor einem
kleinen Supermarkt ein. In einer Hausecke daneben schlafen noch drei kleine
Kätzchen eng an einander gekuschelt, als gäbe es die morgendliche Rush-Hour und
Hektik nicht. Als sie aufwachen klettern sie auf einen Baum oder spielen im
Gras mit Kienäpfeln. Die fast schon philosophische Frage ob Hund oder Katze der
ideale Freund des Menschen ist, beantwortet sich einmal mehr von alleine: Denn
während uns fast jeder Hund bisher angegriffen hat, sind diese Katzen
friedliche, anschmiegsame und leise Zeitgenossen.
Wir verlassen Plovdiv auf kleinen Straßen gen Osten, auch
wenn es eine direkte Transitstraße von Sofia über Plovdiv nach Edirne an der
bulgarisch-türkischen Grenze und weiter bis Istanbul gibt. Es ist einfach viel
angenehmer, wenn man bei Radfahren seine Ruhe hat und nicht ständig Rücksicht
auf den Verkehr und das eigene Leben nehmen muss. Die Oberthrakische Tiefebene
entpuppt sich dabei aber als bei weitem nicht so flach, wie sie vom
Balkangebirge aus aussah. Kleine giftige Wellen und schlechte Straßenbeläge
ziehen schnell die Kraft aus den Beinen. Konrad ist immer wieder schwindelig
und er fühlt sich zunehmend schwach. Da wir weiterhin nur die
Bulgarien-Landkarte mit einem Maßstab von 1:700.000 haben und wir noch immer
die kyrillischen Straßenschilder nicht lesen können, verfahren wir uns zudem
hin und wieder oder wissen nicht immer, was der ideale Weg ist. Während ich das
ergründe, legt sich Konrad in den Schatten von Bäumen. Einmal setzen wir uns
dabei in eine Schonung von merkwürdigen fremden Laubbäumen mit großen Dornen.
Solche Bäume haben wir noch nie gesehen. Wir sind soweit weg von zuhause, hier
in mitten einer unwirklichen Gegend. Der Boden ist von Hasenköteln bedeckt. Oft
stehen auf dem weiteren Wege Wiesen und Felder in dunklem Rauch, weil diese in
der Trockenheit immer wieder in kleinen Schwelbränden verbrennen.
Wir passieren die Städte Cirpan und Dimitrovgrad. Letztere
ist eine junge, nach sozialistischem Modell gepresste, Industriestadt. Verkommene
Wohnblocks säumen den Weg zu verfallenen
Chemie- und Maschinenbaustandorten. Die Stadt ist Tod. Wenig später machen wir
unter einer kleinen Brücke an einem Bach Pause, Konrad muss wieder neu zu
Kräften kommen und schläft. Auch danach werden die Bilder absoluter Armut nicht
weniger: an einer riesigen Wellblechhütten-Siedlung,
erinnernd an afrikanischen Townships und südamerikanische Slums, ohne Wasser-
und Stromversorgung, fahren wir entlang.
Weiter macht Konrad:
Schnell fahren wir
weiter uns lassen das Elend hinter uns, bevor wir noch bebettelt werden. An
einer Tanke erleichtere ich mich, während Stefan über den Weg grübelt. Die
Entscheidung ähnelt einem Münzwurf, war am Ende aber richtig. Im Zickzackkurs
und hoch und runter fahren wir weiter. Bald kommen wir an eine große Straße.
Doch die ist stark befahren und das kotzt Stefan an. Aber der Weg hier ist auch
scheiße. Ich muss sehr vorsichtig fahren, die Straßen sind schlecht. Soll er
doch durch die Pampa gurken, ich fahre ab sofort nur noch große Straßen!!!
Stefan bemerkt
meinen Unmut und meine Schwäche und schlägt ein vorgezogenes Etappenende vor, denn
eigentlich sollte es heute noch bis an die Grenze nach Svilengrad gehen. Dafür
bin ich ihm dankbar. Schnell ist auf der Bulgarienkarte ein Zeltplatz entdeckt
und wir beschließen uns mit Nahrung auszustatten und dort hinzufahren. Dafür
haben wir zwar morgen 30 Kilometer mehr bis Griechenland, doch das ist mir
egal. Nicht egal dürften Stefan die nächsten Kilometer gewesen sein, denn die
Straße ähnelt einer Autobahn und wir geraten in türkischen Transitverkehr. Das
Zeltplatzerspähen ist nicht einfach. Kurz bevor wir aufgeben wollen, unter anderem auch weil die Straße mit dem Zeltplatzsymbol
wieder Richtung Plovdiv, zum heutigen Startort führt, entdecken wir auf der anderen Straßenseite ein Motel- und Campingplatzschild.
Wir warten eine Verkehrspause ab und sprinten quer über die Autobahn und
wuchten die Räder über die Mittelleitplanke. Ich bin zu schwach und schaffe es
nicht, erst als Stefan zurückkommt und zupackt schaffen wir es und kommen in
Sicherheit.
Eine kleine Straße schlängelt sich nun einen kurzen Berg
durchs Dickicht hinauf, wir entdecken zwar keinen Zeltplatz aber das Motel, was
wie ein Horrormotel oder Spukmotel aussieht. Eine riesige Anlage, ein richtiger
Komplex, doch kein Leben ist zusehen, die Brunnen und Bassins davor sind leer
und zugewachsen. Die Rezeption ist ein Schalter wie in der U-Bahn, von einem
Zeltplatz weiß die Frau dahinter nichts oder will nichts wissen. Dafür zeigt
sie uns die Preise des Motels: Umgerechnet fünf Euro würde uns die Nacht hier
kosten. Wen interessiert hier eigentlich noch der Weg zum Zeltplatz?
Wir checken im Spukhotel ein und sind allem Anschein nach
die einzigen lebendigen Gäste. Die Flure sind dunkel, es herrscht Totenstille. Im
Zimmer angekommen duscht Konrad erstmal und möchte auf dem Klo seine Ruhe
haben. Da es keine Tür zwischen Bad und Zimmer gibt, gehe ich ein wenig durch
das Spukmotel. Alle Zimmer sind offen, einige haben Terrassen. Alle Betten sind
gemacht. Aber kein Mensch begegnet mir. Hinter einer Glaswand ist ein
Konferenzraum mit rundem Tisch, eingestaubt und wohl seit Ewigkeiten unbenutzt.
Hinter einer anderen Tür ist ein Tanzsaal in welchem sich aber nun Tische und
Stühle stapeln. Im Keller ist eine Bar mit Striptease-Stange, aber kein Kellner
und auch keine Tänzerin, überhaupt kann ich überall, auch im internen Bereich
rumlaufen, ohne das ich jemanden begegne, der hier wohnt oder arbeitet.
Seltsam. Naja ein Spukmotel halt. Als ich zurück in unser Zimmer komme ist Konrad
verschwunden und eine Blutspur führt vom.. Konrad auf seinem Bett und liest
in Seelenruhe den Istanbul-Reiseführer. Wir machen im Zimmer Abendessen und
gucken bulgarisches schwarz-weiß-griesel-Fernsehen auf einem Minigerät.
Bevor ich schlafen gehe, schaue ich nochmal ins Foyer zu
unseren Rädern, dabei höre ich vor der Eingangstür Stimmen. Ich folge ihnen und
finde zum Hotel-Chef, nebst Frau und Tochter. Wir kommen ins Gespräch, die
Familie bewirtschaftet dieses riesige Hotel alleine. In der Gegen gibt es
Mineralbäder, aber seit einigen Jahren ist hier aber nichts mehr los. Deswegen
wurde aus dem Hotel nun ein Motel, aber auch Brummi-Fahrer kommen selten vorbei.
Der Hotelchef möchte von mir wissen, wie mir Bulgarien gefällt. Ich erzähle ihm
daraufhin von unserer Radreise, erwähne dabei aber nur positives über sein
Heimatland. Er überrascht mich damit,
dass er Sachsen und auch Dresden sehr gut kennt: In den 80ern hat er in der DDR
viel gearbeitet. Zum Beispiel hat er auf
der Prager Straße im Dresdner Zentrum
die „Pusteblumen“, eine markante und wohlbekannte Springbrunnenanlage
gebaut. Es freut ihn sehr zu hören, dass es die Pusteblumen noch immer, wenn
auch an einem anderen Platz, gibt und sie die Menschen erfreuen. Viele Details
aus Dresden sind ihm noch bekannt, er will unendlich viel über alles wissen, ob
es diese und jene Häuser noch gibt, wie sich Dresden entwickelt hat. Die Welt
oder besser die ehemaligen Ostblockstaaten sind ein Dorf. Später hat dann auch
noch in Karl-Marx-Stadt als Koch gearbeitet. Dass diese Stadt inzwischen
Chemnitz heißt, hat sich inzwischen aber auch bis in die hinterste Balkanecke
rumgesprochen.
Wir reden an diesem Abend noch lange über Gott und die Welt.
Seine Tochter arbeitet übrigens manchmal in der Bar als Striptease-Tänzerin,
erfahre ich nebenbei. Ob wir uns ein Bündel Geldscheine organisieren und damit
dann in die Stripbar stolzieren sollten? Aber woher bekommt man hier auf die schnelle
ein Bündel Geld? Naja wir lassen es lieber.
Konrad ging es zum Abend zu besser, seine Bauschmerzen
haben nachgelassen. Vielleicht ist er ja morgen wieder gesund und fit und wir
müssen uns keine Sorgen um das Erreichen Istanbuls mehr machen. Dass wir heute
Nacht nicht draußen im Zelt schlafen und dass man sich hier richtig duschen und
aufs Klo gehen konnte, ist sicher und hoffentlich gut für ihn.
Denn dann geht’s Morgen nach Hellas!
#26
|
Mittwoch, 10.09.2008
|
Haskovo - Svilengrad - Orestiada (GR)
|
139,8km
|
6:35 h
|
av.
V = 21,2 km/h
|
↗ 501 hm
|
↘ 616 hm
|
av. P = 80 W
|
23°C - 36°C, heiter bis sonnig
|
20 BGN (Lew) & 15 €
|
|
|
|
|
Schon nach wenigen Kilometern ist heute zum ersten Mal
Istanbul ausgeschildert. Noch verrät uns das Schild die Entfernung bis zum
Bosporus nicht, aber alleine seine Anwesenheit motiviert ungemein. Im Süden spannt sich nun ein nächstes Gebirge
auf: Die Rhodopen trennen Bulgarien von Griechenland. Doch auf eine mühsame
Bergetappe müssen wir uns dennoch heute nicht einstellen, unser Weg führt an
diesen Bergen vorbei, genau wie der Fluss Marica in seinem Lauf zum Ägäische
Meer einen barrierefreien Zugang findet. Motivierend sind zudem Tage wie heute
immer, weil man eine neue Staatsgrenze überschreiten wird und das bringt eine
große Vorfreude mit sich. Ein neues Land und eine neue Sprache, welche man zwar
wieder nicht versteht, die aber dennoch einen neuen fremdländischen und fernen
Klang in sich trägt. Wir gehen also äußerst positiv eingestellt in den neuen Tag.
Zur Grenzstadt Svilengrad, die etwa 60 Kilometer vom Motel
und dem Tagesstart entfernt liegt und wo einst der mythische Kampf zwischen
Zeus und seiner Frau Hera stattgefunden haben soll, führen zwei Straßen. Eine
Straße ist in der Karte rot eingezeichnet, was in Deutschland für eine
Bundesstraße stehen würde und hier in Bulgarien ähnlich ist. Die andere
Alternative ist gelb mit rotem Rand und symbolisiert auch hier eine Autobahn.
In Bulgarien gibt es davon nur zwei Stück: Die eine führt von Sofia, der
Hauptstadt, nach Varna am Schwarzen Meer und die andere ebenfalls von Sofia
durch unser Thrakien bis nach Svilengrad. Und obwohl wir die blauen
Autobahnschilder immer meiden und uns an grünen Schildern orientieren, sind wir
plötzlich auf eben einer dieser beiden bulgarischen Autobahnen gelandet. Für
die örtlichen Verkehrsplaner und Wegweisersetzer ist das die einzig logische
Weise um mit dem Auto an die Grenze zu gelangen. Klar, an die Hand voll
Radfahrer denkt man dabei nicht. Der Weg zur Landstraße bleibt uns so verborgen.
Was sollen wir nun tun? Wie fahren wir hier
weiter?
Auf der Autobahn! Der erste Schrecken verfliegt schnell,
denn die Autobahn ist nicht so stark befahren wie etwa die A4 und sie hat einen
riesig breiten Standstreifen. Hin und wieder werden wir angehupt, doch dem
akustischen Warnsignal folgt dann meist ein freundliches Winken. Zweimal
passieren wir auch stehende Polizeiwagen, die Beamten begrüßen uns freundlichen
und klatschen sogar. Wie angenehm es ist, wenn die hiesigen Gesetze von den
Ordnungshütern einmal zurückgestellt werden und sie aus Bauch heraus
entscheiden, dass diese beiden Radfahrer schon gut genug auf sich selber
aufpassen können und wissen was sie da tun. Luxuriös wird später sogar, als
wegen Bauarbeiten die eine Autobahnseite komplett gesperrt wird und wir auf
diese Spuren wechseln und nun eine Autobahn für uns alleine haben.
Während 30 Kilometer Luftlinie bei so einer Tour schnell
mal ein paar Stunden kosten können, weil die Wege kreuz und quer aber nicht
direkt zum Ziel führen und man außerdem ständig neu auf die Karte schauen muss,
die dann wiederum oft nur wenig mit der Realität vor Ort zutun hat, kommt man
auf der Autobahn auch ohne Motor unheimlich schnell zum Ziel. Nach etwas über
eine Stunde erreichen wir mit Höchstgeschwindigkeit Svilengrad, am
Dreiländereck von Bulgarien, Griechenland und der Türkei. Bis Istanbul währen
es auf der Autobahn noch etwa 270 Kilometer, unser Route wird uns aber nun
südlicher, durch Griechenland und am Marmarameer entlang zum Ziel führen. Der
Umweg beträgt etwa 200 Kilometer. Gründe dafür gibt es reichlich: Erstens darf
man in der Türkei nicht einfach so auf der Autobahn mit dem Fahrrad unterwegs
sein, auch sorgt zweitens die Plattentektonik dafür, dass die Afrikanischen und
die Eurasische Platte das nerviges Strandža-Gebirge vor Ort auffalten und man
damit auf der kompletten Strecke ständig nur bergauf und wieder bergab fährt. Der
dritte Grund für mich ist der grässliche Transitverkehr und als krasser
Gegensatz dazu auf unserem Umweg die ruhigen und verträumten Straßen entlang
des Marmarameeres. Viertens und Last but not Least: Griechenland.
So nehmen wir dir Svilengrader Abfahrt und verjubeln unsere
letzten Lew für Eis und kalte Hotdogs. Die griechische Grenze zu finden ist gar
nicht so leicht. Kein Svilengrader kennt den Weg, alle wollen uns direkt in die
Türkei schicken. Eine Stunde irren wir so konfus durch die Stadt bis uns
Dutyfree-Geschäfte und das Niemandsland eines Grenzstreifens zeigen, dass wir
den richtigen Weg schließlich doch gefunden haben und wir Bulgarien verlassen
und nach Griechenland einfahren können. Die Grenzstation liegt am Ende eines
steilen Anstieges, total verschwitzt zeigen wir die Pässe vor und werden
kontrolliert. Das Einführen von Kampfstoffen nach Griechenland ist verboten und
da auch Pfefferspray ausdrücklich dazugehört und wir unseres noch nie
einsetzten konnten, hat Konrad ein wenig Bammel, dass man uns für
Mini-Terrorristen halten könnte. Wir werden nach dem Ziel unserer Reise gefragt
und misstrauisch beäugt, doch anschließend nicht durchsucht. Da sind wir also
im Land des Rehakles, des Fußball-Europameisters von vor vier Jahren.
Auf der Europastraße 85 die von der Ostsee in Litauen bis
zum Ägäischen Meer in Alexandroupolis führt, fahren wir durch den touristisch
wenig erschlossenen Teil von Griechenland. Obwohl es eine der ältesten
Kulturlandschaften Europas und bekannt war für seine griechischen Philosophen ist,
ist in Thrakien nicht viel los. Abgesehen von Melonen die am Straßenrand
wachsen und auf die wir uns bei jeder Gelegenheit stürzen. Ich bin hin und weg,
zum einen weil mir Melonen die liebsten Früchte sind und zum anderen weil sie
hier einfach so vor sich hin wachsen, wie zu Hause Äpfel oder Birnen. Die
Melonen sind zwar kleiner als die, die man im Handel findet, aber ich schwöre
es: sie schmecken tausendmal besser. Schon alleine weil man sie einfach so vom
Boden aufheben und schlachten kann. Wir beschließen nun jede Melone zu essen, die
wir erspähen können.
Vorbei fahren wir an griechischen Dörfern wie Trigono,
dessen Häuser allesamt weiße Wände und rote Dächer haben und die einen
mediterranen Flair versprühen. Wir durchfahren Baumwollfelder und einige
Kilometer weiter auch ein Melonenfeld. Gemäß unserer Vereinbarung von der
leckeren, kleinen Wassermelone eben, halten wir und schlagen uns den Bauch
voll. Wie die Wahnsinnigen fallen wir in das Melonenfeld ein, es ist schon
abgeerntet und nur noch die kleinen und kümmerlichen Melonen blieben zurück.
Die erste Melone die wir öffnen ist nicht gut, auch die nächste nicht, dann hat
eine innen das saftige und knallrote Fleisch, wir verputzen sie umgehend. Die
nächsten Melonen sind wieder schlecht. Auf eine gute Melone kommen fünf
schlechte. Konrad zerschmettert die Melonen einfach nur noch, damit es
schneller geht. Wie eine Wildschweinherde verlassen wir die Ecke des Feldes auf
der wir gewütet haben, die Bäuche randvoll mit Melonensaft.
Konrad bezahlt seinerseits dieses Gelage mit wiederkehrenden
Magenkrämpfen und Durchfall. Das hätte man sich eigentlich denken können, dass
eine Gastroenteritis nicht von einem Tag auf den anderen verschwindet, zumal er
die Empfehlung Diät zu halten in den Wind schlug. Blauschimmelkäse zum
Frühstück, Eis und Hotdogs zum Mittag und zum Kaffeetrinken Wassermelonen ohne
Ende. Die Zeche dafür bezahlt er nun ständig mit schwerem Durchfall, für den er
sich immer tief in Maisfelder zurückzieht. Klopapier haben wir ja genug, da wir
zur Sicherheit ein paar Rollen aus dem Spukmotel mitgenommen haben. Und während
Konrad alles bereut, habe ich einen ruhigen Nachmittag. Schließlich ist er auch
bereit Loperamid-Tabletten einzunehmen, die ich ihm aus unserer Reiseapotheke
verschrieben hatte. Das tolle Gefühl, der Höhenrausch, in Griechenland zu sein,
ist aber erst einmal vorbei. In Orestiada kaufen wir Abendessen ein, für mich
Reis mit Tomatensoße und für den Patienten Konrad Salzcracker, als leicht
verdaulichen Kohlenhydraten damit sein Darm wieder zu Kräften kommt. Seit
Österreich können wir nun mal wieder mit unserer Heimatwährung, dem Euro
bezahlen und heben am ec-Geldautomaten gleich ausreichend, nicht nur für
Griechenland, sondern auch für unsere Ankunft in Deutschland ab.
Um Ruhe zu haben verlassen wir die Straße hinter dem Ort
und fahren ein paar hundert Meter einen Feldweg hinein und schlagen unser
Nachtlager am Rand eines Kartoffelackers auf. Etwas weiter versprengt eine
Bewässerungsanlage im hohen Bogen Wasser auf das Feld. Mensch, hier können wir
nicht nur wildcampen sondern auch wildduschen. Durch den triefendnassen und
tiefen Schlamm waten wir zur Openair-Dusche, es ist ja egal wie wir jetzt
aussehen, wenn wir uns sowieso gleich ausgiebig waschen können, denken sich
jeder. In diesem Moment kommt strahlend der Bauer auf seinem Traktor daher
gefahren, grüßt und freundlich und stellt die Anlage aus. Da stehen wir nun:
Verschlammt bis zu den Knien, verschwitzt vom Tage, die Hände und Arme klebend
von Melonensaft und gucken uns fragend an. Scheiße.
Zum Glück konnten wir in Orestiada das Schnäppchen eines
Sixpack Mineralwassers nicht ungenutzt vorbei ziehen lassen und kauften
insgesamt neun Liter Wasser. Acht Liter verbrauchten wir davon nun zur
abendlichen Katzenwäsche. Konrad wirft noch zwei Durchfall-Pillen ein und isst
mit mir zusammen den Reis. Die Cracker dienen uns beiden als Dessert.
Unsere Räder schwächeln auch immer mehr. In Konrads
Hinterrad haben die gebrochenen Speichen aus Belgrad und Bulgarien nun eine
Acht verursacht, so dass wir die Bremse aushängen und außer Betrieb nehmen
mussten. Meine Gangschaltung ist inzwischen soweit verbogen, dass ich nur noch
relativ hochfrequent auf den beiden kleineren Kettenblättern fahren kann. Es
wird knapp bis Istanbul, aber es ist ja auch nicht mehr weit. Drei Tage, nur
drei Tage noch, so schätzen wir ist es bis zur Megastadt am Bosporus
#27
|
Donnerstag, 11.09.2008
|
Orestiada - Soufli - Keşan (TR)
|
114,1 km
|
5:19 h
|
av.
V = 21,4 km/h
|
↗ 587 hm
|
↘ 511 hm
|
av. P = 100 W
|
16°C - 34°C, sonnig, trocken und Gegenwind
|
12 € &
24 YTL (neue Türk. Lira)
|
|
|
|
|
Trotz des harten Bodens war der Schlaf gut und die Laune
ist ebenfalls auf einem hohem Niveau, denn heute gibt ist wieder ein Feiertag.
Nicht in Griechenland und seit 9/11/2001 auch gewiss nicht in den USA, aber wir
beide werden in wenigen Kilometern den dritten Megameter, den 3.000 Kilometer,
der Radtour feiern können. Konrad geht es den Umständen seiner Krankheit
entsprechend prächtig und so radeln wir mit knurrendem Magen los.
Etwa zwanzig Kilometer später finden wir in Didymoticho
einen Lidl-Supermarkt und frühstücken am Rand des Parkplatzes gleich das so
eben erworbene. Wir können dabei ein Ehepaar beobachten, dass seine Einkäufe in
einem Auto mit deutschem Kennzeichen verstaut. Mit dem Auto nach Griechenland
fahren, kann ja jeder. Wir werden ein wenig arrogant - aber ich denke, dass hat
man sich nach vier Wochen auch verdient – bevor wir aufschrecken, weil wir an
einem Ameisenhaufen dinieren. In Didymoticho war einst auch Kaiser Barbarossa
auf seiner letzten Reise vorbeigekommen, ähnlich unserer Tour führte er sein
Heer 1189 die Donau entlang und über den Balkan, doch im Gegensatz zu uns
zerstörte er Didymoticho auf seinem Kreuzzug gegen die Muslime.
Als wir das kleine Städtchen verlassen, hält Konrad mit
seiner einen Bremse plötzlich an. Sein Hinterreifen verliert Luft, denn er hat
den ersten Platten unserer Tour. Ersatzschläuche hatten wir in genügendem
Ausmaß mitgenommen, so dass wir uns das flicken gänzlich sparen und den
kaputten Schlauch an die Leitplanke binden. Wer ihn mal sieht, könnte mir ein
Foto davon schicken. Uns kostet es eine kleine Ewigkeit, den um den Schlauch zu
wechseln, müssen wir das Fahrrad komplett entladen und alles auf die Straße
legen. Bei der Tour de France würde uns nun der Materialwagen des Teams einfach
ein komplettes neues Fahrrad hinstellen. Doch das hier ist eben nicht
Frankreich und wir sind nicht Jan Ullrich und Andreas Klöden. Der Übertäter für
den Plattfuß war im Übrigen ein scharfkantiges Metallstück was auf dem
Seitenstreifen der Straße lag und den Reifen aufschlitzte. Wie ärgerlich.
Ansonsten haben die schwalbe-Marathon-plus-Reifen nämlich alles gehalten, was
sie versprochen haben: Egal wie schlecht die Wege und Straßen waren, egal ob
kantige Steine oder spitze Dornen, sie hielten immer dicht. Doch was zu viel
ist zu viel, das Ding hätte auch einen PKW-Reifen gefährlich werden können.
Wenig später erreichen wir im Dorf Amori den dritten
Megameter, gefeiert wird an der örtlichen Tankstelle in einem kleinen Pavillon,
der für Ruhezeiten der LKW-Fahrer gedacht ist. Mit einer Dose Apfel-Fanta
stoßen wir auf den Erfolg an und machen ein paar Erinnerungsfotos von uns und
vom Kilometerstand auf dem Fahrradcomputer. Ich nutze die kleine Pause und rufe
mit dem Handy bei einem Dresdner Fahrradladen an um per Ferndiagnose ein paar
Tipps für meine Gangschaltung zu bekommen, die immer öfter von alleine die
Gänge wechselt. Man kann mir auch tatsächlich wertvolle Ratschläge geben und
nun geht es wieder etwas besser.
Unser Bild von Griechenland beschränkt sich auf diese eine
Überlandstraße auf der wir fahren und auf das, was man von ihr aus sehen kann.
Links können wir immer wieder über den kümmerlichen Grenzfluss Evros in die
Türkei schauen. Zur rechten Seite bilden sich oft bizarre Kalkfelsformationen
und Canyons, die von dichten Pinien-, Lorbeer-, und Korkeichengestrüpp bewuchert
sind. An dieser Hartlaubvegetation, mit ihren kleinen, dicken und festen
Blättern merkt man, dass man inzwischen in der Mittelmeerregion mit ihrer typischen
Vegetation angekommen ist. Photographieren kann man diese Landschaft leider
nicht, immer wieder weißen Verbotsschilde daraufhin und da zudem ständig
militärische Fahrzeugkolonen an uns vorbei brausen, akzeptieren wir sie.
Sicherlich hat all das mit der Nähe zur Türkei und dem latent vor sich hin
schwelenden Konflikt beider Statten zutun, denn die Herrschaftsverhältnisse der
Ägäis-Inseln und von Zypern sind weiterhin nicht geklärt. Wirtschaftliche und militärische Interessen stehen
auf dem Spiel. Hoffentlich entspannt sich die Situation weiterhin und man geht
aufeinander zu und nicht los. Inzwischen ist Griechenland einer der größten
Befürworter eines türkischen EU-Beitritts.
Die Stadt Soufli, durch die wir nun fahren, ist ein
weiteres Beispiel für das griechisch-türkische Miteinander des vergangen
Jahrhunderts. Einst zum Osmanischen Reich gehörend erlebte die Region ihre
Blüte als die gesamte Bevölkerung mit der Seidenproduktion beschäftigt war.
Nach der Niederlage der Osmanen im ersten Weltkrieg fiel Soufli und die gesamte
europäische Region bis zum Bosporus den Griechen zu. Das konnten die Türken
nicht auf sich sitzen lassen und so kam es sofort nach dem Ende des ersten
Weltkrieges im Jahre 1919 zum griechisch-türkisch Krieg, welcher bis 1922
andauerte. Für die Griechen kam es zur “Kleinasiatische Katastrophe“, während
die Türken ihren Sieg als Sieg im “Türkischen Befreiungskrieg“ feierten. Die
Grenzen wurden neu entlang des Evros gezogen und Thrakien geteilt. Für Soufli
bedeutet das, dass man viel Anbaufläche des für die Seidenproduktion benötigten
Maulbeerbaumes verlor und keinen schiffbaren Fluss mehr hatte, da dieser nun
Grenzfluss war. Das führte zum wirtschaftlichen Niedergang der gesamten Region.
Bemerkenswert an diesem Friedensvertrag von Lausanne, der all das regelte war
auch, dass die Muslime aus der griechischen Region in die Türkei auswandern
mussten und die Türken griechisch-orthodoxen Glaubens nach Griechenland
ausgewiesen worden. Fast zwei Millionen Menschen betraf dieser
Bevölkerungstausch um religiöse Spannungen von vorne herein zu vermeiden.
Genug Geschichte. Wir fahren immer weiter in Richtung Süden
und wundern uns dabei über die vielen kleinen modellgroßen Kirchen am
Straßenrand. Manchmal steht so eine Minikirche als exakte Kopie vor ihrem
eigentlichen Original. Was in Deutschland die Gartenzwerge sind, sind hier auf
jedem Kilometer diese Miniaturkirchen. So
fahren wir von Dorf zu Dorf bis wir etwa 25 Kilometer hinter Soufli
unsere Europastraße verlassen, denn hier nun bald wollen wir den letzten Grenzübergang
in die Türkei nehmen. Aber nicht ohne uns vorher noch mit Getränken zu
versorgen, denn hinter der Grenze gibt es zig Kilometer einfach nur Nichts und
schon erst recht keine Geldautomaten, wo man an türkisches Geld kommen könnte.
Doch es ist Mittagszeit und so haben alle Geschäfte während der Siesta zu. Auf
die Inhaber wollen wir aber auch nicht bis sonst wann warten und so fahren wir
weiter. Konrad hat dazu die Idee, dass es in der Türkei und in Griechenland
sicherlich unterschiedliche Benzinpreise gibt. Alles andere wäre ein großer Zufall.
Wenn es da nun eine Differenz gibt, führt die automatisch - wie zwischen
Deutschland und Tschechien - zu einem Tanktourismus in eines der beiden Länder.
Es wäre also schlau von einem Geschäftsmann auf einer Seite der Grenze eine
Tankstelle zubauen, die dann gewiss keine Siesta hat. Und so gab es dann auch
in Griechenland, direkt vor der Grenze einige Tankstellen, wo wir Getränke und
ein Eis einkaufen konnten. Während wir den Grenzverkehr gespannt beobachten,
kommt ein Hund groß wie ein Pony zu uns und macht uns Angst, doch alles bleibt
friedlich.
An der Grenze müssen wir erst einmal warten und uns
anstellen, dabei treffen wir einen Niederländer, der mit dem Taxi bis an die
Grenze gefahren wurde und nun zu Fuß in die Türkei möchte. Doch das wird im
verwehrt. Man braucht ein Auto oder eben ein Fahrrad und so wartet er bis ihn
ein Brummi-Fahrer mitnimmt. Hinter dem griechischem Checkpoint kommt der
Grenzstreifen, der es an dieser Grenze aber mal in sich hat: gepanzerte
Fahrzeuge stehen bereit und türkische Soldaten mit schwerer Bewaffnung bewachen
ihr Heimatland. Einen Soldaten will ich etwas fragen, doch als ich mich ihm
nähere nimmt er nervös seine Maschinenpistole in Anschlag. Ich überleg es mir
anders und fahr einfach weiter ohne zu fragen. Der Grenzfluss Evros ist
ausgetrocknet, seit Wochen kann es hier nicht mehr geregnet haben. Nun erreichen
wir der türkische Checkpoint, der sich durch eine überdimensionale Türkei-Fahne
ankündigt. Drei Mal müssen wir an unterschiedlichen Punkten unsere Pässe
vorzeigen, bis wir abschließend alle Kontrollen durchlaufen haben und endlich
in der zivilen Türkei angekommen sind. Die letzte Grenze der Tour war
gleichzeitig ohne Zweifel, die am schärfsten bewachte.
Die nächsten 30 Kilometer bis Keşan, der ersten
größeren Stadt in der Türkei, führen durch eine Steppenlandschaft. Die
Trockenheit der letzten Zeit hat alles verdorren und vertrocknen lassen.
Schnurrgerade führt die Straße durch diese Ödnis. Angeblich soll in dieser
Gegend sogar Reis angebaut werden, doch dafür müsste es erst einmal einen ganzen
Monat lang regnen. In Keşan ankommend halten wir an einem Supermarkt,
welcher an der Kreuzung der Nord-Süd und der West-Ost-Europastraße liegt.
Einmal mehr habe ich Angst unsere Fahrräder zwar angeschlossen, aber
unbeaufsichtigt, hier auf einem solchen Parkplatz abzustellen. Der Supermarkt
ist riesig groß, beim Reinkommen muss man durch einen Sicherheitsschleuse mit Metalldetektor,
genau wie am Flughafen, gehen und darf weder Waffen noch Fotoapparate bei sich
tragen. Also bleibt auch dieser am Fahrrad. Drinnen ist es angenehm kühl. Das
erste was wir hier und damit auch in der Türkei essen ist Döner. So ist endlich
auch ein Klischee eines Landes, welches man so in sich trägt, bestätigt worden.
Unsere Türkeikarte dieser Region, welche in Deutschland gar
nicht so einfach zu beschaffen war, verrät uns bei Keşan einen Zeltplatz
und dann erst einmal lange keinen mehr. Und da wir uns außerdem über den
weiteren Streckenverlauf nicht auf die schnelle einigen können, endet diese
Tagesetappe, obwohl erst Nachmittag ist, schon hier. Der Zeltplatz ist schnell
gefunden und ist ein Garten neben einer Gaststätte. Der kleine und schmächtige
Besitzer, auf dessen Auto ein Türkei- und ein Deutschlandaufkleber haften, lädt
und herzlich auf seinen winzigen Rasen ein, für den er nicht mal eine Gebühr
erhebt. Wir trinken zum Ausgleich in seiner Gaststätte zwei Bier, das typisch
türkische Efes hat er leider nicht im Angebot und so gibt’s dänisches Tuborg.
Gewaschen wird sich hinter einer Mauer und etwa fünf Minuten Fußmarsch durch
Disteln später im Stausee Kocadere Göleti.
Am Abend hören wir zum ersten Mal einen Imam der über
Lautsprecher aus einer Moschee Koranverse rezitiert. Seine Stimme wirkt
beruhigend und klingt wie ein Märchen aus tausend und einer Nacht.
#28
|
Freitag, 12.09.2008
|
Keşan - Sarköy - Uçmakdere
|
113,3 km
|
6:16 h
|
av.
V = 18,0 km/h
|
↗ 971 hm
|
↘ 1000 hm
|
av. P = 80 W
|
18°C - 36°C, sonnig, trocken, heiß
|
n.V.
|
|
|
|
|
Der neue Tag beginnt mit der Diskussion über den weiteren
Streckenverlauf, die Dinge liegen so: Von Keşan bis Istanbul sind
es auf der dicken Transitstraße 230 Kilometer, es ist die Direttissima. Die
Alternative geht nicht auf dem kürzesten Weg nach Osten, sondern erst einmal 40
Kilometer nach Süden zum Marmarameer. Von da dann immer an der Küste entlang
bis Tekirdağ, wo man unausweichlich wieder auf die grausige Transitstraße
kommt, welcher man hier bis Istanbul folgen muss. Insgesamt ein Umweg von etwa
45 Kilometern, also noch 275 Kilometer bis zum Ziel. Auf unserer Karte ist die kleine Küstenstraße
mit dem Zusatz versehen: “Picturesque Road“, wie ein Magnet zieht es mich daher
in Erwartung verschlafener Fischerdörfer, verträumter Naturstrände und einer
letzten Ruhe vor dem Sturm von Istanbul, zum Meer. Konrad, der immer mehr zum
Pragmatiker und Verfechter einer allein zielorientieren Handlungsweise wird, möchte
lieber den sprichwörtlichen Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.
Warum sollte man es sich schwerer machen, als es sowieso schon ist. 3000
Kilometer haben wir in den Beinen, zudem hat Konrad in den letzten Tagen nicht
nur gegen die Kilometer an sich, sondern auch gegen seine Durchfall-Erkrankung
angekämpft.
Wir können uns
bis zum Frühstück in Keşans Stadtzentrum nicht richtig einigen, fahren
dann aber dennoch unter Konrads Protest den Süd-Umweg und direkt ans Meer. Keşan
selbst, lernen wir erst heute kennen. Gestern Abend sind wir nur daran vorbei
gedüst und haben etwas außerhalb campiert. Wir entdecken die Moschee mit ihrer
türkisfarbenen Kuppel und den zwei Minaretten. Von hier aus hat uns also
gestern Abend der Imam in den Schlaf gesungen.
Während wir
auf einer Mauer sitzend frühstücken, verfolgen wir das morgendliche Treiben. Die
Schule scheint gerade zu beginnen, denn viele Kinder in feiner Schuluniform
laufen durch die Gassen oder fahren mit einem der vielen winzigen Mini-Busse zu
ihrem Ziel. Lieferwagen bringen dem Laden, wo auch wir uns mit allem Nötigen
versorgt hatten, frische Lebensmittel. Die Kisten stehen auf der Straße im
Verkehr, alle umfahren sie wie selbstverständlich. Gehupt wird trotzdem und
immer, selbst wenn alles läuft.
Auch wenn es
immer ein wenig schwer fällt, beginnen auch wir nun unser Tagewerk und brechen schließlich
auf. Viel Militär ist in dieser Gegend auf den Straßen unterwegs, man liest in
Reiseführern Warnungen, dass diese sehr rücksichtslos auf Radfahrer reagieren
und keinesfalls bremsen würden. Also sind wir auf der Hut. Immer noch unter
Protest erreicht Konrad den ersten richtigen Berg lange vor mir, indes mache
ich mich auf ordentlichen Tacheles gefasst, denn dass es hier gleich so hügelig
werden würde, hatten wir nicht ausgemacht, was ich aber auch wirklich nicht
wusste. Doch oben am Korudağ-“Pass“ (350 M ü. NN), strahlt Konrad über das
ganze Gesicht und auch ich verliere alle Anspannung und freue mich, denn was
wir sehen ist zum ersten Mal das Meer. Es ist eine herrliche Bucht des Ege
Denizi, des Ägäischen Meeres. Zwei kleine Inseln ragen aus den Fluten, des
Tauchparadieses Golf von Saros. Unter den strengen Augen Mustafa Kemal Atatürks,
der uns von einem Bild aus beobachtet, genehmigen wir uns in einem Restaurant
eine kühle Cola. Auch wenn die 350 Meter Höhe im Vergleich zum Balkangebirge
witzig wirken, sind wir schon ganz schön außer Atem. Vor hier aus kann man
dafür aber in Südwest-Richtung die Gallipoli-Halbinsel erkennen. Von Alexander
dem Großen, über die Großwesire des Osmanischen Reiches bis hin zum ersten
Weltkrieg diente dieser Ort allen als Ausgangspunkt oder Schauplatz für große
Schlachten. Und eben dieser Atatürk, vom Bild an der Wand des Restaurants,
begann da als siegender Befehlshaber der Schlacht von Gallipoli gegen die
Briten und Franzosen 1915 seine kometenhafte Karriere, die ihn schlussendlich
zum türkischen Volksheld und als Begründer und Präsidenten der modernen Türkei auch
weltbekannt machte. Die Cola zahle ich mit Geldnoten die sein Konterfei zeigen.
Wir fahren nun
auf einer schurgeraden Straße hinab ans Meer. Die Füße hineinstellen oder baden
können wir aber nicht, da es keinen Strand oder Meereszugang gibt. Eine Sumpf-
und Schilflandschaft breitet sich im Tal aus. Es ist ein Paradies für Vögel,
die hier zu Tausenden Zwischenstation auf ihrem langen Weg nach Afrika
einlegen. Auch Weißstörche waten auf der Suche nach saftigen Fröschen durch das
Schilf. Vielleicht kommt einer von ihnen ja auch aus Sachsen oder dem
Spreewald.
Im Örtchen
Kavak am Ende des Sumpfgebietes können wir uns zum letzten Mal auf der
Landkarte lokalisieren. Wie wir dann die nächsten Stunden verbracht haben,
erschließt sich mir bis heute nicht. Denn entweder war die Karte vollkommen
falsch oder die Landschaft hat sich seit dem Druck der Karte 1994 grundlegend
verändert. Es ging so los, dass wir die Straße nun verlassen mussten, da wir ja
nicht auf die Gallipoli-Halbinsel drauf und in eine Sackgasse fahren wollten.
Zwischen dem Ägäischen Meer und dem Marmarameer sind es hier, am Beginn der
trennenden Halbinsel, nur fünf Kilometer Luftlinie. Doch vom Anfang an führen
die Straßen nicht in die Dörfer, die es auf der Karte gibt. Zu erst quälen wir
uns an Bunkern vorbei einen Berg hinauf, kein Mensch ist zusehen, oben
angekommen steht mitten auf dem Weg ein Tor. Soldaten kommen angefahren und
weißen uns daraufhin, dass das ein militärisches Sperrgebiet ist. Ja so sieht
es auch aus. Den Versuch zu fragen, ob wir nicht dennoch hier langfahren
dürfen, hätte ich mir auch sparen können. Zurück zum Ausgangspunkt also und die
andere Straße nehmen, diese verliert schnell ihren Asphalt und ist nur noch
eine Schotterpiste. Wir durchfahren ein kleines Dorf, auf der Karte ist es
nicht zu finden und auch kein Mensch ist zu sehen, der uns weiter helfen
könnte. Hinter dem Dorf endet die Zivilisation, wie wir sie kennen und es
beginnt die Wildnis. Denn zwei Stunden lang begegnet uns kein Mensch, die fünf
Kilometer sind längst drei, vier und fünffach überschritten. Kein Marmarameer
ist zusehen, nur der Schotterweg und rotbrauner Boden und die vertrocknete
Landschaft. Es geht bergauf und hinab, teilweise fahren wir am Stacheldraht des
Militärischen Sperrgebietes entlang. Auf der linken Seite, werden die Berge
immer höher. In einer Senke mache ich kurz halt und warte auf Konrad, denn auf
den Hügeln um uns herum haben sich wilde Hunde versammelt. Sowohl zur rechten,
als auch zur linken Seite stehen sie da, wie Indianer, die gleich losschlagen
wollen. Es ist totenstille. Keiner von den etwa zehn Hunden bellt oder heult.
Sie sind gut 200 oder 300 Meter von uns entfernt, stehen da am Rand des Dickichts
und beobachten uns. Darauf zu hoffen, dass gleich ein Mensch vorbei kommt und
sie zurück pfeift, brauchen wir hier nicht. Sie würden wohl auch keinem
Menschen hörig sein. Wir stehen da und rühren uns nicht, sie stehen da und
haben uns umzingelt. Wir bewaffnen uns mit dem was wir haben: Der Eisenkette
und dem Pfefferspray, viel lieber hätte ich hier aber jetzt gerne einen Panzer
oder zumindest eine Ritterrüstung. Konrad fährt langsam weiter, ich möchte ihn
vor mir wissen, wenn es in den finalen Sprint geht. Kaum haben wir uns in
Bewegung gesetzt, ist dass das Signal woraufhin die Hunde losstürmen und
angreifen. Von allen Seiten stürzen sie wild kläffend zu uns herab. Beide
treten wir mit allen Kräften die wir mobilisieren können und unterstützt durch
eine ordentliche Ladung Adrenalin in die Pedale. Die Räder knallen über den
Schotter und das Geröll, für uns gibt es jetzt kein morgen und auch kein in
einer Stunde, allein diese Flucht zählt. Im Tunnelblick nur noch die nächste
Hügelkuppe, nach der es hoffentlich hinab in ein Tal und in Sicherheit geht. Hinter
mir kommen die Hunde immer näher ich kann sie hören und fühlen. Ich wage einen
Blick zurück, nicht eine Hand lass ich vom Lenker los, die Gefahr bei diesem
Tempo und auf dieser Piste zu stürzen ist zu groß. Was ich sehe sind sechs
Hunde, die fast schon auf meinem Gepäckträger sitzen. Zwei Große versuchen
immer wieder einen Angriffspunkt zu finden, scheitern aber vorerst an den
dicken Gepäckträgertaschen, dem einzige Schutz meiner Waden. Als sie mich endgültig
eingeholt haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als volles Risiko zu gehen
und aus voller Fahrt eine Hand vom Lenker zu nehmen und mit dem Pfefferspray
zurückzuschlagen. Dieses vier Zentimeter kleine Sprühdose ist alles was ich
habe.
Geil! Den ersten
Großen treffe ich auf Anhieb im Gesicht, wimmernd dreht er ab und fliegt auf
seine Schnauze. Auch zwei weitere bleiben in den nächsten Momenten irritiert
stehen. Jetzt bloß nicht selbst auch noch hinfliegen, denke ich mir und
umgreife wieder mit beiden Händen den Lenker um die Sicherheit über mein
Fahrrad zurückzugewinnen, doch das Spray hört nicht auf zu sprühen. Und so
versprüht es sein Inhalt in die Luft und durch den Fahrtwind auch in mein
Gesicht, in meine Augen und auf meine Lippen. Alles brennt furchtbar, meine
Augenlider krampfen sich augenblicklich zu und tränen. Stur fahre ich weiter,
die Hunde müssen ja nicht unbedingt von meinem Fauxpas wissen. Ich höre sie
nicht mehr und da Konrad inzwischen eingeholt ist und die Gefahr vorbei zu sein
scheint, halten wir an. Stille. Keine Hunde. Schnell wasche ich mit allem
Wasser was wir haben, die Augen und Lippen aus, immer noch brennt es wie die
Hölle. So krass hatte ich mir Pfefferspray nicht vorgestellt. Wir sitzen eine
Weile am Rand des Weges und ruhen uns von dem Schrecken aus. Das hätte hier
auch schnell schief aus gehen können. Und was wäre dann passiert? Was wäre,
wenn einer gestürzt wäre? Hätten die Hunde uns aufgefressen? Aus der Distanz
von Deutschland aus klingt es übertrieben, aber dort in der Türkei, auf einem
Flecken Erde, der nicht mal in Karten verzeichnet ist, und wo Hunde keinen
haben der sie brav füttert, da könnte ich mir zumindest vorstellen, dass sie es
versucht hätten. Es war der letzte Hundeangriff auf unserer Tour von Dresden
nach Istanbul, es war eine letzte Prüfung und Hürde. Der finale Akt.
Wenig später
erkennen wir am Horizont wieder das Meer. Dieses Mal ist es das Marmarameer,
was sich im tiefen blau vom braun der dürren Landschaft abhebt. Nur noch da runter, nur noch ans Meer und
dann muss diese Ödnis ja ein Ende haben, sagen wir uns und suchen den Weg. Doch
so einfach ist es nicht, die Wege führen nicht hinab, sondern wirren sich hier
oben durch die Gegend. Bald verlassen wir die Wege gänzlich und fahren auf dem
vertrockneten Boden zu Häusern, zur Zivilisation, die wir ausgemacht haben. Doch auch Häuser
versprechen keine Menschen. Müssen wir lernen. Viel mehr scheint hier eine
Immobilienblase geplatzt zu sein. Ein ganzes Feriendorf ist im Rohbau
eingeschlafen und nun holt sich die spärliche Natur ihren Besitz zurück.
Endlich wieder Asphalt unter den Rädern habend, fahren wir durch das Dorf. Kaum
ein Haus ist wirklich fertig und bewohnbar. Alle sind weggegangen. Vielleicht
haben auch immer wieder malträtierende Hundebanden das Dorf heimgesucht und
alle Bewohner aufgefressen? Gut vorstellbar.
Wir suchen uns
einen Weg zum Meer und finden ihn schließlich auch. Direkt am Ufer ist ein
Laden, der noch nicht aufgegeben wurde und wo wir wieder Wasser und andere
Getränke nachkaufen können. Still wählen wir aus, was wir brauchen. Der Mann an
der Kasse schaut uns an und beginnt, als wir bezahlen wollen, zu sprechen. Ich
kann kein Türkisch. Konrad kann kein Türkisch und dieser Mann kann ganz gewiss
auch kein Türkisch. Denn auch wenn wir nur einige wenige Wörter kennen, so
kennen wir doch den Klang dieser Sprache ziemlich gut. Er spricht in
Knacklauten, tief aus seiner Kehle kommen Geräusche komplett ohne Stimme. Wir
geben staunend einen Atatürk-Geldschein hin, doch er redet weiter und weiter.
Unsere Gesten müssten in der ganzen Welt als
wir-haben-keine-Ahnung-was-sie-uns-sagen-wollen verstanden werden, doch er
knackst unentwegt weiter. Zum Glück, kommt ein Junge in den Laden, schiebt den
Mann beiseite und kassiert uns ab. Wir setzen uns auf eine Bank am Meer,
genießen die eisgekühlten Getränke und fragen uns dabei immer noch, was das
eben in dem Laden war, was das für ein ausgestorbenes Nest ist und wo, zur
Hölle, wir überhaupt sind.
Letzteres
versuche ich von einem älteren, türkischen Ehepaar direkt eine Bank weiter zu
erfragen. Lange studieren sie bedenklich die Landkarte und tippen dann unsicher
auf Sarköy. Sarköy? Ganz sicher nicht! Denn Sarköy soll einen Hafen, eine
Polizeistation, ein Krankenhaus, ein Postamt, eine Tankstelle, drei Campingplätze
und ganz fundamental auch Straßen, die den Ort mit der Außenwelt verbinden,
haben. Nichts davon ist hier vorhanden. Das umherirren in dieser Gegend geht
noch eine ganze Weile so weiter, eine Küstenstraße will sich partout nicht vor
uns auftun. Schlussendlich müssen wir wieder von der Küste fort ins bergige
Hinterland fahren, zwar sind wir jetzt wieder unter Menschen, kommen dabei aber
nicht so richtig vorwärts. Das lässt sich auch statistisch belegen, denn unsere
Durchschnittsgeschwindigkeit war seit dem sechsten Tag unserer Tour nicht mehr
so niedrig, damals aber – es sei nochmal in Erinnerung gerufen – bin ich auch
mit einem gebrochenem Tretlager durch Südböhmen gegurkt.
Inzwischen
sind wir aber wieder auf Asphalt unterwegs und müssen daher nicht so viel Kraft
in das ewige Hin und Her zwischen Küste und Dörfern im unmittelbaren Hinterland
aufwenden. Innerhalb weniger hundert Meter kann sich dabei die Landschaft
grundsätzlich ändern. Am Meer sieht es aus, wie an jedem Meer auf dieser Welt
eben aussieht: Strand und Häuser. Weiter entfernt sind da diese roten Felsen und
kleine, trübe Seen dazwischen in den Schluchten. Auf dem Marmarameer sieht man
viele große Tanker, die auf dem Weg zum Bosporus und zum Schwarzen Meer sind.
Ein paar Mal geht es noch steil an die Küste zurück und einmal auch wahnwitzig
steil wieder hinauf in die Marslandschaft, so dass man fast, aber nur fast,
absteigen und schieben muss. Dann sind wir wieder auf der Erde angekommen, eine
normale Stadt mit normaler Infrastruktur erwartet uns: Sarköy. Das Umherirren
hat nun ein Ende. Karte und Realität stimmen wieder miteinander überein und
eine Straße geht, wie es sich gehört, an der Küste entlang. Auch die Tankstelle
ist da und wir nutzen sie zur Erleichterung.
Als ich
wiederkomme führt Konrad Smalltalk mit den Einheimischen. Was Aufgrund der
Sprachbarriere eigentlich unmöglich sein musste. Doch der eine Türke, er ist in
seinem besten Jahren, spricht fließend
deutsch, lebte viele Jahre in Deutschland, ging da zu Schule und wuchs dort auf. Er berichtet Konrad von der
aktuellen Trockenperiode, die uns auch schon allerorts aufgefallen war. Konrad
erzählt ihm von der Radreise und beantwortet die Frage, wie ihm die Türkei
gefalle, mit großem Heimweh nach Deutschland. Der Türke erzählt daraufhin eine
Anekdote aus seiner Schulzeit in Deutschland: Der Lehrer habe ihn gefragt, was
schöner sei: Deutschland oder die Türkei. Er antwortete damals, obwohl er in
Deutschland schon sein ganzes Leben lebte: „Natürlich die Türkei“. Der Lehrer
war verwundert, darauf gab der Türke: „Es ist doch die Heimat.“ Und da hat er
so sehr Recht. So viel schönes haben wir auf unserer Reise gesehen, so viele
nette Menschen sind uns begegnet, aber niemals würden Konrad oder ich
Deutschland den Rücken kehren, denn da ist es am allerschönsten auf der Welt.
Nur merkt man das erst, wenn man einige Zeit nicht mehr da war und aus der
Ferne dann zurückdenkt an die Heimat. An Sachsen. An Dresden. An Zuhause.
Wir fahren nun
die Küstenstraße recht idyllisch entlang und passieren dabei die Orte Mürefte
und Güzelköy, wieder liegen sie anders als auf der Karte verzeichnet, aber dank
des Meeres und der Straße und der Menschen kann man sich nicht mehr verirren. Am
Wegesrand entdecken wir nun immer öfter Feigen- und Olivenbäume. Überhaupt ist
es hier in der abendlichen Stimmung jetzt so wie es mir vorgestellt hatte.
Ruhig radeln wir dahin, rechts das Meer und links die immer steiler und höher
werdenden Felsen. Einzig wird die Stimmung dadurch gestört, dass Konrad wieder
seinen Reisedurchfall aus Bulgarien bekommen hat und auch ich inzwischen in
jedem Ort die Örtlichkeiten für einige Zeit aufsuchen muss. Wir wollen daher schnellstmöglich
den Tag auf dem Rad für beendet erklären und suchen einen Zeltplatz.
Inzwischen hat
sich aber die Struktur der Landschaft in soweit verändert, dass direkt neben
der Straße das Meer beginnt und auf der anderen Seite die steile Felswand
sofort da ist. Gut auf einem schmalen Streifen Geröll könnte man zwar
campieren, aber doch bitte nur im aller äußersten Notfall. Wir schlängeln uns
um Kurve und Kurve weiter die Küstenstraße entlang und haben schon fast die
Hoffnung aufgegeben, irgendetwas Annehmbares zu finden, als wir schließlich ein
paar Bäume erspähen. Beim näherkommen sind es nicht nur Bäume, sondern eine
vielleicht zweihundert Meter breite Schlucht in den Felsen, auf deren Grund ein
paar Häuser gebaut sind und sogar ein Campingplatz ist hier plötzlich
ausgeschildert. Eine kleine Oase am Meer. Sogar ein Restaurant gibt es hier.
Wir fragen ob wir das Zelt aufstellen dürfen und man weißt uns einen Platz
zwischen verknurrten Bäumen, auf spärliche bewachsenem Grund, direkt am Meer
zu. Ein Klo ohne Klopapier gibt es auch. Duschen aber nicht. Wir wollen wissen,
was der Mann für die Nacht haben will und erwarten wie gestern Abend auch, ein
Abwinken, worauf wir dann ein oder zwei Bier bestellt hätten und Quitt wären.
Doch er meint, dass der Besitzer ungefähr 20 türkische Lira, also 10 Euro,
verlangen könnte. Komisch. Warum nur so ungefähr und warum hat der Besitzer
dieses Minizeltplatzes auch noch einen Sprecher der für ihn die Verhandlungen
führt? Wir wittern etwas in der Luft und fragen, ob dass hier wirklich der
ausgeschilderte Zeltplatz sei. Der Mann meint, es gebe um die Ecke noch einen
Zeltplatz, ihm sei egal, wenn wir dorthin gehen würden. Wir prüfen es. Einen
weiteren Minizeltplatz, mit ähnlicher spärlicher Ausstattung, finden wir vor.
Der Preis? 20 türkische Lira. Ein Preiskartell! So wird das nichts mit dem
EU-Beitritt der Türkei.
Wir gehen
wieder zurück und bauen unser Zelt bei dem Sprecher des ersten Zeltplatzes auf.
Der Untergrund ist zwar steinhart, aber die Lage ist echt schön. Direkt am
Meer, geschützt unter Bäumen. Im
örtlichen Restaurant sitzt wieder der Sprecher und als wir ihn nach Preisen für
Speisen oder Getränke hier fragen, faselt er weiter nur so undurchsichtiges
Zeug: Er müsse erst jemanden fragen, wir sollen aber schon mal bestellen.
Äußerst dubiös. Das geringste Risiko ist in unseren Augen eine Melone, die wir
da rumliegen sehen. Der Preis? Muss erst erfragt werden. Als wir sie gegessen
haben und nichts Weiteres bestellen wollen, kostet sie wie alles hier, 20
türkische Lira. 10 Euro für ‘ne Melone die er hier bestimmt irgendwo nur aus seinem
Garten gepflückt hat. Wir fühlen uns übers Ohr gehauen und ziehen uns zum Zelt
zurück. Wir sind einem Monopolisten aufgesessen, der zwei kleine Flächen Land
als Zeltplätze deklariert hat um den Schein eines freien Konkurrenzmarktes zu
waren. Wie MediaMarkt und Saturn, die beide zum Metrokonzern gehören und
dennoch so tun, als ob sie beide einen brutalen Preiskampf gegeneinander führen
würden. Hier kommt nun noch erschwerend hinzu, dass auch das Restaurant, als
einzige Nahungsbeschaffungsstelle im Ort,
in der Hand des Monopolisten von Uçmakdere ist, welcher für alle seiner Leistungen
den Einheitspreis von 20 türkischen Lira verlangt. Die kann er sich gerne
morgen früh abholen. Oder er schickt seinen Sprecher, vermutlich auch nur eine
Personalunion, aber wir werden nicht auf ihn warten. Wenn wir morgen früh alles
abgebaut und verstaut haben, fahren wir los. Und morgen früh werden wir unser
Zelt sehr, sehr, sehr leise abbauen und wir werden auch sehr, sehr, sehr früh
los fahren, dass steht fest.
Wir setzen uns
am Abend noch eine Weile ans Meer, praktischer Weise stehen da nämlich ein
Tisch und zwei Stühle, und warten bis die Sonne untergegangen und es
stockfinster geworden ist. Das Meer rauscht leise über die Kieselsteine des
Strandes. Man sieht die Lichter einer Insel und der großen Containerschiffe die
am Horizont vor Anker liegen. Der Mond steht hoch über uns und die Sterne erwachen
langsam. Was war das heute für ein merkwürdiger Tag.
#29
|
Sonnabend, 13.09.2008
|
Uçmakdere - Tekirdag – Kumburgaz
|
126,7km
|
7:09 h
|
av.
V = 17,7 km/h
|
↗ 1336 hm
|
↘ 1324 hm
|
av. P = 100 W
|
24°C - 28°C, bewölkt, ab Nachmittag heiter
|
n.V.
|
|
|
|
|
Einem
hochpräzisem Spezialkommando gleich, packen wir blitzschnell und lautlos unser
Lager zusammen und schieben die beladenen Fahrräder zurück auf die Straße,
springen auf und knallen los. Es ist gegen 7 Uhr. Die kleine Siedlung des
Monopolisten haben wir im Nu hinter uns gelassen und freuen uns diebisch, dass
wir nun die sind, die am Ende lachen. Die 20 Yitel - so nennen wir die
türkischen Lira auf Grund ihrer Abkürzung YTL liebevoll - für die Nacht haben
wir gespart. Unsere Straße führt uns nun vom Meer weg und bei leichtem Anstieg
in das grüne Tal hinein, welches zwischen den schroffen Felsen entstanden ist.
Direkt an der Küste wäre es nicht weitergegangen, weil die Steilküste, wie der
Name schon sagt, steil ab bis ins Meer hinein fällt und nicht einmal Raum für
einen Weg lässt. Am Rande der Straßen wachsen wieder Feigenbäume und heute
tragen sie auch endlich reichlich reife Früchte. Ich komme an Feigen nicht
heran, aber Konrad schlägt sich erst einmal richtig den Wanzt mit diesen
Früchten voll.
Nach nur etwa
ein bis zwei Kilometern erreichen wir am Ende des Tales den eigentlichen Ort Uçmakdere.
Unsere Nacht hatten wir quasi nur an dem Küstenvorposten des Dorfes verbracht,
welches dann aber auch nicht viel größer ist. Ein paar Häuser mehr stehen hier,
einige davon auch uralt und aus Holz, sowie einen kleiner Laden, mehr finden
wir nicht vor. Die alten Männer des Dorfes sitzen auf einer Bank am Straßenrand,
beobachten unsere Ankunft und rauchen sich die Lunge frei. Unser Blick fällt
auf eine schmale Straße, die sich steil am Rand des Berges hinaufzieht. Ein
kleines Wunder ist es schon, dass sich dort und bis hoch der Platz dafür
gefunden hat. Ein Auto kommt zügig darauf ins Tal gebrettert und wirbelt eine
große Staubwolke hinter sich auf. Unsere Angst, dass es ein Schwager des
geprellten Zeltplatzbesitzers ist, der nun gerufen wurde uns zu suchen,
verfliegt schnell als er sich nicht für uns interessiert, sondern seinen Platz
bei den anderen Männern einnimmt und eine ganz ruhige Kugel schiebt.
Nachdem Frühstück
will es unser Karma eben so, dass wir alternativlos die Schotterpiste hinauf
müssen, aus der eben der Wagen hinab geklappert kam. Frühmorgendlich ist der
Körper von der Nacht auf dem harten Untergrund noch eingerostet und das
Marmeladenbrötchen noch nicht verdaut und in Wadenenergie umgewandelt worden
und so fällt es schwer die Aussicht auf die urwüchsige Landschaft zu genießen.
In langgezogenen Serpentinen geht es auf dem Schotterweg hochhinaus, begleitet
werden wir nur von der Stromleitung, welche das Dorf mit der restlichen
Zivilisation in Verbindung hält. Einmal kreuzen wir auch den Weg einer
Ziegenherde die auf einem nur ihnen bekannten Pfad vom Meer hinauf kommen und
nun klaglos weiter ziehen. Uns ist ganz anders zu Mute: Teilweise weißt unsere
Piste solche Steigungen auf, dass das Hinterrad des Fahrrades trotz der
schweren Gepäckträgertaschen durchdreht und wir nicht weiterkommen. Flüche
hallen durch die einsame Landschaft zwischen Bergen und Meer. Serpentine um
Serpentine geht es langsam hinauf. Die Luft ist diesig, der Horizont des Meeres
ist unscharf und verschwimmt mit dem Himmel. Es ist durchaus nicht unangenehm,
denn sengende Hitze würde die Sache hier und heute nicht leichter machen. Die
Reifen knirschen über die groben Steine. Der Fahrradcomputer zeigt
Geschwindigkeiten im einstelligen Bereich an, nur der Höhenmesser scheint
unsere Leistung zu honorieren: 400 Meter sind wir nun schon über dem Meer.
Manchmal geht es direkt neben der losen Piste hunderte Meter hinab in karge
Schluchten, zerschellte Autowracks zeigen, dass man sich eher nicht im
Grenzbereich der Geschwindigkeit bewegen sollte, aber wie gesagt: wir bleiben
einstellig und zwar deutlich.
Hinter jeder
Kurve erhoffen wir irgendetwas zusehen, was uns Freude macht: Eine
Asphaltstraße vielleicht oder ein Dorf oder auch nur ein Schild, welches uns
sagt, dass wir noch richtig sind und dass das alles hier Sinn macht. Hin und
wieder erinnert mich Konrad an unsere Diskussion von gestern morgen, in welcher
wir den weiteren Tourverlauf thematisierten. So mühsam und zäh hatte ich es tatsächlich
nicht erwartet, denn schon bald ist es Mittag und wir sind auf der Karte immer
noch zwischen unserem Startort und dem nächsten Dorf. Wer weiß wo wir jetzt
fahren würden, wenn wir gestern der direkten Transitstraße gefolgt wären. Mit
Sicherheit wäre Istanbul deutlich greifbarer, als hier und jetzt in dieser
Pampa. Auf der anderen Seite hat diese
Gegend aber auch einen Charme und einen Reiz, den man ihr nicht abschreiben
darf. Denn ständig fällt der Blick auf das blaue Meer, welches sich vom
verstaubten Braun der Landmasse abhebt. Links und rechts der Piste ist
unwegbares Gelände und immer wieder kann man etwas entdecken, wie zum Beispiel
einen kleinen Canyon der in regenreicheren Jahreszeiten als Abfluss zum Meer
dient oder einer Quelle die in ein Becken in Badewannenform fließt. Außerdem
kommen nur sehr selten andere Verkehrsteilnehmer diese Piste entlang und wir
haben ansonsten Ruhe.
Irgendwann
erreichen wir Yeniköy, das zweite Dorf des Tages, welches geschützt in einer
Senke liegt in der auch Grünes wächst. Die Häuser sind verschlafen und
verwinkelt in die bergige Landschaft gebaut, sie haben kleine Gärten und Tiere.
Einen Laden finden wir keinen. Ein paar mal geht es noch kurz auf und ab durchs
bergige Hinterland, dann ist die Straße endlich wieder mit einem festen
Asphaltband bezogen und führt in einer waldigen Abfahrt hinab ans Meer. Einmal
noch begegnen wir einem Hund, bereiten uns mit Eisenkette und Pfefferspray fast
schon routinemäßig auf dieses Aufeinandertreffen mit ihm vor. Als wir dann aber
laut schreiend auf ihn zu stürzen, springt er über ein Mäuerchen davon und
sucht das Weite. Er wird sich gewundert haben, was hier gerade vor sich ging,
mit soviel Aggressivität ist ihm wohl noch niemand über den Weg gelaufen. Aber
bei Hunden muss man – und wenn wir nur eine Lehre aus dieser Reise ziehen
sollten – immer tierisch aufpassen und immer von der bösesten Bestie ausgehen.
Die Abfahrt
führt uns zurück ans Meer und in den Küstenort Kumbağ. In Kumbağ
fühlt man sich wieder wie in der Realität und zurück in der Welt wie man sie
kennt. Ein Städtchen mit allen drum und dran, wie es überall in Südeuropa am
Meer stehen könnte. Ein kleiner Fischereihafen ist da, ansonsten ein schöner
Sandstrand und ansonsten hauptsächlich Zweckbauten. Erwähnenswert sind
vielleicht die alten Holzhäuser, die typisch für diese Gegend sind oder besser:
lange vor unserer Zeit typisch waren. Jetzt findet man sie noch vereinzelt,
aber eigentlich nur im verfallenen Zustand. Dennoch kann man sich mit ein wenig
Phantasie vorstellen, wie es hier vor einhundert Jahren ausgesehen haben
könnte. In einer Zeit, in der hier das Osmanische Reich begann und bis Ägypten
reichte. Jeder Ort war weitestgehend für sich allein und nur umständlich über
den Landweg zu erreichen. Man hat das Gefühl die Megastadt Istanbul zieht seit
je her alle Aufmerksamkeit auf sich, so dass kleine Städte in der “Nähe“ gar
nicht erst versuchen, Besonderheiten zu entwickeln und sich selbst in den Fokus
stellen. Egal ob Kumbağ, Barbaros oder Tekirdağ - wie die folgenden
Städte, die wir an der Küste durchfuhren hießen – eine Stadt gleicht der
nächsten und keine bleibt groß in der Erinnerung hängen und dabei ist
letztgenannte über 100.000 Einwohner groß. Wir kommen von nun an zwar hügelig,
aber dennoch zügig vorwärts. Verfahren wäre ein Ding der Unmöglichkeit, weil
die Straße die Küstenorte recht direkt verbindet.
In Tekirdağ treffen wir auf die Transitstraße aus Keşan
und folgen ihr ostwärts. Der Verkehr nimmt deutlich zu, wir fahren in den Orten
auf Gehwegen und außerhalb auf dem Standstreifen, so dicht wie möglich an der
Leitplanke. Die Rahmenbedingungen für die Fahrt am Marmarameer entlang, sind
alles andere als schön: die Luft ist erfüllt mit Abgasen, die nur wenig Platz für
Sauerstoffmoleküle zulassen, es ist laut und hektisch, monotoner und endloser
Verkehr rattert an unserer rechten Seite vorbei, Müll liegt am Rand der Straße
und dem Brachland bis hin zu den ersten Grundstücken, auf denen aber auch nur
selten Grünes wächst. Wozu auch? Wir haben das Gefühl, dass das
Bruttoinlandsprodukt der Türkei komplett am Rande dieser Straße erwirtschaftet und
gleich wegtransportiert wird. Und dennoch sind wir guter Dinge, wir verspüren
beide eine unheimliche Kraft, die uns voran treibt. Die Zahl der
Kilometerangaben bis Istanbul, die uns ständig die blauen Schilder anzeigen,
sinkt stetig. In Tekirdağ sind es
noch 150 Kilometer bis zum Ziel, ein halbe Stunde später sind es nur noch 135
Kilometer, im nächsten Ort sinkt die Zahl auf 130 Kilometer. Wie Eis in der
Sonne schmilzt die Zahl. Wir sind auf der Zielgeraden und nichts und niemand
und erstrecht keine Hügel kann uns jetzt mehr aufhalten. Selbst das permanente
und wohl obligatorische Hupen der motorisierten Verkehrsteilnehmer wird von den
Endorphinen in Fanfaren umgedeutet. Im Kopf beginnen nun Rechenspielchen, die
an den Physikunterreicht der sechsten Klasse erinnern:
Wenn ich konstant 25 Kilometer pro Stunde
fahren würde, was man im Moment als realistisch einzuschätzen ist, bräuchten
wir noch: (130 geteilt durch 25) Stunden. Das sind dann also fünf Stunden und
5/25*60 Minuten… ach hätte mein Fahrradcomputer doch neben seinen unzähligen
Funktionen, auch noch eine Taschenrechnerfunktion … 12 Minuten, es wären noch 5
Stunden und 12 Minuten. Vier Wochen sind wir bis hierher unterwegs gewesen und
nun sind es nur noch läppische fünf Stunden und winzige zwölf Minuten reiner
Fahrradfahrzeit bis das Ende von Europa aus eigener Muskelkraft heraus
erreicht ist. Der Gedanke ist noch unvorstellbar,
aber traumhaft schön. Gerade ist es 13
Uhr, wir würden also noch vor Sonnenuntergang in Istanbul ankommen, wenn wir
einfach nur die gesamte Zeit eisern wie eine Dampflok durchtreten. Was seh‘ ich
da? Ein blaues Schild! Konrad erkennt die weiße Zahlen immer viel eher als ich:
„128“ ruft er, einem Countdown gleich. 128 Kilometer bis Istanbul. Und wieder
geht es im Kopf los: 128 geteilt durch 25 sind… und so weiter. Zum Glück reicht
es uns in dieser Modellrechnung, dass wir davon ausgehen können, dass keiner
niemals bremst oder bergab schneller wird. Beschleunigungen, vielleicht auch
noch ungleichmäßige, gehen hier jetzt nicht zu berechnen. Man muss sich auf die
Sechstklassenphysik beschränken und merkt dabei, dass man eben doch fürs Leben
und nicht für seine Lehrer, Eltern oder Noten lernt. Zumindest im
Physikunterreicht der sechsten Klasse.
Ja, im Geiste
haben wir nun die hinreichend begründete Hoffnung, dass wir heute Abend noch bis
nach Istanbul kommen. Man muss es ja nicht bis in die Blaue Moschee schaffen. Es
reicht ja, wenn man am Rande der Stadt einen Zeltplatz findet, wo das Lager
aufschlagen werden kann und um dann seelenruhig mit der Gewissheit einzuschlafen,
dass man es endlich geschafft hat. Am nächsten Tage schlendert man dann
gemütlich wie ein Pauschaltourist in die nächste Straßenbahn und dreht bequem
seine Sightseeing-Runden. Denn der Gedanke, dass man als schutzloser Radfahrer
in diesem wahnsinnigen Verkehr bis ins Herz der Weltstadt hineinstoßen soll,
ist schlicht nicht vorstellbar. Es soll schon Radreisende gegeben haben, welche
sich die letzten zweihundert Kilometer komplett geschenkt haben und im Bus den
Abschluss dieser langen und überwiegend grandiosen Reise fanden. Das wollen wir
wahrlich nicht, aber diese Exit-Strategie, so unglaublich sie aus der Ferne
auch scheinen mag, wird verständlich, wenn immer wieder unerwartet von rechts
eine mehrspurige Zufahrt den Standstreifen – und unsere Schutzzone - durchdringt und jäh beendet und wir somit
plötzlich im Rausch des Verkehres hilflos umzingelt sind. Tonnenschwere
Sattelzüge knallen links und rechts vorbei, PKWs wechseln blitzschnell in jede
freie ihnen sich bietende Lücke, wild wird von allen Seiten gehupt und keine
Sekunde hat man die Zeit innezuhalten um aus diesem ständigen Strom
auszusteigen. Einmal macht sich ein Spaßvogel auf einem Beifahrersitz einen Jux
und kickt mit seinem Fuß aus dem geöffnetem Fenster nach Konrads Kopf. Auch
wenn er ihn nicht trifft und hoffentlich auch nicht treffen wollte, sitzt der Schreck
tief in den Knochen. Man, was soll die Scheiße? Ich muss nicht erwähnen, dass
wir auf diesem Teilstück der Strecke ständig die Helme trugen, auch wenn der
Wind in den Haaren die einzig verbliebene Freude war. Die Helme fuhren wir zu 95
Prozent der Tour, auf unser Gepäck geschnallt, einfach spazieren. Aufgesetzt
haben wir sie eigentlich nur, wenn es in rauschende Abfahrten ging, zum
Beispiel am Troyan-Pass oder wir im Verkehr einer Großstadt, wie hier die
schwächsten Teilnehmer waren. Leider
verschwindet das Auto mit dem Übeltäter schnell im Verkehr und so muss die Wut
innerlich verpuffen. Fast, den als kurze Zeit später Konrad am Rand stehend von
einem Auto angehupt wird, obwohl er sich schon wirklich so weit wie Möglich an
die Leitplanke gedrückt hat, brüllt er den Autofahrer zusammen. Dieser indes
weiß nicht wie im geschieht, da er eigentlich nur helfen wollte, wie sich
später herausstellt. Gut und Böse sind dicht beieinander und nicht voneinander
zu unterscheiden und so sind Kollateralschäden eben nicht zu vermeiden. Sorry.
Als wieder
einmal ein blaues Schild die Entfernung nach Istanbul auf nur noch 85 Kilometer
schätzt, beschließen wir uns eine Auszeit zu gönnen. Es ist schon 15 Uhr und
wir haben mächtigen Kohldampf und außerdem wollen wir dem ganzen Chaos einfach
mal entfliehen. In Marmaraereğlisi, einem Fischerei und Tourismusort,
fahren wir ab und setzen uns an der Uferpromenade in ein Restaurant und
speisen. Irgendwie haben wir das Gefühl, dass wir uns nun schon genügend gemüht
haben und nun mal andere für uns arbeiten können. Dem Kellner des Ladens
erstellen wir der Einfachheit halber einen Freischein: Er soll uns einfach
irgendwas bringen. Ob das eine gute Idee war, wird sich später herausstellen.
Jetzt sitzen wir einfach mal da, auf Stühlen, trinken Wasser aus Gläsern,
genießen den Augenblick des Nichtstuns und nebenbei stöbern wir im
Istanbul-Reiseführer.
Irgendwie
haben wir uns auf die Ankunft kaum vorbereitet. In vier Tagen erst geht unser
gebuchter Rückflug und was wir bis dahin machen und unternehmen, ist noch
völlig Ungewiss. Wir erfahren so, dass das Netz des öffentlichen
Personennahverkehrs in dieser Stadt recht kompliziert ist: Es gibt keine flächendeckendes
Straßen- oder U-Bahn. Vielmehr muss man diese noch mit Minibussen, Sammeltaxis,
Fähren und Vorortbahnen kombinieren. Was
durchaus eine Herausforderung darstellt, da man wohl kaum Pläne des Netzes
vorfindet. Nun ja, wir werden es erleben. Als nächstes versuchen wir ein paar
Worte Türkisch aus dem Anhang des Buches zu lernen. Den ersten Versuch starten
wir indem wir den Kellner fragen wo die Moschee sei. Laut Buch heißt Moschee
Cami. Und laut Ausspracheregeln, sollte wir mit Dschami eigentlich verstanden werden. Der Kellner versteht uns aber
partout nicht und blickt uns nur achselzuckend an. Weitere Versuche scheitern
auch kläglich und so geben wir ihm einfach unseren Fotoapparat und lassen uns
hier beim einzigen Restaurantbesuch der Reise fotografieren. Jetzt denkt er,
wir meinten genau das mit Dschami und
braucht nicht länger zu grübeln. Wir indes beenden hiermit für uns das Kapitel
des Türkisch Lernens.
Das Essen
(verschiedene Fleischsorten, viel Salat und delikate Teigröllchen) war lecker
und reichhaltig, der Preis am Ende auch okay und so ziehen wir nach einer
Stunde weiter. Die Moschee fanden wir indes nicht, vielleicht gibt es hier auch
keine, aber das ist sehr unwahrscheinlich, denn von der Straße aus sieht und
hört man ständig Moscheen. Nur scheint sich kein Mensch dafür zu interessieren.
Irgendwie hatte ich schon erwartet, dass ich den ein oder anderen Muslimen
sehe, der alles stehen und liegen lässt und zur Moschee eilt oder sich einen
Teppich schnappt und ihn gen Mekka ausrichtet. Aber nichts dergleichen
passiert, stattdessen frönt jeder weiter seinem Tagewerk. Wir auch. Zurück in
den Krieg der Europastraße 84. Hinter Silvri, etwa zwanzig Kilometer nach dem
Mittagsmahl, verbindet sich diese Straße mit einer weiteren Europastraße und
fusioniert zu einem Ekspres yol, was
einer Schnellstraße entspricht.
In Silvri,
wurde vor 1500 Jahren die Anastasiusmauer bis hinauf zum Schwarzen Meer gebaut.
Sie ist eine der eine der größten Verteidigungsanlagen der Antike im
kontinentalen Europa und durchaus mit dem Hadrianswall in Engalnd vergleichbar.
Bis zu vier Meter hoch und bewacht durch einige Festungen war dieses Bollwerk.
Leider fallen immer wieder Abschnitte dieser Mauer dem Straßenbau zum Opfer und
so lesen wir zwar von ihr, doch bekommen sie nicht zu Gesicht. Wenn ich
schreibe, dass wir hier in der Stadt Silvri sind, dann tue ich das, weil es auf
der Karte so geschrieben steht. In der Realität sind wir die ganze Zeit in
städtisch bebauten Gegenden unterwegs, die so ineinander verwachsen sind, dass
man nicht weiß, wann man die eine Stadt verlässt und in die nächste
hineinkommt. Auf der Schnellstraße macht es ja sowieso keinen Unterschied, da
man einfach nur gerade aus fährt, wobei das Streckenprofil weiterhin hügelig
dahin wellt.
Wir halten
inzwischen bereits die Augen nach einem Zeltplatz aus, da dass heute nichts
mehr mit Istanbul wird. Zwar kann man vermutlich die Stadt schon sehen,
irgendwo wird sie urplötzlich beginnen, wie all die anderen Städte, aber
leichter wird das finden eines Zeltplatzes da sicher auch nicht und Nächtens
durch die Straßen zu irren, stellen wir uns nicht wirklich entspannend vor.
Laut Karte müssten hier überall Campingplätze sein, aber kein Schild weißt vor
Ort daraufhin. Immer wieder fahren wir von der Schnellstraße ab und irren durch
die Straßen, Gassen und Wege, finden aber nicht mal ein Plätzchen zum
wildcampen. Die Menschen die wir fragen, sind freundlich wissen aber auch nur,
dass gerade hier kein Zeltplatz ist. Nicht mal am Meer findet sich etwas, da
überall bis ans Wasser gebaut worden ist. Auf einem Parkplatz der ebenfalls bis
ans Wasser reicht, spricht uns ein deutsches Urlauberpaar an. Vage meinen sie
sich daran erinnern zu können, dass in Kumburgaz, etwa zehn Kilometer weiter,
ein Schild auf einen Zeltplatz weist.
Auf ihr Wort
war Verlass und so erreichen wir zum Sonnenuntergang den Platz. Den ersten
Eindruck schlucken wir einfach regungslos hinunter, denn außer Betonboden und
schlecht und dicht zusammengezimmerten Bungalows ist nichts zusehen. Die
Besitzerin dieser wenig einladenden “Anlage“ fragt sich auch, was wir hier wollen.
Wir zeigen ihr das Zelt, sie überlegt hin und her und führt uns schließlich an
den Strand. Von all dem was wir bis hierher gesehen haben, ist das auch mit
Abstand der schönste Fleck, wenn auch bei weitem nicht so idyllisch, wie letzte
Nacht: Bis zum Horizont ist am Meer entlang in beide Richtungen alles zugebaut.
Wir bauen routiniert das Zelt auf und sind uns bewusst, dass es zum letzten Mal
nur ein Provisorium für eine Nacht werden wird. Waschen wollen wir uns erst im
Meer, aber als dann ein gebrauchtes Kondom angeschwappt kommt und die Füße
ständig auf irgendwelche unidentifizierbare Gegenstände in der trüben Suppe treffen,
wird der Plan verworfen und wir suchen die Duschen, nach denen wir die Frau
noch gefragt hatten. Zwischen einer Mauer und dem Abwasserkanal führt der kurze
Weg zu den Duschen an dessen Ende auch noch eine zerfleischte Taube von Fliegen
belagert wird. Die Dusche an sich wird in ihrer Ekligkeit von nichts bisher
gesehenem übertroffen. Dazu der Geruch von Urin, Exkrementen und dem Abwasserkanal.
Den das Geschäft verrichtet man hier direkt unter Dusche, stehend oder hockend
in ein Loch in den Boden hinein. Zu allem Überfluss kommt auch noch ein kleiner
Junge um die Ecke und will von uns Geld fürs Duschen abkassieren. Wortlos führe
ich ihn an der Taube vorbei zur Zeltplatz-Chefin, die wohl auch seine Mutter
ist. Sie klärt die Sache zu unseren Gunsten. Das duschen lassen wir dann
dennoch, ich möchte ja nicht der erste Europäer sein, der nach 500 Jahren
wieder an der Pest erkrankt. Und hier in
diesem Loch braut sich ganz Gewiss eine solche Krankheit zusammen, auch wenn es
hart klingen mag, waren hier Ratten gewiss nicht weit.
So endet der
Tag mit einem komischen Gefühl in der Magengegend. Schlafen können wir dennoch
sehr gut, wohl auch weil dieser Tag der bergigste unserer gesamten Tour war.
Mit 1336 Höhenmetern, verweist er den Tag durchs Balkangebirge (1267
Höhenmeter) und den Tag hinter Prag durch Südböhmen und den Böhmerwald (1217
Höhenmeter) knapp auf die Plätze. Morgen erreichen wir das Ziel, bis Istanbul
hinein sind es noch höchstens 50 Kilometer und dann ist es geschafft.
#30
|
Sonntag, 14.09.2008
|
Kumburgaz - Istanbul
|
63,8km
|
4:06 h
|
av.
V = 15,5 km/h
|
↗ 478 hm
|
↘ 480 hm
|
av. P = 60 W
|
26°C - 35°C, Gegensturm, bewölkt, später sonnig
|
n.V.
|
|
|
|
|
In der Nacht
hat sich die Stelle des Strandes, wo unser Zelt nun mal steht, zum Treffpunkt
von einigen Nachtschwärmern entwickelt. Ganz wohl ist mir dieser Gedanke nicht
gewesen, aber die Faulheit des Schlafes hat mich davon angehalten die Lage
genauer zu sondieren. Erst gegen Morgen war deren Tag vorbei und nur noch
einige leere Bier- und Weinflaschen blieben als Zeugen zurück. Keiner von uns
beiden fand heute den Antrieb als erster Aufzustehen und langsam mit einpacken
zu beginnen. An all den andern Tagen erhöhte so immer einer von uns beiden den
Druck auf den jeweils anderen endlich aufzustehen. Heute war dem nicht so, wozu
auch? Selbst, wenn wir bis Mittag weiterschlafen würden, wären die fünfzig
Kilometer bis Istanbul recht schnell erledigt und man wäre da. Die
Schnellstraße dahin hatte auch wenig Verlockendes zu bieten und so zog sich das
erwachen lange hin. Im Zelt wurde es indes immer enger, da die Wände schlaff
vor sich hin hingen. Nicht nur bei den nachtaktiven Jugendlichen ging es
stürmisch zu, auch das Wetter hat sich dem angepasst und es ist ziemlich windig
geworden, so dass die Heringe des Zeltes im losen Sand nicht länger Halt
fanden.
Die Neugierde
danach, ob die Fahrräder und mit ihnen alles andere noch ist, ließ den Tag dann
auch für uns beginnen. Wir packten gemächlich unser Nachtlager ein und fuhren
los. Auf dem Weg gestern standen am Straßenrand unzählig viele Melonenhändler,
die von den Ladeflächen ihrer Melonenlaster riesige Berge der leckeren Früchte
verkauften, heute fanden wir aber keine mehr. Schade, denn eine frische Melone
zum Frühstück, wäre schon eine tolle Sache. So wir kauften wir unser Frühstück
auf konventionelle Art und Weise in einem Laden und aßen es sogleich an der
Schnellstraße auf Europaletten sitzend mit Blick auf die Klimaanlage des
kleinen Supermarktes.
Der Wind kam
heute aus Osten, blies also vor uns schon den Istanbulern um die Ohren. Beim
Weiterfahren orientierten wir uns einzig an den Schildern die zum Atatürk
Havalimanı, dem größten Flughafen der Stadt hinwiesen. Was wichtig war, da
die einst so eindeutige Schnellstraße im Gewusel der Stadt aufzugehen schien.
Immer wieder teilte sie sich in zwei, drei, vier Bahnen, die auf Brücken führen
oder die Richtung änderten. Kaum vorstellbar dass hier irgendein Mensch tatsächlich
durchsieht. An den Verkehr konnte man sich schon fast gewöhnen. Wichtig ist,
dass man einfach immer Stur seine Linie durchzieht. So ist man auch für die
Autofahrer viel berechenbarer. Sollte man dann durch eine große Einmündung
wieder einmal in der Mitte der sechsspurigen Verkehrsader landen, ist es eher
gefährlich, wenn man sich krampfhaft an den rechten Fahrbahnrand zurück kämpfen
will. Irgendwann wird sich eine Lücke im ständigen Verkehrsstrom auftun und die
krallt man sich dann. Absichtlich wird ein schon kein Mensch über den Haufen
fahren. Man muss selbstbewusst ein Teil dieses Systems werden, man muss sich
integrieren und darf kein Fremdkörper sein, der sich nur zaghaft und unsicher
vorwärts tastet. Die anderen Verkehrsteilnehmer akzeptieren einen unter ihnen.
Auch sollte man das ewig andauernde Rumgehupe einfach ignorieren, es hat ja doch keine Bedeutung und stresst nur
unnötig.
Der Wind
schlägt konstant von vorne an, in Böen hat man an diesem Vormittag sogar
Probleme überhaupt vorwärtszukommen. Irgendwie hat man das Gefühl, als sollte
es einem heute nicht zu leicht gemacht werden. Zudem sind die Hügel des
welligen Profils auch so kurz vor dem Ziel eine zusätzliche und verlässliche
Bremse. Zweimal finden sich zwischen diesen Hügeln Täler die so tief liegen,
dass Seen oder Buchten entstehen. Diese topografisch markanten Stellen bieten
die einzig verlässliche Möglichkeit der Orientierung. Dazwischen ist das
Straßenlabyrinth nur durch konsequentes Folgen des Flughafenzeichens zu lösen.
Wann hier irgendwo die Stadt Istanbul begann, ist nicht zusagen. Ein
Ortseingangsschild oder etwas Vergleichbares gibt es nicht. Vielleicht waren
wir schon seit einer Stunde in der Stadt selber, man weiß es nicht. Kurz vor
dem Flughafen, als man die startenden und landenden Flugzeuge schon groß sah,
änderten wir die Navigationsstrategie, da unser Flughafen ja bald wegfallen
würde. Wie beschlossen uns für am Ziel angekommen zu erklären und fuhren auf
direktestem Wege zum Marmarameer. Was gar nicht so einfach war, da das von den
Stadtplanern nicht vorgesehen war. Ein kleiner Scherz: Ganz sicher plante das
hier kein Mensch, Istanbul in seiner Masse ist einfach so entstanden. Am Meer,
so der Plan, wollten wir einen Zeltplatz suchen und dann nur noch mit einer
Vorortbahn, deren Schienen wir hier sahen, ins Zentrum fahren.
Doch wir
fanden weder einen Bahnhof noch einen Zeltplatz. Stattdessen wurden wir, wie
Asterix und Obelix bei ihrem Versuch den Passierscheins A 38 zu erhalten, hin
und her geschickt. Mal sollten wir die Straße in die eine Richtung fahren, dort
angekommen, sagte man uns der Zeltplatz läge genau in der anderen Richtung und
so ging es immer wieder hin und her. Um nicht wahnsinnig zu werden, den das ist
ja das Ziel bei dieser Aufgabe von Julius Cäsar die er Asterix und Obelix
stellt um zu prüfen, ob sie Götter seien, beenden wir das Spiel. An den Gleisen
der Vorortbahn, die küstennah bis ins Zentrum führt, fahren wir immer weiter in
die Stadt hinein. Wir halten die Augen zwar stets offen, finden aber keinen
Zeltplatz. So erfragen wir nach und nach auch bei Hotels den Preis für
zumindest eine erste Nacht. Dabei verlieren wir uns in dem schier
unbegreiflichen Netz von Straßen sogar für kurze Zeit, eher durch einen Zufall
fahren wir uns wenig später wieder über den Weg. Das wäre ja was geworden, wenn
man sich in diesem Durcheinander wiederfinden will, man weiß ja selbst nicht wo
man ist.
Die Preise pro
Nacht lagen immer ungefähr bei einhundert Euro pro Person und das war dann doch
ein wenig zu dick für uns. Und so fuhren wir immer weiter in die Stadt hinein,
immer mit Blick zum Wasser, damit wir uns nicht radikal verfahren. Teilweise
auf Fußwegen, dann wieder im Verkehr, es ist egal. Irgendwann gibt es zwischen
der Küstenstraße, die im Übrigen nach John F. Kennedy benannt ist und dem
Marmarameer eine Uferpromenade mit kleinen parkähnlichen Grünflächen auf die
wir ausweichen können. Zwar kommen wir nur noch im Fußgängertempo vorwärts,
denn es ist Sonntag und alle die nicht gerade Auto fahren und hupen, spazieren
hier mit ihrer Familie entlang, aber dafür hat man auch mal einen Blick für
alles andere, neben dem Verkehr. Wir fahren an alten Stadtmauern entlang,
Angler fischen an jeder freien Stelle. Auf dem Marmarameer warten unzählig
viele Schiffe – von ganz kleinen Yachten bis zu riesig großen Tankern – auf
ihre Durchfahrt durch den Bosporus. Der Stress lässt nach und es macht richtig
Spaß hier Rad zufahren. Gerne darf diese Promenade noch ein paar Kilometer
weiter gehen. Als wir aber wieder einmal halten müssen, da wir nicht die
einzigen sind, die sich hier erfreuen, fällt unser Blick auf die riesige Kuppel
einer Moschee. Wir merkten sofort, dass das nicht irgendeine Moschee ist, dafür
ist sie ein paar Nummer zu imposant. Schnell wühle ich nach dem Reiseführer um
diese Moschee mit der auf dem Titelbild zu vergleichen. Und tatsächlich: Es ist
die Sultan-Ahmed-Moschee, die man hierzulande besser unter dem Namen Blaue
Moschee kennt. Wir sind im Herzen Istanbuls. Wir sind angekommen. Wir sind mit
dem Fahrrad von Dresden bis hierher gefahren und nun stehen wir höchstens 500
Meter von dem Wahrzeichen dieser Weltmetropole entfernt da. Mehr da sein, geht
nicht. 3388,6 Kilometer zeigt der Fahrradcomputer in diesem Moment an. Wir sind
am Ziel. Es ist so ein überwältigendes Gefühl, dass dieser Traum wahr wird.
Auch wenn man ja immer damit gerechnet hat, so ist der Augenblick dieser
Ankunft dennoch einer der schönsten meines Lebens und ich bin unendlich dankbar
ihn hier und jetzt erleben zu dürfen. Egal wie anstrengend und belastend einige
Abschnitte dieser Tour waren, wir bereuen sie nicht, denn wir haben sie
gemeinsam bewältigt und nun hat es sich voll und ganz gelohnt.
Nach dem wir einige Zeit den Moment genossen hatten und er
uns vollends bewusst geworden ist, wollen wir aber irgendwo heimisch werden. Im
Reiseführer stand, dass es im Stadtteil Sultanahmet, in dem wir nun auf einmal
sind, Übernachtungsmöglichkeiten für jeden Geldbeutel gibt und auch ein paar
preiswerte Hostels hier zu finden sind. Wir fahren also geradewegs in das
historische Zentrum Istanbuls hinein. Schnell finden wir eine Menge kleiner
Hotels, ich gehe einfach in das erstbeste hinein und frage nach einem freien
Zimmer und dem Preis dafür. Leider seien sie schon voll, erklärt mir die
überaus attraktive Frau am Tresen, ruft aber sofort über die Straße ihren Nachbarn
herbei. Der besitzt, wie der Zufall es so will, ebenfalls eine Herberge. Von
außen schon schick, wird es in ihr immer edler. Ich frage noch im hineintreten
nach dem Preis für ein Zimmer, denn das hier ist wohl eher ein paar Nummer zu
prächtig, doch der gute Mann lächelt nur und lobt mein Fahrrad. Er zieht mich
förmlich durch Gänge und Zimmer immer tiefer in sein Hotel hinein. Weiße,
glatte Marmorböden, darauf feine Teppiche, die ich kaum zu betreten wage, rote
Samtvorhänge und riesige Spiegel mit Goldumrandung säumen den Weg. Am Ende der
Vorführung, zeigt er mir sein Büro mit einem großen und edlen Holzschreibtisch,
wie man ihn nur bei Staatsmännern erwarten würde. Überall stehen Antiquitäten,
darunter ein exorbitanter Globus, der vermutlich mal Kolumbus gehört haben
dürfte und Statuen, die durchaus aus Elfenbein geschnitzt sein könnten. Hinter
ihm hängt ein mächtiges Ölgemälde mit dem Antlitz Atatürks. Um dem ganzen aber noch die Spitze aufzusetzen, bittet er mich
auf einen Thron, der drei Treppenstufen höher steht und vollkommen golden ist.
Seine Lehne ist an die zwei Meter hoch und sein Bezug gleicht den roten
Samtvorhängen. Erst weigere ich mich, doch er drückt mich äußerst freundlich,
aber dennoch bestimmt auf diese erhabene Sitzmöglichkeit. So steige ich hinauf
und setze mich schließlich bereitwillig hin, schaue in Augenhöhe auf Atatürk
und mit ihm auf den Hotelbesitzer hinab. Kurz könnte man meinen, ich wäre der
König, ach was sag ich: Der Sultan von Istanbul, der hier gerade in seinem
Palast empfangen wurde. Von unten fragt mich indes der kleine Hotelbesitzer,
wie viel ich denn für ein Zimmer bereit wäre zu zahlen. Ich schaue auf ihn
hinab und erwidere, dass ich mir hier kein Zimmer leisten könne. Er meint
daraufhin zu mir, dass er schon denkt, dass ich einer wäre, der sich hier ein
Zimmer nehmen wird. Ich versuche weiterhin einen Preis zu erfahren, doch er
lässt seinerseits nicht locker und möchte wissen, wie viel mir hier ein Zimmer
wert wäre. Im Übrigen befinden wir uns gerade direkt neben der Blauen Moschee.
Ich versuche es weiterhin diplomatisch, doch als wir uns im Kreis drehen,
beende ich das Spiel und gebe meine Bereitschaft für höchstens 50€ pro Nacht
bekannt. Fürs Doppelzimmer wohlgemerkt, denn Konrad darf ich auch als Sultan jetzt
nicht vergessen. Dem Hotelbesitzer schläft das Gesicht fast ein, er wird sogar
ein bisschen ungehalten, fast böse und schickt mich zur Tür hinaus. Nicht zu
der, durch die wir hineinkamen, nein über seine feinen Teppiche darf ich nun nicht
mehr schreiten. Direkt neben dem Thron ist der Ausgang in die Realität. Nicht
einmal verabschieden kann ich mich, so schnell schreibt er mich ab. War das
gerade eben wirklich passiert? Ein Märchen aus 1001 Nacht.
Auf der Gegenüberliegenden Seite der Gasse, stehe ich vor
einem Holzhaus, was passender Weise Wooden
House heißt und ebenfalls Gäste zu beherbergen denkt. Vorsichtig blicke
hinein: Winzig klein ist das Foyer, kein Marmor, keine goldenen Spiegel und
auch kein Thron. Vollends glücklich bin ich, als ich erst einmal vom Mann an
der Rezeption ignoriert werde. Das ist genau meine Liga. Dann mal los. 40€ soll
eine Nacht für uns beide zusammen kosten, inklusive ist ein Frühstück, Internet,
soviel Tee wie man will und man darf die Dachterrasse mit nutzen. Wir sind
immer noch direkt neben der Blauen Moschee. Ich versuche mich ein wenig im
Handeln und so müssen wir zusammen nur 100 € für die drei Nächte bis zur
Abreise bezahlen. Das dafür sofort und nur in Bar. Im Touristenviertel ist aber
auch ein Geldautomat für die Kreditkarte nicht weit und so ist die Sache
schneller geritzt als auf dem Thron eben noch gedacht.
Die Fahrräder können wir direkt neben dir Tür stellen und
damit ist das Foyer mit seinen zwei mal zwei Metern auch fast schon ausgefüllt.
Eine enge Treppe geht es im vollkommen aus Holz gebauten Haus hinauf in die
zweite Etage, wo unser Zimmer liegt. Es ist klein, aber es hat zwei Betten und
eine Tür und damit ist es perfekt. Der Blick aus dem Fenster richtet sich
direkt auf das Hotel mit dem Thron, wenn man aber nach rechts blickt, sieht man
eine verwinkelte Gasse entlang und über dem Ende die Blaue Moschee und einige
ihrer sechs Minarette. Die Dachterrasse bietet einen tollen Blick über die
Dächer des Altstadtviertels und den Bosporus bis hinüber auf die asiatische Seite
von Istanbul. Dazu verweht ein frisches Lüftchen, die Hitze, die in den Gassen
steht. Wir gehen nach einer kleinen Pause, eine Runde durch das
Sultanahmet-Viertel spazieren. Gegenüber der Blauen Moschee liegt die Hagia
Sofia